Bundesnotbremse vs. Inzidenzwerte in den Landkreisen

Hallo zusammen,

in der letzten Folge (LdN237) habt Ihr ja ausführlich über die Bundesnotbremse berichtet. Offenbar hat man sich ja bereits daran gewöhnt, dass die Inzidenzgrenzwerte 50, 100, 200 (gab es nicht auch mal eine 35) wie selbstverständlich überschritten werden ohne, dass etwas passiert. Nun regelt das also der Bund… und siehe da, ein neuer Grenzwert taucht auf… die 165 als bundeseinheitlicher Grenzwert für Schulschließungen. Lustig ist, dass man die 165 zwar nicht sinnvoll wissenschaftlich belegen kann (geht das eigentlich bei den anderen Grenzwerten?!?) aber offenbar kann man aus den bisherigen Grenzwerten den neuen durch einen kleinen Trick berechnen (200 minus 35…) :wink:

Zur Sache: Nun werden also „neue“ Grenzwerte in ein Gesetz auf Bundesebene gegossen, die dann den Anschein erwecken sollen, dass hier einheitlich agiert wird. Wie einheitlich das dann ausfällt, ist aber auch ganz stark davon abhängig, ob die Landkreise da mitspielen. Denn letztlich liegt es ja ganz offensichtlich in ihren Händen, die Infektionszahlen korrekt und ohne Verzug an die nächsten Stellen (und letztlich zum RKI) weiterzugeben. Nun will man ja niemandem was unterstellen, aber in einigen Landkreisen drängt sich schon die Frage auf, ob hier nicht bewusst die Meldungen etwas verzögert werden…

Beispiel Greifswald:

Sicher, hier spielt auch die schleppende Digitalisierung im öffentlichen Dienst eine Rolle. Aber mal ehrlich, ist es denn so schwer ein einigermaßen verlässliches Meldesystem aus dem Boden zu stampfen, dass zumindest zum Zwecke der Pandemiebekämpfung schnelle Wege zum RKI ermöglicht?

Ich habe mir mal angeschaut, wie die Meldeverzüge sich in den Landkreisen auswirken. Angefangen hat alles mit einer Entscheidung in meinem Heimatlandkreis (Erlangen-Höchstadt/ERH, Bayern). Hier wurden zwei Wochen vor den Osterferien die Grundschulen vollständig für den Präsenzunterricht ohne Abstände geöffnet. Grundlage dieser Entscheidung war ein 7-Tage-Inzidenzwert (7TI) von 47… wohlgemerkt einer von zwei nicht zusammenhängenden Tagen im März an dem der 7TI unter 50 lag. In der Folge stieg der 7TI am Wochenende(!) auf über 80. Man staunte nicht schlecht, aber die Entscheidung blieb bestehen. Eine ganze Woche Präsenzunterricht ohne Abstände mit vollen Klassenzimmern im ganzen Landkreis. „Ihr dürft Eure Kinder ja gerne beurlauben, wenn Euch das beunruhigt… aber ein Anrecht auf Distanzunterricht habt Ihr dann nicht.“ Super Sache!
Nun stellte sich heraus, dass der tatsächliche Infektionsverlauf durch Meldeverzüge in ERH eigentlich gar nicht unter 50 lag an diesem „Tag der Entscheidung“, sondern bereits bei über 70 gelegen hatte.
Ich habe das mal HIER nachvollzogen.

Und nun wurde ich neugierig. Wie sieht das Bild denn in anderen Landkreisen aus? Dass es diese Meldeverzüge gibt, weiß man ja. Aber wie gravierend ist das Problem denn nun eigentlich.
Und so habe ich mir die RKI Daten vorgeknöpft und darauf basiert andere Landkreise ausgewertet. Hier mal ein paar Beispiele: Greifswald, Schweinfurt, Bonn, Flensburg

Die Liste kann man jetzt so fortsetzen, aber es fällt auf, dass es Landkreise gibt, die das echt gut hinkriegen und andere, die da total daneben liegen. Also habe ich mir eine Gesamtkarte errechnet, in der ich als Qualitätsindikator für die Meldequalität die Fläche zwischen den beiden Kurven betrachtet habe und zwar über den Zeitraum der vergangenen vier Wochen. Je kleiner diese Fläche MQ, umso besser spiegeln die tagesaktuellen 7TI des betreffenden Landkreises das reale Infektionsgeschenen. Und mit steigendem „MQ“ weichen die Kurven immer weiter voneinander ab.

Wenn sich also die Situation in den Landkreisen bereits im Meldewesen so unterschiedlich darstellt und die Landkreise letztlich selber in der Hand haben, ob und wie sie die Meldungen abgeben, dann geht auch ein Konstrukt wie die Bundesnotbremse komplett am Thema vorbei. Letztlich wird hier nur mit irgendwelchen Zahlen jongliert ohne wissenschaftliches Fundament und ohne Qualitätssicherung in den Landkreisen.
Was denkt Ihr über das Thema?

Grüße aus Franken,
Florian

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Hallo Florian!

Das ist eine sehr schöne Karte! Man sieht auf den ersten Blick, dass die Lage sehr inhomogen ist, aber ich habe ehrlich gesagt nicht verstanden, wie sich die Meldequalität berechnet.

Die Corona-Risiko-Tabelle von Pavel Mayer enthält auch die Verzögerungszeiten und diverse Statistiken dazu: https://pavelmayer.de/covid/risks/#tabletop.
Da kann man z.B. nach der Spalte „Median der Publikationsverzögerung“ sortieren, und dann sieht man zwölf Landkreise mit einem Median größer oder gleich 3 Tagen, und nur einer davon hat mehr als 5 Tage. Das klingt also eher nach wenigen Ausnahmen.

Man soll ja keine böse Absicht unterstellen, wenn Inkompetenz als Erklärung völlig ausreicht. Trotzdem ist es unentschuldbar, dass die Datenlage in Deutschland so undurchsichtig ist.

Grüße nach Franken!
Christoph

Hi Christoph,

danke für Deine Antwort und den interessanten Link. So ausgefeilt gehe ich das Thema nicht an…

Bezüglich „meiner“ Meldequalität: Ich schaue mir an, was „offiziell“ beim RKI an 7-Tages-Inzidenzen über einen Zeitraum von 4 Wochen vorgelegen hat. Und das vergleiche ich dann mit dem „korrigierten“ Inzidenzverlauf des betrachteten Landkreises über den gleichen Zeitraum. Die Korrektur ergibt sich in den kumulierten Fallzahlen beim RKI wenn die verspätet eingegangenen Meldungen den tatsächlichen Meldetagen zugeordnet werden. Zwischen den beiden Kurven entsteht dann eine Fläche und diese Fläche berechne ich als Indikator, wie gut oder schlecht der betreffende Landkreis seine Meldungen abgibt. Kleine Fläche = gut / große Fläche = schlecht.
Es gibt dabei auch ein paar interessante Ausreisser, die dann eine „negative“ Fläche aufweisen. IN dem Fall sind die offiziellen Inzidenzwerte höher als die korrigierten (tatsächlichen) Werte. Wie das zu Stande kommt, kann ich mir aktuell noch nicht erklären - hier das Beispiel Sonneberg

Falls Interesse besteht - ich habe meine Skripte dazu mal in git eingestellt - LINK

Schönen Abend,
Florian