Verfassungsrechtliche Bedenken bzgl. BNDG Novelle
Liebes Lage-Team & Forum,
nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Mai 2020 stand eine Reform des Bundesnachrichtendienstgesetz an. Da über das Urteil in der Lage ausführlich berichtet wurde, halte ich es dahingehend bereits für die Lage interessant, was aus so einem Urteil wird. Darüber hinaus handelt es sich um ein Thema mit Brisanz bzgl. der neuen Befugnisse (Online Durchsuchung) und der weltweiten Auswirkungen.
Am 25.03.2021 verabschiedete der Bundestag die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19.05.2020, notwendige Novellierung des BNDG (BT-Drs. 19/26103)
Grundsätzlich handelt es sich um eine grundlegende Gesetzesänderung, die die Vorgaben des Urteils des BVerfG vom 19.05.2020 (1 BvR 2835/17) umsetzen soll. Dabei soll der unabhängige Kontrollrat als vom BVerfG gefordertes gerichtsähnliches Kontrollorgan eingesetzt werden.
Laut Gesetzgeber handelt es sich um eine inhaltliche und systematische Anpassung des Gesetzes. Inhaltlich soll hier neben erwähnter Kontrolle wohl auch die Erweiterung der Befugnisse des BND um ein sensibles Werkzeug, der sog. „Online-Durchsuchung, vgl.§ 34 BNDG-E hinzugefügt werden.
Es lässt sich die neue Fassung als Erweiterung der Befugnisse und technischen Möglichkeiten des BND zur Telekommunikationsüberwachung und strategischer Fernmeldeaufklärung bewerten, die zudem die Vorgaben des BVerfG (1 BvR 2835/ 17) umsetzen soll.
An der materiellen Verfassungsgemäßheit bestehen jedoch erhebliche Zweifel.
So ist im Einzelnen zu bemängeln:
I. Differenzierung zwischen In- und Ausländern
Nach dem ersten Leitsatz des Urteils des BVerfG im Mai 2020 ist nun geklärt, dass Grundrechte, insb. Art. 10 GG, auch für Ausländer im Ausland als subjektive Abwehrrechte gegen Handlungen von Nachrichtendiensten wirken.
§ 19 VII BNDG-E verbietet die Erhebung von personenbezogenen Daten von deutschen Staatsangehörigen, inländischen jur. Personen sowie sich im Bundesgebiet aufhaltenden Personen.
Auffällig ist, dass hier kein dauerhafter Aufenthalt in Deutschland verlangt ist, worin eine Erweiterung des Schutzes liegt. Jedoch bedeutet dies auch, dass sich in Deutschland dauerhaft Aufhaltende, zeitweilig jedoch bspw. Vereisende nicht geschützt sind.
Dies ist in Kontext mit der sperrigen Struktur des deutschen Nachrichtendienstrechts zu setzen, nachdem das BNDG ohnehin subsidiär zum G10 ist. Somit bedarf es gar keines Ausschlusses von den in § 19 VII Nr. 1-3 BNDG-E benannten Gruppen.
Diese Differenzierung zwischen In- und Ausländern ist vom BVerfG abgelehnt worden.
Die Begründung des BVerfG hierfür liegt in der gesteigerten Gefahr von Zugriffen durch Behörden gegenüber Inländern, veranlasst durch den BND. Im Umkehrschluss kann der BND aber sehr wohl Aufklärungsmaßnahmen nach den weiteren Maßgaben des Gesetzes durchführen, gegen Personen die, sich in dem Moment nicht in Deutschland aufhalten, aber in Deutschland einen dauerhaften Aufenthalt haben.
Gerade im Zusammenspiel mit anderen Nachrichtendiensten erscheint dies höchst problematisch, bspw. für Regierungskritiker. Denn diese „operativen Befugnisse“ stehen den in nachrichtendienstlichen Kooperationsverhältnissen arbeitenden Behörden durchaus zu.
II. Online Durchsuchung gem. § 19 VI BNDG-E
Die sog. Online Durchsuchung stellt eine neue Befugnis des BND dar. So soll der BND zur strategischen Fernmeldeaufklärung gem. § 19 I BNDG-E mit technischen Mitteln in informationstechnische Systeme von ausländischen Telekommunikationsdienstleistern, ohne dessen Wissen, eindringen dürfen, um dort personenbezogene Daten zu erheben. Zu einem Auskunftsverlangen mit gleichem Inhalt darf ein Anbieter im Ausland nach EuGH Rechtsprechung (C-623-17 Privacy International) schon nicht gezwungen werden. An der Vereinbarkeit von staatlichen Hacking in der gleichen Sache mit der EU-Grundrechte Charta und dem EUV darf man wohl berechtigterweise Zweifeln.
Sämtliche Zweifel der Vereinbarkeit des BNDG mit dem Europarecht waren auch schon in der alten Fassung angelegt, jedoch mangels Entscheidungserheblichkeit nicht dem EuGH vorgelegt (1 BvR 2835/17 Rn. 328). Auch ist die Unterscheidung von in- und ausländischen Anbietern von Telekommunikationsdienstleistungen im Hinblick auf. Art. 18 AEUV bedenklich.
III. Schutz von Vertraulichkeitsbeziehungen
Kernpunkt des Urteils vom BVerfG gegen das alte BNDG war der Mangel an Schutz bzgl. Personen in besonderen Vertraulichkeitsbeziehungen. § 21 BNDG-E soll diese Lücke schließen. Nach urspr. Fassung in der nur Geistliche, Rechtsanwälte und Journalisten besonderen Schutz erfuhren, ist nun der Kritik Folge geleistet worden und in einem Verweis auf § 53 I S.1 Nr. 1,2,3,5, S. 2 StPO ein umfassenderer Schutz gewährleistet. Durch den Verweis auf Nr. 5 wird nun auch journalistisch tätigen Personen Schutz eingeräumt.
Die vielmals geäußerte Kritik daran, dass der BND selbst bestimmen könnte wer Journalist i.S.d. BNDG ist wird dadurch weites gehend ausgeräumt. Nachhaltige Zweifel an der Vereinbarkeit mit Art. 5 GG bestehen somit nicht mehr.
IV. Keine Dokumentationspflicht für die Selektoren
Suchbegriffe müssen dem Kontrollrat nicht vorgelegt werden und auch nicht dokumentiert werden. Ob dies eine „effektive Kontrolle“ der Nachrichtendienste im Sinne des BVerfG darstellt, muss bezweifelt werden. Der Gesetzgeber verzichtete hierauf mit Absicht, ein dahingehender Antrag von B90/ die Grünen
(BT-Drs. 19/26221) wurde abgelehnt. Dies erscheint in Anbetracht der vom BVerfG zutreffend erkannten möglichen Nähe von individueller Telekommunikationsüberwachung zu der Aufklärung durch Selektoren (1 BvR 2835/17 Rn. 152) als verfassungsrechtlich äußerst bedenklich.
V. Eignungsprüfung gem. § 24 BNDG-E
Zudem muss die Tragweite der Eignungsprüfung der Selektoren gem. § 24 BNDG-E Zweifel über die Verfassungsmäßigkeit hervorrufen. Die Eignungsprüfung ist zwar in ihrer Art und ihrem Umfang auf dem Papier begrenzt, die zeitliche Beschränkung gem. § 24 II BNDG-E kann aber immer wieder um sechs Monate verlängert werden. Eine praktische Begrenzung stellt das wohl nicht dar.
Das Nutzungsverbot aus §§ 24 V BNDG-E i.V.m. 5 VII S. 2 BSI-Gesetz wird in VII direkt wieder eingeschränkt.
Die Löschungspflicht gem. § 24 VI BNDG-E von zwei Wochen hinsichtlich der personenbezogenen Daten aus der Eignungsprüfung wird umgehend für verschlüsselte Daten aufgehoben.
Diese Eignungsprüfung untersteht außerdem nicht einmal der Prüfung durch den Kontrollrat. Dies ist wohl kaum in Übereinkunft mit der vom BVerfG in Leitsatz 5. des Urteils vom 19. Mai 2020 geforderten „effektiven Kontrolle“ des BND in Einklang zu bringen. Auch hier bestehen wie für § 19 VI BNDG-E bestehenden bedenken bzgl. der Vereinbarkeit mit dem Europarecht, vgl. C-623-17 „Privacy International“
VI. Offen bleibt die kritisierte Unterscheidung zwischen personenbezogenen Daten (durchweg im BNDG-E reglementiert) und sachbezogenen Daten (nicht geregelt) und deren Vereinbarkeit mit Art. 10 GG.
VII. Abschließend lässt sich die Novelle als Schritt zur Besserung bezeichnen, der die rechtsstaatliche Kontrolle des BND stärkt. Dass aber in diesem Gesetz, das einzig zur Aufrechterhaltung der Arbeit des BND nach dem 31.12. 2021 gelten soll, weitere erhebliche Befugnisse, eingebaut wurden, widerspricht der Gesetzesbegründung und erscheint problematisch. Alle Beteiligten sind sich einig, dass es einer grundlegenden Reform des Rechts der Nachrichtendienste bedarf. Es wird von einem mangelnden Konzept oder einer fehlenden Ordnungsidee gesprochen. Hier war sicher, dass in Anbetracht der BT-Wahl im Herbst in dieser Legislaturperiode keine abschließende Behandlung der Problematik stattfinden wird. An der hier gefundenen „Lösung“ bestehen jedoch die oben dargelegten erheblichen Zweifel, was ihr somit wiederrum den Charakter einer Lösung nimmt.
Teile des Gesetzentwurfs sind im BGBl. I S. 448 ff. erschienen, das Gesetz als ganzes noch nicht.
Bertan Heper