Als im Sinne eines Risikos für einen schweren oder tödlichen Verlauf relevant vorerkrankter Elternteil bin ich gerade völlig am Ende.
Ich bin nunmehr über 14 Monate regelmäßig über die Grenzen meiner Belastbarkeit hinausgegangen: Grunderkrankung, die sich bei Stress verschlechtert, homoschooling, eigene berufliche Verpflichtungen, Haushalt. Was mich bei der Stange gehalten hat war der Glaube daran, dass dies zum Schutz von Menschen geschehen muss, die ein noch höheres Risko als ich haben: sehr alte und noch schwerer erkrankte Menschen. Ich hatte ein großes Gefühl von Solidarität.
Jetzt, da ich und Personen in meiner Situation vielleicht mal die Solidarität der Gesellschaft und Politik gebrauchten könnten, damit die ständig - und aus objektiven Gründen bestehende - uns begleitetnde Angst vor einem schweren Verlauf endlich mal aufhört, wir geimpft werden, wird - ohne die Risikogruppe zu fragen, wohl weil sie eine Minderheit ist - eine ganze Berufsgruppe und damit größtenteils kerngesunde Menschen jeden Alters bei der Impfung vorgezogen, was für uns heißt: noch länger warten, noch länger Angst aushalten, noch länger die ganze Familie isolieren mit all dem Leid, das dies bedeutet. Dies ist ein Schlag ins Gesicht. Meine Quelle, für die Gemeinschaft Solidarität aufzubringen, ist damit schlagartig versiegt.
Schön, dass jetzt das Risiko von Nicht-Risiko-Lehrern von 0,5 % auf 0 % gesenkt wird, einen schweren Verlauf zu haben. Schön vor allem deshalb, weil ich mit meinem Risiko eher im Bereich von 20 - 25 % für einen schweren Verlauf ohne konkrete Aussicht auf Impfung munter weiterleben darf und mich den entsprechenden (objektiv begründeten) Ängsten stellen darf. Auch meine täglichen Verpflichtungen tragen dabei das Risiko mich zu infizieren: der Job, die schulpflichtigen Kinder.
Ich kann es eigentlich noch gar nicht glauben was da in so kurzter Zeit via Verordnung geregelt worden ist, dass es noch nicht einmal in einer Wochenzeitung diskutiert werden konnte, bevor es Fakt geworden ist; von einer Diskussion in der Volksvertretung, wo es als politische Entscheidung mit tiefem Grundrechtseingriff hingehören würde, ganz zu Schweigen.
Das Risiko eines kergesunden Lehrers/Lehrerin schwer zu erkranken liegt bei 0,5 %. Das Risiko der über 70 Jährigen und bestimmter Vorerkrankter liegt bei über 10 % (oder noch darüber). Dies heißt: 5 geimpfte Lehrer kosten rechnerisch einem Menschen aus der Risikogruppe, dessen Impfung sich verzögert und der sich (z. B. im Krankenhaus, beim Arzt, über die Kinder, über den Job) infiziert, das Leben. Wohingegen man 200 Lehrer, die keiner Risiko-Gruppe angehören, impfen muss, um 1 schweren Verlauf zu verhindern.
Haben wir den Lockdown nicht deshalb erlitten, oder erleiden ihn (vor allem unsere Kinder), um die Risikogruppen zu schützen? Das wurde uns jedenfalls so gesagt. Die Bevorzugung der Lehrer (sind wohl „gleicher“) entzieht diesem Credo die Grundlage.
Ob Herr Spahn gut schlafen kann? Irgendjemand, der gut rechnen kann, wird ihm vielleicht irgendwann mal vorrechnen, wievielen Menschen seine Unterschrift unter die Verordnung das Leben gekostet hat.
Und auch Herr Meidinger muss mit dieser Verantwortung leben. Da mögen ihn die von ihm Vertretenen zujubeln und ihn feiern. Die Verantwortung für die stillen Toten trägt auch er. Auch die Lehrer können nicht ignorieren, dass pro 5 geimpfter Kollegen ein Risikopatient in Lebensgefahr gerät. Es ist kein ganz so großer Unterschied mehr, ob ein Landrat eine übrig gebliebene Impfung („oops - wir haben Reste heute und leider, leider keine Kontakt-Warteliste von Berechtigten organisiert…!“) unterschlägt und sich selbst und seinen Leuten einverleibt oder ob eine ganze Berufsgruppe eine Erpressung dahingehend vornimmt, das Unterrichten in der Schule so lange zu verweigern, bis die Angehörigen der Gruppe geimpft sind. Objekt dieser Erpressung sind unsere Kinder, die derzeit leiden, leiden, leiden.
Ganz konkret besteht ja auch das nicht geringe Risiko, dass das ganze zum juristischen Debakel wird. Wer die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zu den Anträgen auf höhere Priorisierung / Härtefallregelung verfolgt hat, weiß: die Gerichte haben die Frage, ob die Regelung per Verordnung verfassungsgemäß ist (was sie, wie allen Juristen klar ist, nicht ist, weil es wegen tiefer Grundrechtsrelevanz per Gesetz hätte geregelt werden müssen, aber Juristen haben ja derzeit die Klappe zu halten) nur deshalb offen gelassen, weil sie (meiner Meinung nach zutreffend) meinten, dass ohne die Verordnung auch eine Priorisierung erfolgen müsste, die sich dann an der wissenschaftlichen Evidenz = Empfehlung des RKI auszurichten habe. Die Bevorzugung der Lehrer verlässt jedoch den Boden der Evidenz. Es ist rein politisch, verletzt die Risikopatienten in ihrem Grundrecht auf Leben, und hätte somit in jedem Fall per Gesetz erfolgen müssen.
Bitte reden Sie bei der Lage Tacheles!
Ich bitte darum, mein Anliegen nicht im Sinne einer Neiddebatte misszuverstehen. Es geht um Leben und Tot, sinnvolle und gerechte Verteilung der Impf-Ressourcen und den Schutz einer Minderheit, nämlich die Risikopatienten mit schweren Krankheiten im mittleren Alter, zu denen AUCH Lehrer gehören. Vor allem geht es um das verfassungsmäßige Recht auf Lebensschutz.