Bildungspolitik am Abgrund

Das kann ich bestätigen. Ich unterrichte als Seiteneinsteigerin zwar muttersprachlich deutsche Grundschulkinder (integriert im öffentlichen Schulsystem) in Frankreich, habe aber auch zwei Jahre als Fremdsprachenlehrerin im französischen Collège verbracht. Außerdem haben meine beiden Kinder auch das französische System durchlaufen. Dieses wirkliche Gesamtschulenprinzip hat neben der hier fünfjährigen Grundschule aus meiner Sicht tatsächlich große Vorteile.
Hier in Frankreich übernehmen die Lehrer noch nicht einmal die Aufsicht während der Pausen selbst. Das übernimmt die sogenannte „vie scolaire“, geleitet von einer/m psychologisch ausgebildeten „conseiller principal d’éducation“. Diese stellt auch eine wichtige Verbindung zu den Eltern/Familien dar. Zusätzlich gab es auch eine Sozialpädagogin, die aber für mehrere Schulen zuständig war.
Das System hier hat auch Schwächen, aber das Lernen ohne Aufteilung bereits nach der vierten Klasse in "gute"und „schlechte“ Schüler:innen finde ich sehr wichtig für ein gerechtes Schulsystem.
Dazu kommt noch die Ganztagsschule und ein mittlerweile sogar verpflichtender Besuch der „école maternelle“ (entspricht unserem Kindergarten).
Die Prüfungen sind hier genau wie @Yawgmath vorschlägt zentral.

Was ich persönlich in Deutschland sehr schlimm finde, ist der extreme Föderalismus, der nicht zu mehr Unabhängigkeit der Schulen vor Ort, sondern ausschließlich zu nicht kompatiblen Schulbiografien führt, die Umzüge unglaublich schwer machen.

Was mich in letzter Zeit umtreibt: Können wir angesichts des zu erwartenden Fachkräftemangels nicht die Noten abschaffen? Kennt jemand Margret Rasfeld und ihre https://schule-im-aufbruch.de/ ? Sie hat aus langjähriger Erfahrung mit Schüler:innen und als Direktorin ein völlig anderes Schüler- und Bildungsbild. Aktuell versuchen viele Schulen, zumindest den Freiday https://frei-day.org/ einzuführen, aber eigentlich geht das Konzept sogar weiter. Die Anforderungen, die das Leben an die Kinder von heute stellen wird, wird weit jenseits der alten Lehrpläne liegen. Die Welt und die Anforderungen ändern sich stetig. Es wird immer wichtiger, dass Schüler:innen lernen zu lernen. Sich in neuen Kontexten zurechtzufinden. In die Lage versetzt werden, die eigenen Interessen zu entwickeln und kennenlernen.
Das Konzept Schule muss grundlegend überdacht werden. Das Konzept Noten muss grundlegend überdacht werden.
Es wird nicht mehr darum gehen, dass Schüler:innen auf dem Papier „vergleichbar“ sind. Interessen, Talente, Fähigkeiten müssen bei allen Schülern gefördert werden. Die Kinder verdienen es, mitgenommen zu werden, aber wir können es uns als alternde Gesellschaft auch nicht mehr leisten, dass so viele „auf der Strecke bleiben“, die der Arbeitsmarkt braucht.

Ich persönlich stamme aus einer sehr bildungsfernen Umgebung. Nur durch eine Art Mentor wurden meine Eltern trotz meines Potentials überhaupt erst überzeugt, mich zum Gymnasium zu schicken. Bereits vor fast 45 Jahren war es so schwierig, sich ohne Unterstützung des Elternhauses durchzukämpfen. Aber ich habe das Gefühl, dass die Situation heute noch viel schlimmer ist.

Es wäre so wichtig, das der Kindergarten Pflicht ist. Dass die Ganztagsschule Pflicht ist, mit integrierten Aktivitäten (Sport, Musik, Theater…), von denen benachteiligte Kinder im Zweifel sonst ausgeschlossen sind. Die Wertschätzung jedes einzelnen Kindes. Die Förderung jedes einzelnen. So wichtig. Für das Kind, aber auch für die Gesellschaft. Kinder sind unsere Zukunft.

Und über allem muss das Prinzip stehen, dass es viel, viel mehr Erzieher:innen und Lehrer:innen geben muss. Das wäre viel wichtiger als die so gerühmte Digitalisierung.
Aber statt mehr Lehrer gibt es nun einen außergewöhnlich großen Lehrermangel…

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