Besteuerung digitaler Großkonzerne

Liebes Lage-Team,

ich beschäftige mich nun seit längerer Zeit im Zuge meines Studiums mit der Besteuerung digitaler Großkonzerne.
Die OECD/G20 hat im letzten Jahr im Rahmen des Aktionspunktes 1 des BEPS-Projektes Vorschläge zur Besteuerung digitaler Konzerne erarbeitet.
Der erste Vorschlag umfasst einen neuen steuerlichen Nexus, welcher sich von der physischen Präsenz, z.B. in Form einer Betriebsstätte, lösen soll. Es soll also einen steuerlichen Anknüpfungspunkt geben, der sich vielmehr an dem Umsatz, den ein Unternehmen auf einem Absatzmarkt generiert, orientiert. Im Zuge dessen sollen auch die Gewinnallokationsregeln neu definiert werden und den sogenannten Marktstaaten soll so mehr Steuersubstrat zugesichert werden. Diese Regelung soll auf Unternehmen Anwendung finden, welche einen Umsatz ab 750 Mio. EUR generieren. Ursprünglich sollten nur digital tätige Unternehmen unter den Anwendungsbereich fallen. Dies wurde im Laufe des letzten Jahres auf weitaus mehr Geschäftsbereiche ausgeweitet.
Der zweite Vorschlag beinhaltet die Einführung einer globalen Mindeststeuer (GloBE-Proposal). Unternehmen, welche unter einem bestimmten effektiven Steuersatz besteuert werden, sollen auf diesen hochgeschleust werden. Dies soll zum einen über eine Income Inclusion Rule im Ansässigkeitsstaat eines Konzerns geschehen: Hier soll, ähnlich wie bei beispielsweise der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung, das Einkommen der im Ausland zu niedrig besteuerten Tochtergesellschaften/Betriebsstätten bei der Muttergesellschaft im Inland miteinberechnet werden und auf Ebene dieser nachbesteuert werden. Zum anderen soll im Quellenstaat, als Komplement zur Income Inclusion Rule, die Undertaxed Payments Rule angewendet werden. Diese soll die Erhebung einer zusätzlichen Steuer im Quellenstaat auf zu niedrig besteuerte Zahlungen, welche an einen ausländischen Empfänger geflossen sind, ermöglichen.
Der erste Vorschlag eines neuen steuerlichen Nexus scheint perspektivisch interessant, da mit zunehmender Digitalisierung eine neue Lösung für einen steuerlichen Anknüpfungspunkt gefunden werden muss. Eine beispielsweise physische Betriebsstätte scheint hier nicht mehr zeitgemäß. Jedoch weißt dieser Vorschlag einige Problemfelder auf. Der Anwendungsbereich ist vor allem aus politischen Gründen stark ausgeweitet worden, sodass längst nicht mehr nur digitale Unternehmen von dieser Regelung betroffen sein sollen. Zudem würde nach derzeitiger Ausgestaltung des Vorschlags kein signifikantes Steueraufkommen erwartet werden können (siehe auch Fuest et al. - Studie Ifo Institut 2020). Klassische Exportnationen wie Deutschland hätten (nach Ausweitung des Anwendungsbereiches über digitale Großkonzerne hinaus) unter Umständen sogar Verluste durch diese Regelung zu verzeichnen. So stünde der administrative Aufwand in keinem Verhältnis zur steuerlichen Aufkommenswirkung. Eine Alternative zu diesem Vorschlag wäre zum Beispiel die Erweiterung der schon bestehenden Umsatzbesteuerung (Fuest et al.- Der Betrieb 2019).
Die Mindeststeuer hingegen könnte bei einer effektiven Ausgestaltung zu einer effizienteren und auch höheren Besteuerung digitaler Großkonzerne führen. Gegebenenfalls müsste jedoch gleichzeitig mit einer insgesamt reduzierten Investitionstätigkeit der Unternehmen gerechnet werden. Zudem wäre zu erwarten, dass Unternehmen Gewinnverlagerungen durch Investitionsverlagerungen ersetzen. Die Folge dessen könnte ein erhöhter Steuerwettbewerb um Realinvestitionen kurz oberhalb des Mindeststeuersatzes sein. Jedoch hat diese Regelung im allgemeinen die Möglichkeit den aggressiven Steuerwettbewerb, welcher derzeit vor allem von klassischen Tax Havens betrieben wird, einzudämmen. Gewinnverlagerung der Unternehmen würden somit insgesamt reduziert und es würde ein signifikantes Steueraufkommen generiert werden können (siehe Studie Devereux 2020). An einigen Stellen der Regelung könnte es Divergenzen mit der Niederlassungsfreiheit oder der Kapitalverkehrsfreiheit der EU geben. Um die Vereinbarkeit mit dem EU-Recht zu gewährleisten, wäre je nach Ausgestaltung der Regelung, eine Einführung auf Ebene der EU ratsam. Es ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass die Mindesteuer nicht nur auf digitale Großkonzerne anzuwenden wäre. Da jedoch mit Fortschreiten der Digitalisierung zunehmend Abgrenzungsschwierigkeiten der „klassischen“ und der digitalen Wirtschaft entstehen, ist es ohnehin sinnvoller eine Lösung der effizienteren Besteuerung für die gesamte Wirtschaft zu finden. Auch aus politischen Gesichtspunkten wäre es schwer vorstellbar eine Lösung gezielt auf digitale Großkonzerne zuzuschneiden, da dies vor allem amerikanische Unternehmen betreffen würde und sich die USA dann vermutlich einer globalen Lösung entziehen würden.
Unilaterale Maßnahmen einzelner Staaten in Form von beispielsweise Digitalsteuern, welche teils schon umgesetzt worden sind, zeigen die Dringlichkeit einer globalen Lösung auf. Bei Ausbleiben eines zeitnahen Handels der OECD/G20 entstünde auf der einen Seite ein Flickenteppich an unilateralen Maßnahmen zur Besteuerung von Großkonzernen und es wäre auf der anderen Seite vor allem mit handelspolitischen Vergeltungsschlägen von US-amerikanischer Seite zu rechnen. Laut OECD/ G20 sollten die Vorschläge bis Ende des Jahres 2020 finalisiert werden. Dies erscheint derzeit jedoch nicht mehr realistisch.

Anbei sende ich euch noch einmal aktuelle und spannende Links zu dem Thema:

Diese Ausgabe des Ifo-Schnelldienstes arbeitet die beiden Vorschläge der OECD/ G20 sehr gut auf und zeigt verschiedene Meinungen/ Blickwinkel zu der Thematik auf:

Studie Devereux et al. zum GloBE- Proposal:

Becker/Englisch zum GloBE- Proposal:

Studie zur Steueraufkommenswirkung eines neuen steuerlichen Anknüpfungspunktes:

Studie Fuest et al. zur Digitalsteuer der EU:

Spengel et al. - Umsatzsteuer als Alternative zum Vorschlag des neuen steuerlichen Anknüpfungspunktes: