Bellizistische Haltung der Lage?

Liebes Lage-Team, liebe Mithörer:innen,

ich höre die Lage seit vielen Jahren mit großem Interesse und schätze eure sachliche, differenzierte Einordnung aktueller Themen. In letzter Zeit jedoch irritiert mich zunehmend der Ton, mit dem ihr euch – für einen klassisch links-liberalen Podcast – erstaunlich überzeugt für militärisches Eingreifen und Aufrüstung aussprecht.

Das zeigt sich besonders in eurer Berichterstattung zum Ukrainekrieg oder zuletzt zu den Angriffen auf die Huthi-Rebellen. Wenn dann etwa Formulierungen wie „zurück in die Steinzeit bomben“ fallen, erinnert das eher an Vietnam-Rhetorik als an kritische Auseinandersetzung. Auch die persönliche Vorstellung, dass die eigenen Kinder bald kämpfen könnten, wirkt auf mich mehr resignativ-kriegerisch als reflektiert-pazifistisch.

Im Podcast Die Neuen Zwanziger, den ich ebenfalls sehr schätze, wurde eure zunehmend bellizistische Haltung kürzlich kritisch eingeordnet. Mich wundert, dass diese Kritik – zumindest bisher – in der Lage selbst nicht thematisiert wurde. Gerade euer Format war doch immer offen für Debatte und auch für unbequeme Perspektiven.

Natürlich kann man argumentieren, dass militärische Unterstützung für die Ukraine notwendig ist. Aber die fast vollständige Ausblendung pazifistischer, diplomatischer oder deeskalierender Ansätze wirkt zunehmend unausgewogen – gerade in einem Podcast mit großer Reichweite und einer jungen Hörerschaft. Es geht hier nicht nur um Strategie, sondern um echte menschliche Kosten: Tod, Leid, Zerstörung.

Ich würde mir wünschen, dass auch diese Perspektiven wieder mehr Raum in der Lage bekommen.

Wie seht ihr das?

Herzliche Grüße
Alex

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Mir fehlt gegenüber einem Staat wie Russland unter Putin tatsächlich die Vorstellung, wie die oben genannten Ansätze konkret aussehen sollen?
Zumindest wenn man nicht im gleichen Atemzug Begriffe wie Kapitulation, Unterwerfung und das Recht des Stärkeren nennen will.

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Ich glaube, man sollte hier immer bedenken, dass die Hosts keinesfalls einen Krieg riskieren wollen, sondern genau so, wie diejenigen, die für weniger Aufrüstung oder gar Abrüstung eintreten, ganz klar auf den Erhalt des Friedens abzielen. Und das stört mich an der Debatte ein wenig: Es wird gerne so getan, als wollten diejenigen, die für Aufrüstung argumentieren, dass „die eigenen Kinder“ in den Krieg ziehen sollten, als wollten sie, dass es zu einem Krieg kommt. Aber das ist eben eine falsche Wahrnehmung, die ein wenig aus der pazifistischen Nachkriegs-Kultur Deutschlands stammt.

Wer jetzt - wie auch ich - ganz klar für mehr Aufrüstung argumentiert, tut das nicht, weil er einen Krieg will, weil er „bellizistisch“ ist, oder weil er „Krieg statt Diplomatie“ betreiben will. Wir tun das, weil wir der festen Überzeugung sind, dass ein starkes Militär zwingend notwendig ist, um überhaupt Diplomatie betreiben zu können. Treu nach Theodore Roosevelt: „Speak Softly and Carry a Big Stick“.

Das Problem ist, dass ein aggressiver Akteur wie Russland (oder möglicherweise auch die USA z.B. im Hinblick auf Grönland) nicht zu Diplomatie gezwungen werden kann. Wenn wir keine militärischen Fähigkeiten haben, einen Aggressor abzuschrecken, hat er keinen Grund, sich auf Diplomatie überhaupt einzulassen. Das übersehen diejenigen, die einfach „weniger Aufrüstung und mehr Diplomatie“ fordern. Ein Aggressor, der seinem Opfer maßgeblich überlegen ist, hat absolut keinen Grund, überhaupt auf Diplomatie einzugehen - außer natürlich, man versteht immer weitere Konzessionen bis zur bedingungslosen Kapitulation als „Diplomatie“.

Wir wollen keine Aufrüstung, weil wir „Kriegsgeil“ sind oder „Krieg führen wollen“, wir wollen eine Aufrüstung damit wir abschrecken können, um keinen Krieg führen zu müssen. Damit „diplomatische Lösungen“ für einen potenziellen Aggressor überhaupt rational werden (dh. der Aggressor sich genau überlegen muss, wie teuer ein Angriff wäre, und er deshalb davon absieht und damit überhaupt erst Raum für Diplomatie eröffnet ist).

Niemand in dieser Debatte will Krieg. Niemand sieht das Militär als guten Weg zur Durchsetzung eines politischen Willen (das wäre Bellizismus!), sondern Militär wird als Notwendigkeit erachtet, dass andere Nationen ihren politischen Willen nicht mit militärischen Mitteln durchsetzen können, also quasi Konter-Bellizismus. Der Bellizismus-Vorwurf ist daher mMn grob verfehlt.

(Aber ja, die Formulierung „Die Huthis in die Steinzeit zurück bomben“ war ein Fehler, das wurde von zahlreichen Usern mit Recht kritisiert. Hier ist glaube ich bei den Hosts angekommen, dass man da etwas behutsamer sein sollte)

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Ich mag es nicht mehr hören. Es gab vor 2022 diplomatische Vereinabrungen. Alle wurden von Russland gebrochen. Wer neue Vereinbarungen will, muss plausibel machen, was an denen anders sein soll, als an den alten. Kann/will aber keiner der großen „Diplomatie“-Befürworter, weil klar ist, dass Russland niemals freiwillig so ein Abkommen unterschreiben wird.
Wer für Verhandlungen eintritt, sollte bitte erstmal zur Kenntnis nehmen, wieviele Versuche es von Europäern, USA, China, Brasilien, UN und anderen bereits vorher gegeben hat und welche Forderungen Putin stellt und wie er mit Verhandlungsdelegationen umgegangen ist. Von dem laufenden Genozid in den besetzten Gebieten und dem Terror gegen zivile Ziele haben wir da noch nicht mal angefangen.
Ich höre immer nur die diffuse „ich will aber“ Forderung nach Verhandlungen. Als ob das niemand versucht hätte, als ob darüber nicht berichtet wurde, als ob am Scheitern dieser Versuche nicht ganz allein Moskau Schuld wäre. Wenn es konkret wird kommt ohrenbetäubendes Schweigen, Ablenkungsdebatten, gern mit ad hominem Argumenten und/oder ermüdender Ahnungslosigkeit. Die Diskussion dazu bei den Neuen Zwanzigern ist ein Musterbeispiel dafür. Lebenszeit, die ich nie zurück bekommen werde. Insofern finde ich gut, dass die LdN sich nicht auf diesen Nonsense einlässt. Soll doch um relevante Inhalte gehen.

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Andererseits ist es auch fraglich, was die Alternative ist. Ich mein, wie lange soll der Krieg noch gehen? Es ist weder ein „Sieg“ Russlands in Sicht, noch ein „Sieg“ der Ukraine. Wie soll da also jemals Frieden entstehen? Ein Weiterso wie bisher kann wirklich keiner wollen - weder Europäer, noch Ukrainer.

Darauf weiß ich auch keine Antwort.
Solange Putin den Krieg als primäres Mittel zur Durchsetzung seiner Ziele sieht, werden diplomatische Initiativen ja wenig Erfolg haben. Wie ja auch Trump grad sieht.
Ein Zusammenbruch oder Kapitulation der Ukraine heißt ja einerseits, das dort Menschen unter einem anderen Deckmantel sterben und unterdrückt werden.
Zudem wäre es ja schon ein Signal an Putin, das Krieg zur Erreichung von Zielen funktioniert.

Ein Historiker hat Putins Verhandlungsprinzip wie folgt beschrieben:
„Putin fällt über dich her und verprügelt dich. Dann bietet er dir an damit aufzuhören, wenn du seine Forderungen erfüllst.“

Bin mir nicht sicher wie weit man da mit Diplomatie klassischer Art kommt.

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Der Westen hätte viel schneller viel mehr liefern und sanktionieren müssen, das bleibt weiterhin eine Möglichkeit, auch wenn dafür die Härte bei Politikern und ihrem Souverän in den westlichen Demokratien fehlt.
Ob man lieber die aktuell einzige Alternative wählt, hängt davon ab, wie die aussieht. Klar kann man Russlamd geben, was die wollen, damit da „Frieden“ ist. Die ganze Ukraine ein Folterknast, zigtausend Tote in Massengräbern, Millionen neue Flüchtlinge. Ob bei der Alternative die Fortführung des Kampfes wirklich die schlechtere Wahl ist?

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Liebe Forumsgemeinschaft:

Gegenstand meines Beitrags ist die Berichterstattung in der Lage und welchen Stimmen man Raum gibt, um sich selbst eine Meinung zu bilden. Daneben bemängele ich eine zunehmend kriegerisch-eskalatorische Beschreibung der globalen (nicht nur regionalen) weltpolitischen Lage.

Es geht hier aber gerade nicht darum, ob hier jemand DIE Lösung für den Konflikt hat bzw. weiß, wie man mit Putin umgeht - sonst wären wir an anderer Stelle vermutlich besser aufgehoben als in diesem Forum. Ich lehne die Aufrüstung der Ukraine selbst noch nicht einmal ab - im Grundsatz jedenfalls.

Mir geht es nur darum, dass - anders, als bei vielen anderen Themen in der Lage - ich nicht sehe, dass konträren Positionen wirklich Raum gewährt wird. Man kann nämlich sehr gut gegen Krieg argumentieren, weiß Gott ohne damit ein Putin-Anhänger zu sein.

Das funktioniert aber nur, wenn es überhaupt aussichtsreiche andere Positionen gäbe und wie bereits etliche Teilnehmer der Diskussion dargelegt haben, gibt es die nicht.
Argumentieren sie doch bitte mal gegen den Krieg und beziehen sie dabei Putins bisherige Kriegsverbrechen, seine Aussagen zur Ukraine und die Folgen ihrer Idee mit ein.

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Also ich höre extrem viele verschiedene Podcasts, dazu auch sehr viele aus dem dediziert linken Sektor, und wannimmer Experten dazu befragt werden, was man konkret diplomatisch mit Putin denn regeln könnte, kommt eigentlich immer nur Schweigen. Dann wird darauf verwiesen, dass in der Vergangenheit Fehler gemacht wurden, weil Putins Sicherheitsinteressen nicht hinreichend berücksichtigt worden wären, aber selbst wenn wir annähmen, dass das stimmt (was ich für problematisch halte, denn Putin fühlt seine Sicherheit durch Demokratiebewegungen in seinem „Vorhof“ in der Ukraine und Georgien bedroht, und das wollen wir doch nicht ernsthaft aus „diplomatischen Gründen“ bekämpfen, um Putin zu besänftigen?!?), ergibt sich daraus keinerlei Lösungsvorschlag für den aktuellen Konflikt.

Putin sitzt aktuell auf Maximalforderungen und selbst wenn wir nur Minimalforderungen (z.B. die Anerkennung der Krim als russisches Territorium) akzeptieren belohnen wir einen Autokraten, der einen Angriffskrieg vom Zaun gebrochen hat. Wenn das „Diplomatie“ ist, lehne ich Diplomatie tatsächlich ab, denn diese Diplomatie führt dazu, dass der russische Bellizismus gewinnt und es nur eine Frage der Zeit ist, bis Russland den nächsten Krieg vom Zaun bricht (hat in Georgien funktioniert, hat in der Ukraine funktioniert, vielleicht jetzt ein Stück von Estland, sobald die USA die NATO aufgeben?).

Also ich habe wirklich noch keinen Experten gehört, der im Hinblick auf „diplomatische Alternativen“ zur Aufrüstung konkret werden konnte. Es sind immer nur Allgemeinphrasen, die sich schön anhören, die aber letztlich nur dem Aggressor dienen.

Aber schlag doch bitte mal einen Experten vor, der eine konträre Position zur Aufrüstung vertritt und dabei auch konkret wird, also nicht nur in Utopien denkt, sondern realistische, nachvollziehbare Lösungen anbietet, die kein Appeasement für Autokraten sind, die einen Angriffskrieg geführt haben.

Selbst Jan van Aken, den ich eigentlich durchaus schätze, ist in einem sehr langen Interview bei „Jung und Naiv“ nicht über Allgemeinplätze hinausgekommen. Selbst bei ihm basierte alles nur auf Wunschdenken, alá „Wenn wir die russischen Sicherheitsinteressen berücksichtigen greift Russland schon niemanden mehr an…“.

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Es werden seit über drei Jahren hohle Phrasen gedroschen, aber außer im Internet zur Schau gestellter moralischer Überlegenheit auf dem Rücken der kämpfenden ukrainischen Bevölkerung kommen die PS nicht auf die Straße.

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Der springende Punkt ist doch: an welchem Punkt sollen denn eine Position „konträr“ sein? Und warum, also mit welchem Ziel?
Die Formulierung unterstellt ja (mal wieder), dass die Forderung für eine ausreichende Unterstützung der Ukraine bei ihrer Verteidigung gegen den russischen Angriff eine Position für den Krieg wäre. Fakt ist aber, dass Russland diesen Krieg führt - und zwar seit fast 11 Jahren und völlig unabhängig davon, wer hierzulande „für Krieg“ ist und völlig unabhängig davon, welche diplomatischen, ökonomischen, politischen und auch militärischen Kanäle zwischen Russalnd und dem Westen es gab (vor allem bis 2022).
Und wenn es - wie du ja selber sagst - kaum realistisch ist, darüber zu reden, wie die Ukraine ohne militärische Unterstützung gegen Russland verteidigt werden kann, stellt sich doch noch mal mehr die Frage, was eigentlich das Ziel einer solchen Diskussion sein soll. Wie man sich eine Welt vorstellen würde in der es keinen Putin gibt? Keinen Imperialismus? Keine kapitalistischen Nationalstaaten?

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Es wurde oft genug dem Thema Diplomatie Raum gegeben und dabei eben sehr klar belegt wie naiv und unpassend es ist so etwas mit Putin und diesem Russland als Vertragsbrecher zu versuchen. Von daher ist es konsequent eine nicht brauchbare Alternative auszublenden und die Zeit sinnvoller zu nutzen. Und die Rhetorik halte ich für richtig um vielen Menschen mal den Ernst der Lage klar zu machen. Da laufen immer noch viele rum die denken der klügere gibt nach hilft bei den Putins und Trumps.

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Die Sache im Diskurs ist gerade, dass sowohl in der Lage als auch in Talkshows, die Verteidigung sehr stark über die Perspektive persönlicher Auffopferung für die Demokratie im Hinblick auf eine allgemeine Wehrpflicht verhandelt wird. Dass diese Rethorik ihre probleme hat, zeigt sich auch daran, dass ihre Befürworter diese mit angeblich abstrakter Notwendigkeit begründen und reflexartig jedem verblendeten Pazifismus vorwerfen, der sich dagegen wehrt. Das die Rethorik im Bezug auf die Wehrpflicht auch zunehmend eskaliert zeigt sich an Beispielen, wie Philip Türmer bei Lanz. Während Türmer versucht über Aufrüstung als policy zu sprechen unterbricht ihn Lanz mit dem Hinweis, dass die eigentlich zentrale Frage sei ob er bereit sei selbst zur Waffe zu greifen. So nervig ich Leute, wie Nymoen auch finde, so notwendig ist seine Position, wenn der Diskurs hier so durchdreht. Entsprechend beschleicht mir hier das Gefühl, dass diese Leute sich gegenseitig verdient haben. Man konnte sich solange noch über die Linke beschweren und lustig machen, wie die rechte Wehrpflichtsposition genauso lächerlich war.
Seitdem von mitte bis rechts jeder Diskurs zu Sicherheitspolitik eingelietet wird mit: „Hast du überhaupt gedient?“, fällt es mir zunehmend schwer diesen Positionen ihren angeblich sicherheitspolitischen Pragmatismus abzukaufen. Selbst die eigentlich recht pragmatischen Carlo Masala und Söhnke Neitzel haben bei ntv letztens AfD,BSW und Linke in einen Topfgeworfen im Bezug auf ihre demokratische Lösungsbereitschaft. Wenn die Mitte in ihrer mangelnden Krisenresilienz jetzt, die Fähigkeit zur Differenzierung verliert, werden Linke recht behalten. Nich tim Bezug auf Russland aber im Bezug auf Deutschland. Es war die CDU, welche die Schuldenbremse nicht der Verteidigungsfähigkeit Opfern wollte.

Der eigentliche Sicherheitspolitische Diskurs hat mit einer allgemeinen Wehrpflicht und persönlichen Entscheidungen zum Dienst an der Waffe nichts zu tun. Der eigentliche Diskurs den man hier führen müsste, würde sich um europäische Integration, Beschaffung und Reform der Bundeswehr drehen. Dieser wird auch geführt, nur entfernt sich der populär Diskurs immer weiter davon.

Konkret zu der Neuen Zwanziger Bubble, die sagen schon seit Aufwachen pod Zeiten immer das selbe, deren Russland Apologetik hat sich niemals verändert, nur halt jetzt verschwoben auf „deutsche Kriegstreiberei“. Gerade auch im Bezug auf diesen Punkt haben, die beiden schon über Panzerlieferungen an die Ukraine genauso gesprochen wie jetzt über den Wehrdienst. Entsprechend wäre ich extrem vorsichtig mit Leuten, die auch, wenn sich die Situationen radikal verändern ihre Positionen niemals anpassen und abstrakte Banälitäten als fundamentale Kontinuitäten verkaufen.

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Mir fehlt allerdings auch ein bisschen dass ins Zentrum gerückt wird, dass NATO, UN und IStGH offenbar zu wenig Biss haben und wie man das ändern kann. Könnte man Staaten zwingen, dort Mitglied zu werden und sie anzuerkennen (zum Beispiel USA und Israel solange mit Strafzöllen überziehen, bis sie unterschreiben)?
Einen Orban, der den verurteilten Netanjahu empfängt von allen internationalen Warenflüssen ausschließen? Jeden, der Waffen oder Komponenten an Putin liefert als Unterstützer eines Straftäters behandeln?
Was können wir gegen die Veto-Mächte unternehmen?

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Vielen Dank für eure zahlreichen Reaktionen. Was mir dabei auffällt: Viele Beiträge vermitteln den Eindruck, dass es in der aktuellen Lage nur einen richtigen Weg geben kann – nämlich militärische Stärke, Waffenlieferungen und Aufrüstung. Das mag die Mehrheitsmeinung sein und nochmal: Ich sehe es nicht grundlegend anders, ABER: Andere Ansätze, wie Diplomatie oder Deeskalation, scheinen kaum noch ernsthaft diskutierbar zu sein. Ich denke, es würde uns allen nicht schaden, wenn wir auch Gegenstimmen wieder mehr Gehör schenken – nicht im Sinne von Verharmlosung, sondern im Sinne einer ausgewogenen Debatte.

Eine solche Stimme ist etwa Nicole Deitelhoff, Professorin für Internationale Beziehungen, die immer wieder betont, dass Frieden nicht durch Waffen allein entsteht. Sie fordert, militärische Logik nicht zum alleinigen Maßstab von Politik zu machen, sondern auch politische und gesellschaftliche Lösungen ernsthaft mitzudenken – gerade langfristig.

  1. Wohin soll das eigentlich führen?

Wenn wir Aufrüstung und Waffenlieferungen - Welches Ziel hat die westliche Aufrüstung der Ukraine bisher erreicht bzw. verfolgt sie über die Verhinderung des sofortigen Untergangs hinaus? Ein Sieg über Russland? Eine Rückeroberung aller besetzten Gebiete? Ein endloser Stellungskrieg? Ich finde, wer militärische Maßnahmen unterstützt, sollte auch offen benennen, welches politische Ergebnis damit erreicht werden soll – und ob dieses realistisch ist. Die Frage muss man sich schon gefallen lassen.

  1. Wie enden Kriege wirklich?

Historisch enden die meisten Kriege nicht durch vollständige militärische Siege, sondern durch Verhandlungen. Selbst große Konflikte wie der Koreakrieg, der Vietnamkrieg oder der Jugoslawienkrieg endeten letztlich mit politischen Kompromissen – oft vermittelt durch neutrale Dritte, nicht selten auch durch schmerzhafte Zugeständnisse. Militärischer Druck kann Teil der Realität sein – aber er allein schafft selten dauerhaften Frieden.

  1. Diplomatie ist keine Illusion

Diplomatie bedeutet nicht, einem Aggressor nachzugeben, sondern Wege zu suchen, Gewalt zu beenden – etwa durch Waffenstillstände, Vermittlung durch Drittstaaten oder internationale Sicherheitsgarantien. Der norwegische Friedensforscher Johan Galtung hat in vielen Konflikten konkrete Modelle entwickelt, die auf Deeskalation und gerechter Konfliktlösung basieren. Solche Ansätze verdienen mehr Aufmerksamkeit – nicht weniger.

Ich wünsche mir einfach, dass friedenspolitische Perspektiven wieder als legitimer Teil der Debatte wahrgenommen werden und nicht vorschnell als „weltfremd“ abgetan – werden.

Herzliche Grüße
Alex

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Niemand hier fordert doch etwas anderes. Niemand hier fordert, „militärische Logik zum alleinigen Maßstab zu machen“. Was wir fordern, ist nicht das Gegenteil zu tun: Militärische Logik völlig zu ignorieren und sich einzig auf Diplomatie zu verlassen. Denn wenn dann ein expansionistischer Aggressor kommt wird die Diplomatie versagen und wir haben ein großes Problem.

Ganz einfach: Dass Russland so wenig Land wie möglich mit so hohen Kosten wie möglich erobert. Period. Das klingt brutal, aber der Aggressor Russland darf keine gute Bilanz nach diesem Angriffskrieg ziehen können. Je mehr Land zu je niedrigeren Kosten (personell wie wirtschaftlich) Russland in der Ukraine erobern kann, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Russland, aber auch andere Aggressoren wie China (Taiwan) oder die USA (Grönland, Panama), nicht auf die gleiche Weise versuchen werden, ihr Territorium auf Kosten anderer zu erweitern.

Das ist uns allen bewusst und wurde auch eine Million Mal diskutiert.
Ja, Kriege enden in aller Regel nicht mit einem „totalen Sieg“, aber die Bedingungen, unter denen ein Frieden „mit politischen Kompromissen“ erreicht wird hängt realistischerweise von der Lage auf dem Schlachtfeld ab. Hätte Russland erfolgreich die Ukraine überrannt würden wir nun über ganz andere Zugeständnisse diskutieren. Wie viel Land die Ukraine verlieren wird hängt davon ab, wie gut sie die Fronten halten kann. Wenn wir die Ukraine so weit stabilisiert hätten, dass sie den Krieg zu einem völligen Stellungskrieg machen könnte, wäre Russland in einer ganz anderen Verhandlungsposition als jetzt, wo Russland jeden Tag (sehr geringfügige) weitere Geländegewinne macht. So lange Russland Gelände gewinnt, hat es wenig Grund, auf irgendwelche Verhandlungen einzugehen. Und jeden Meter, den Russland erobert hat, wird es zu behalten fordern.

Uff… also als ich den Abschnitt der Position zum Nahost-Konflikt im englischen Wikipedia-Artikel zu Galtung gelesen habe ist mir mein Abendessen ein Stück weit wieder hoch gekommen:

Also nichts für Ungut, aber wenn das der Mann ist, den du für die diplomatische Lösung von Konflikten durch Vermittlung ansiehst, bin ich mir nicht sicher, ob ich weiter mit dir diskutieren möchte. Der Typ ist ein Verschwörungstheoretiker und ihn als Beispiel anzuführen untergräbt die von dir vertretene Position massiv.

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Meiner Meinung nach ist diese Darstellung ein Strohmann und da im Prinzip dein ganzes Argument darauf basiert, finde ich das ärgerlich. Deitelhoff selbst und andere mit ähnlichen Positionen sind noch in der Öffentlichkeit präsent. Es mag ja sein, dass nichtmilitärische Perspektiven dir zu wenig diskutiert werden, aber dass sie in öffentlichen Debatten keine Rolle spielen, ist einfach nicht wahr. Auch die von dir aufgeworfenen Fragen werden ja von einschlägigen Experten rauf und runter diskutiert. Mit einer herkömmlichen Suchmaschine kann man auch sehr einfach entsprechende Artikel, Podcasts oder andere Medienformate finden. Dass die Politik nicht unbedingt ausreichende Antworten auf diese Fragen liefert stimmt, steht aber m. E. auf einem anderen Blatt.
Abgesehen bedankst du dich zwra für die „zahlreichen Reaktionen“, gehst aber inhaltlich auf die vorgebrachten Einwände nicht wirklich ein. Damit bedienst du leider ein Schema, was einem nicht nur hier im Forum des Öfteren begegnet.

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Wer vor dem internationalen Strafgerichtshof angeklagt ist, UN-Resolutionen einfach ignoriert und sich zwar immer wieder gerne zitieren lässt, dass man für Verhandlungen ist, wenn es ernst wird, aber dann doch lieber weiter Raketen abfeuert - da kann man noch so viel Kreide fressen… Aber was erhofft man sich da zu erreichen?

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Leiterin des Leibniz Instituts für Friedens- und Konfliktforschung.

Aber sie teilt glaube ich deine Position nicht so ganz. Aus ihrem Gastbeitrag im Spiegel:

In einer ersten Phase geht es darum, sich gegenwärtiger Gewaltanwendung zu erwehren und zukünftige zu verhindern. Es ist eine Phase antagonistischer Friedenssicherung durch Abschreckung, Aufrüstung und Allianzbildung und, ja: auch Waffenlieferungen. Aber schon diese Phase muss konzeptionell auf eine zweite Phase der friedlichen Koexistenz gerichtet sein. Das bedeutet, Rüstung und Allianzbildung müssen mit Angeboten zu Verhandlungen ihrer Beschränkung verbunden werden.

Ich weiß allerdings nicht so ganz, was hier die Kontroverse ist. Genau das findet statt.

Den Punkt in nem deutschen Forum zu lesen wird niemals aufhören mich zu irritieren. Die Beispielliste ist auch interessant, der Koreakrige ist nicht wirklich beendet, eher eingefrohren, die Jugoslawienkriege, teilweise aber zumindest der Kosovokrieg ist auch eher eingefrohren und Vietnam als beendet durch Verhandlungen zu bezeichnen, ist eine sagen wir mal historisch interessante Position.

„Gerecht“ ist so ein interessante Wortwahl, mir fallen spontan keine gerechten Verhandlungsfrieden ein, nicht mal die von dir erwähnten. Gerade in anbetracht dessen, dass Gerechtkeitsvorstellungen so ein zentrales Problem für den Nahostkonflikt sind, was seinen Antisemitismus umso zynischer macht. Aber im Bezug auf die Ukraine, wäre der gerechte Frieden mindestens der vollständige Rückzug Russlands. Würde ehrlich gesagt eher sagen, dass Gerechtigkeitsvorstellungen pragmatischen Friedensverhandlungen im weg stehen.

Ich würde dir empfehlen zu versuchen deinen Friedensbegriff etwas zu schärfen. Deitelhoff geht in dem Spiegelartikel auf Friedensformen ein, vielleicht von da aus weiter gehen. So dreht sich die Diskussion hier etwas im Kreis, weil es dir um diskursive Ansprechbarkeit geht und dem Rest, um die faktische Lage in der Ukraine.

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