Behinderun ziviler Seenotrettung durch Schiffssicherheitsverordnung

Hallo zusammen,

ich habe einen Themenvorschlag für eine zukünftige Ausgabe der „Lage der Nation“: Die Behinderung der zivilen Seenotrettung im Mittelmeer durch die Änderung der Schiffsicherheitsverordnung.

Im Kern geht es darum, dass Verkehrsminister Volker Wissing bzw. das Bundesministerium für Verkehr die Schiffssicherheitsverordnung so ändern möchte, dass gewisse Sport- und Freizeitboote einer gesonderten Sicherheitszulassung bedürfen und damit ähnlich wie Frachtschiffe behandelt werden, wenn sie unter deutscher Flagge fahren (s. Strengere Auflagen für Schiffe: Vorstoß gegen Seenotrettung - taz.de). Problematisch daran ist, dass auch Sport- und Freizeitboote davon betroffen sind, die von verschiedenen privaten humanitären Organisationen zum Zwecke der zivilen Seenotrettung eingesetzt werden. Durch die Änderung der Schiffssicherheitsverordnung werden diesen Organisationen so viele Hindernisse bezüglich des Betriebs ihrer Schiffe in den Weg gelegt, dass sie zivile Seenotrettungs- und Beobachtungsmissionen gar nicht mehr durchführen könnten (s. Flucht über das Mittelmeer: Ministerium will Seenotrettung offenbar einschränken | tagesschau.de).

Fatal daran ist, dass das Mittelmeer „die tödlichste Grenze der Welt“ (Seenotrettung: Verkehrsminister Wissing torpediert die Pläne der Ampel | vorwärts) ist. Allein letztes Jahr starben – bei dem Versuch, Europa zu erreichen – über 2400 Menschen. Allein dieses Jahr sind es schon 327 Menschen, die auf dem Mittelmeer ihr Leben ließen (Strengere Auflagen für Schiffe: Vorstoß gegen Seenotrettung - taz.de). Staatlich geführte Rettungsmissionen gibt es dort nicht. Die einzige Hoffnung auf Rettung in Seenot geratener Geflüchteter sind die privaten Rettungsmissionen. Aus diesem Grund hat sich auch die Ampel-Regierung in ihrem Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, zivile Seenotrettung nicht zu behindern; das wird aber durch die Änderung der Schiffssicherheitsverordnung „torpediert“ (Seenotrettung: Verkehrsminister Wissing torpediert die Pläne der Ampel | vorwärts) und stellt auch einen Bruch des Koalitionsvertrags dar (Bruch des Koalitionsvertrags? FDP-Minister will Seenotretter ausbremsen!; https://www.deutschlandfunk.de/verkehrsministerium-will-regeln-fuer-private-seenotrettung-verschaerfen-hilfsorganisationen-in-sorge-100.html; Flucht über das Mittelmeer: Ministerium will Seenotrettung offenbar einschränken | tagesschau.de).

Ein ähnliches Vorgehen plante seinerzeit auch schon der damalige Verkehrsminister Andreas Scheuer, welches aber letztlich aufgrund von Verfahrensfehlern scheiterte (s. zur Übersicht Änderung der Schiffssicherheitsverordnung | Mare Liberum).

Im Zuge der vielfältigen globalen Krisen (Krieg in der Ukraine, unzureichender Klimaschutz, Spannungen zwischen USA und China, etc.) ist die Lage an den EU-Außengrenzen stetig in den Hintergrund gerückt. Wissings Verordnungsänderung könnte die dortige Situation aber brutal verschlechtern. Ein gemeinsames Statement der zivilen Seenotrettungsorganisationen findet Ihr hier: Bundesregierung plant Behinderung ziviler Seenotrettung: Mehrheit der deutschen Seenotrettungsschiffe werden blockiert • Sea-Watch e.V..

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Wichtiges Thema, auch wenn „Schiffssicherheitsverordnung“ erstmal harmlos klingt. Diese Verodnung wäre ein fataler Bruch des Koalitionsvertrages. Die Schiffs-„Sicherheits“-Verordnung wird Menschenleben kosten, da es heutzutage faktisch keine staatliche Seenotrettung auf dem Mittelmeer mehr gibt und die ehrenamtlichen Seenotretter:innen die einzigen sind, die dieses Vakuum füllen (wie auch der UNHCR berichtet):

„Über die letzten Jahre wurden die operativen Kapazitäten zur Seenotrettung von staatlicher Seite stark eingeschränkt. Hatte die italienische Marinemission „Mare Nostrum“ 2013 bis 2014 noch die vorrangige Aufgabe Menschen zu retten, so wurden diese Kapazitäten mit den von der EU getragenen Nachfolgeoperationen ‚Triton‘ und ‚Sophia‘ zunehmend auf die Bekämpfung von Schleppern und irregulärer Migration konzentriert. (…) Private Rettungsorganisationen wie SOS Méditerranée, Ärzte ohne Grenzen, Mission Lifeline, Sea-Watch und andere versuchen diese Lücke zu füllen und haben zehntausende Leben gerettet.“ (https://www.unhcr.org/dach/de/services/faq/faq-seenotrettung)

Wie in dem aktuellen Statement der deutschen Seenotrettungsorganisationen klar wird, würden die kaum erfüllbaren neuen Anforderungen erstmal das Aus ihrer Einsätze bedeuten. Was genau bewegt Volker Wissing zu diesem Schritt und was sagen andere Ressorts bzw. die Koalitionspartner? Immerhin hieß es im Koalitionsvertrag noch „Es ist eine zivilisatorische und rechtliche Verpflichtung, Menschen nicht ertrinken zu lassen. Die zivile Seenotrettung darf nicht behindert werden.“ (https://cms.gruene.de/uploads/documents/Koalitionsvertrag-SPD-GRUENE-FDP-2021-2025.pdf).