Begriff "... mit Migrationshintergrund"

In der Folge 257 ist mir aufgefallen, dass Ulf den gängigen Begriff „Menschen mit Migrationshintergrund“ verwendet (im Zusammenhang mit dem Plakat des dritten Wegs, glaube ich mich zu erinnern). Ich wollte die Gelegenheit ergreifen um diese Formulierung zu diskutieren. Die Autorin Şeyda Kurt plädiert in ihrem Buch Radikale Zärtlichkeit dafür, eher von „rassifizierten“ Menschen zu sprechen um die Diskriminierungsdimension zu verdeutlichen. Denn es gibt viele Personen in Deutschland, die zwischen Ländern migriert sind, die aber keine Diskriminierung erfahren bzw. weniger davon, weil sie beispielsweise weiß sind oder so gelesen werden. Was denkt ihr?

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Sorry, aber da kriege ich gleich Sodbrennen!

Es geht doch bei der Bezeichnung „Menschen mit Migrationshintergrund“ darum, einen möglichst neutralen Begriff zu verwenden, der keine Klischees bedient, niemanden herabwürdigt und von den Bezeichneten entsprechend akzeptiert werden kann. Man kann darüber streiten, ob MmM die glücklichste Wahl ist, aber „rassifizierte Menschen“ ist mit Sicherheit kein Ersatz. Erstens führt der Begriff das Wort Rasse wieder ein, statt es auszumerzen. Viel wichtiger aber: Damit wird das inhärente Konfliktpotenzial, das diese Menschen ohne ihr Verschulden mit sich herumtragen ihnen selbst quasi als Eigenschaft angehängt, obwohl es ja eigentlich die Eigenschaft der Rassisten ist, die mit ihnen umgehen.

Generell wäre es schön, wenn es möglichst selten überhaupt nötig wäre, den einen oder anderen Begriff zu verwenden. Denn jeder reduziert Menschen auf einen Aspekt ihrer Persönlichkeit, der in vielen Fällen sowieso schon eine zu große Rolle in ihrem Leben spielt.

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Habe den Begriff „rassifiziert“ vorher noch nie gehört und halte ihn persönlich auch nicht für wirklich sinnvoller als „mit Migrationshintergrund“, im Gegenteil.

Ich würde mich da der Argumentation von @rph anschließen, statt auf den Migrationshintergrund wird mit dem Begriff auf „Rasse“ bzw den erlittenen Rassismus reduziert. Dass das jetzt besser sein soll, erschließt sich mir nicht wirklich.

Das Label „mit Migrationshintergrund“ (über das man grundsätzlich sicherlich streiten kann…) hat außerdem einen konkreten, primär statistischen Sinn und ist klar definiert. „Rassifiziert“ meint etwas anderes und ist zum Migrationshintergrund nicht synonym. Es sind zwei inhaltlich verschiedene Begriffe.
Stattt rassifiziert könnte man auch „Opfer von Rassismus“ oder „rassistisch behandelt“ oder so sagen. Da erscheint mir die semantische Verbindung klarer als zum Migrationshintergrund.

Gruß, eine rassifizierte Person :slight_smile:

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Ich teile deine Bedenken wegen der Reproduktion von bestimmten Begriffen wie „Rasse“. (Wobei man ja auch nicht das Wort „Rassismus“ aus dem Sprachgebrauch streichen sollte, oder?)
Ich glaube, was du angesprochen hast, dass den Personen quasi etwas zur Last gelegt wird, was überhaupt nicht in ihrer Entscheidungsgewalt liegt, soll mit Kurts Vorschlag gar nicht angedeutet werden. Eher im Gegenteil soll es darauf aufmerksam machen, dass etwas unrechtmäßigerweise auf Personen projiziert wird. Auf der anderen Seite könnte man natürlich jetzt sagen, das macht die genannten Personen dann wieder zu Objekten oder stellt sie als passiv dar. Empowernd ist das ja nicht gerade.
Allerdings denke ich, dass Kurts Einwand nicht von der Hand zu weisen ist. Es gibt ja eine diskriminierende Hierarchisierung / strukturellen und individuellen Rassismus. Kann denn Neutralität herbeigeführt werden, indem ein Begriff verwendet wird, der dies einfach nicht widerspiegelt? Wäre das nicht vergleichbar mit einem Gesundbeten im Sinne von „ich sehe keine Hautfarbe“?

Tut mir leid, dass ich dir Sodbrennen gemacht habe mit meiner Frage. Mich interessiert, was andere politisch interessierte Menschen dazu denken, weil ich selbst noch ganz unschlüssig bin.

Hatten wir nicht gerade vor ein paar Jahren neue, ganz gute Begrifflichkeiten mit People of Color bzw. Schwarze/braune Menschen? Ich glaube, rassifiziert ist für viele Menschen schwer zu verstehen und gerade im deutschen Sprachgebrauch durch die besondere Besetzung des Wortes Rasse nicht besonders geeignet.
Ich denke, im Englischen ist es als Alternative zu PoC manchmal ganz nett, um auf die Konstruiertheit der „Eigenschaft“ Rasse hinzuweisen, aber auf Deutsch sehe ich das nicht im allgemeinen Sprachgebrauch. Bei „behindert“ klappt es, so weit ich das überblicke, ganz gut, dass sowohl behinderte Menschen selbst als auch Nicht-Behinderte die „neue“ Verwendung gutheißen bzw. verstehen, aber ich kann mir nicht so richtig vorstellen, dass deutsche PoC sich in naher Zukunft massenhaft als „rassifiziert“ bezeichnen, es ist doch irgendwie sehr akademisch und gewollt.

Wir (als Gesellschaft) sollten uns wieder mehr mit den Inhalten hinter den Worten auseinandersetzen, anstatt die Worte zu diskutieren. Solange alle wissen was gemeint ist und keiner konkret von einer Formulierung verletzt oder (bewusst) ausgeschlossen wird, ist doch alles gut.

Ich habe selbst einen Migrationshintergrund, identifiziere mich damit aber nicht und halte solche Diskussionen für ein Problem, weil wir doch in einer Aufmerksamkeitsökonomie leben. Die Gesellschaft und die Menschen die sie ausmachen hat und haben nur ein begrenztes kognitives Budget für politische Debatten. Wir sollten dieses lieber auf die großen Fragen verwenden als uns in diesen Feinheiten zu verlieren.

Meine ursprüngliche Reaktion war davon getriggert, dass ich verstanden hatte, man solle das Wort als generellen Ersatz für MmM verwenden. Aber ich glaube jetzt, das war weder von Dir @AHHBauer noch von Kurt so gemeint. Vielmehr sollte man es für eben solche Situationen verwenden, in denen diese Leute halt gerade auf dieses Attribut „Rasse“ reduziert werden.

Ich bin aber auch so noch nicht mit dem Begriff einverstanden, was in diesem Fall an meinem Sprachverständnis liegt. -fiziert bedeutet ja, dass das Objekt (in dem Fall der Mensch) durch eine Aktion verändert wird. Die Veränderung wäre hier, dass die Person die Eigenschaft „Rasse“ erhält. Diese Eigenschaft ist aber etwas, was es nur im Kopf des Gegenübers gibt. Was infolgedessen mit der Person passiert ist keine Rassifizierung, sondern eine Diskriminierung oder ein Angriff.

Insofern sollte man mE eher von (aus jeweils näher zu bestimmenden Gründen) diskriminierten Personen sprechen.

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Neben der Linguistischen Dimension gibt es aber ja je nach Kontext auch eine Frage nach der praktischen anwendung.

Der migrationshintergrund wurde in der Lage ja für die Besetzung von buergerräten genutzt.
Hier geht es (wenn man da eine repräsentative Zusammensetzung haben möchte) um ein statistisches merkmal das erstmal erhoben werden muss.

Mit migagionserfshrung ist dabei ein statistisches Merkmal das es im Moment gibt und das eine klare Definition hat.
Und vom Gefühl finde ich es okayish, wenn bei Volkszählungen/Einwohnermeldeamt/etc erhoben wird: sind sie in deu geboren, sind ihre Eltern in deu geboren.
Eine frage(Erhebung) von „sind sie schwarz“ oder „sind sie Poc“ fände ich… mindestens seltsam, ggfs. Sogar gefährlich.

Das schöne an einer rein zufälligen Auswahl ist ja, dass ich statistische Merkmale nicht erheben brauche, sondern bei ausreichend großer Stichprobe diese entsprechend der Population vertreten sind.
Das gilt sowohl für das Merkmal „Migrationshintergrund“ als auch für z.B. " Anzahl Nasenharre"
Für die praktischen Nutzung ist eine Erhebung unterschiedlicher Merkmale eben genau nicht erforderlich.

Bei der Besetzung eines Bürgerrats (oder einem ähnlichen Gremium) wählt man aber ja eine tendentiell kleine Stichprobe.
Und die Diskussion über die Formulierung „mit Migrationshintergrund“ in diesem Faden entstand ja als Reaktion darauf das in der Lagefolge davon gesprochen wurde in der Stichprobe für den Bürgerrat neben „Geschlecht“, „Alter“ auch das Kennzeichen „Migrationshintergrund“ zu kontrollieren.