Vielen Dank für den interessanten Podcast. Ich bin selbst im Wissenschaftssystem unterwegs, derzeit als Junior Prof, ohne Tenure Track.
Mit der Beschreibung des Ist-Zustands stimme ich überwiegend überein. Ich würde die geplante Änderung des Gesetzes aber fundamental anders bewerten:
Das Problem ergibt sich, das ist korrekt dargestellt, daraus, dass es sehr viele Leute so toll finden, Prof. zu werden, dass sie dazu bereit sind, ein extrem großes Risiko in Kauf zu nehmen („Verschwendung“ von 10 Jahren Lebenszeit*). Deshalb versuchen es so viele Leute, dass es zwangsläufig sehr viele nicht schaffen können. Deswegen: Risiko.
Das neue Gesetz führt aber nun doch dazu, dass nicht erst nach 10 Jahren in der Postdoc Phase ausgesiebt wird, sondern schon nach drei. Aus der Perspektive der Mitarbeiter:innen ist das doch besser, weil sie weniger „verschwendete“ Lebenszeit* beklagen müssen und diejenigen, die das System nach zehn Jahren sowieso verlassen hätten, finden das jetzt schon nach drei Jahren heraus. Das ist doch besser!
Ich glaube, dass alle Mitarbeiter:innen, die man am Ende hört, einen entscheidenden Punkt übersehen: Wenn sie sich nach drei Jahren PostDoc auf Professuren bewerben, haben sie nicht so schlechte Chancen wie sie jetzt glauben: ihren Konkurrent:innen im Bewerbungsprozess geht es ja genau so wie ihnen!
Ok, ich gestehe zwei Einschränkungen zu:
- Für diejenigen, die als erste von dem neuen Gesetz betroffen wären, ist es tatsächlich blöd, weil sie konkurrieren ja mit Leuten die nach der bestehenden Regel sechs Jahre Zeit zur Qualifikation hatten. Aber auch das ist nicht unmöglich.
- Sie konkurrieren mit Bewerberinnen aus dem Ausland, die mehr als drei Jahre zur Qualifikation hatten. Vielleicht sind das nur wenige, aber dies könnte tatsächlich zu einem systematischen Nachteil führen wenn man nicht international mobil ist.
Richtig blöd, und da hatten einige der Stimmen in der Tat Recht, ist es für die Arbeitgeber:innen (also die Unis) und den Wissenschaftsstandort weil wir die Leute nur noch kürzer „ausbeuten“ dürfen.
Aber wie gesagt, aus der Arbeitnehmerperspektive ist die vorgeschlagene Änderung meiner Ansicht nach besser.
Nicht, weil sie sichere Jobs schafft, sondern weil sie zu einem früheren Zeitpunkt im Leben Klarheit verspricht.
Noch zwei Ps:
- *„verschwendete“ Lebenszeit: Ich weiß nicht. Der Job ist ja auch keine Katastrophe. Je nach Fach (nicht für alle) stimmt es zwar, dass man außerhalb der Uni (teilweise erheblich) mehr verdient. Aber dafür hat man riesige Freiheiten und kann häufig komplett selbstbestimmt arbeiten - also nicht nur wann und wie, sondern tatsächlich auch was, also an welchen Themen. Das ist sehr besonders und findet man außerhalb der Uni vermutlich (?) nirgends.
Außer man macht sich selbständig… das aber auch nicht unbedingt die größte Sicherheit bringt.
- ich glaube, dass es auch eine inhaltliche Leerstelle gab, bin aber unsicher: aktuell ist es so, dass bei Drittmittelprojekten eine Ausnahme vom wiss zvg gilt: man darf also länger als sechs Jahre als Postdocs arbeiten wenn man über ein Projekt bezahlt wird, sprich, nicht aus Landesmitteln. Das ist nicht irrelevant. Ein Beispiel: Von meinen sechs Mitarbeiter:innen sind fünf auf Projektstellen. Die sind zwar alle Prädocs, aber bei Postdocs ist das Verhältnis wahrscheinlich sogar extremer, weil es da noch weniger Stellen auf Landesmittel gibt.
Ich weiß jedoch nicht, ob diese Regelung bei dem Vorschlag von Frau Stark Watzinger beibehalten wird, deshalb meine Unsicherheit.
Vielleicht wurde das im Podcast weggelassen, um ein ohnehin kompliziertes Thema nicht noch komplizierter zu machen (?).
Vielleicht noch ein Punkt:
Ich finde nicht dass alles gut ist im Wissenschaftssystem in Deutschland - im Gegenteil! Es gibt mit Sicherheit viel zu wenige Dauerstellen im Mittelbau - aber das lässt sich meiner Ansicht nach nicht mit der Abschaffung von Kettenverträgen ändern. Meiner Ansicht nach wäre es sinnvoller, in der Forschungsfinanzierung entgegen des Trends der letzten Dekaden wieder zurück umzuschichten: von der Finanzierung von Forschung über Drittmittel hin zu mehr Grundausstattung. Damit könnten die Unis mehr Dauerstellen für Daueraufgaben schaffen, auf denen eine hohe Rotation wirklich keinen Sinn ergibt.