Wir brauchen nicht darüber zu streiten, dass der Tweet mti dem Wunsch, mit 200 km/h über die Atobahn rasen zu können, selbst für die Standards der FDP dumpf war. Was der Tweet aber in meinen Augen korrekt anspricht und was ich bei den bisherigen Reaktionen vermisse, ist die Tatsache, dass die Bahn entgegen allen Beteuerungen vielleicht ein Notbehelf, aber keine Alternative zum Auto darstellt. Damit Ihr meine Haltung einschätzen könnt: Ich habe seit 20 Jahren kein Auto mehr und bin bis zur Pandemie mehrmals täglich mit öffentlichen Verkehrsmitteln gefahren. Dennoch oder gerade deswegen ärgert es mich, wenn der desolate Zustand des ÖPNV schöngeredet und die Kritik daran als Autofahrerlobbygeschwätz weggewischt wird. Ein paar Beispiele:
-
Ich kenne die Strecke Kiel-Hamburg, die von dem ICE-Ausfall betroffen war. Vom Tag des Ausfalls habe ich durch einen Zufall Fotos, die in Orten entlang der Strecke aufgenommen wurden. Die gefallenene Schneemenge erinnert an den Puderzuckerhauch auf einem Rührkuchen. Wenn das Schnee und Eis sein soll, ist Bodennebel eine Flutkatastrophe. Was auch immer zum Ausfall des ICE geführt haben mag - Witterung war es nicht. Genau das schamlose Belügen der Fahrgäste ist es, was für das schlechte Image der Bahn sorgt. Leute stehen am Bahnhof und warten seit 20 Minuten auf ihren Zug, der seelenruhig mit 10 Minuten Verspätung angesagt wird. Die Ansage wechselt mit der Begründung zwischen „Verzögerungen im Betriebsablauf“, „Verspätung aus vorheriger Fahrt“ und „Polizeieinsatz“. Allein schon die Haltung „lass den Idioten am Bahnsteig irgendwelchen Schwachsinn erzählen, das merken die nie“ empfinde ich als Unverschämtheit.
-
Erst in der letzten Woche war ich auf einer Strecke von 150 km Länge insgesamt dreieinhalb Stunden mit der Bahn unterwegs. Von diesen dreieinhalb Stunden habe ich allein eine Stunde mit dem Warten auf Anschlusszüge verbracht. Die Nettofahrzeit war also gar nicht so übel. Was mich im Schnitt mit Mofageschwindigkeit über die Lande zuckeln ließ, waren die Umstiegszeiten. Die wiederum dürften nicht viel knapper ausfallen, denn in der Gegend, in der ich unterwegs war, sind 15 Minuten Verspätung bei Zügen völlig normal.
-
Gerade in Pandemiezeiten ist die Fahrt in vollgestopften Zügen riskant. Mein Arbeitgeber rät inzwischen davon ab und verlangt statt dessen, dass wir zu Dienstreisen einzeln Autos anmieten - was natürlich ebenso blödsinnig ist. Es ist schon absurd, wenn ich auf Veranstaltungen mit Abstandsgeboten, 3G-Regel und Maskenpflicht stehend in einem Zug fahre, in dem die Leute kurz die Maske abnehmen, damit sie befreiter husten können.
Kurz: Es reicht nicht, sich über die bösen Autos zu echauffieren, wenn die angebliche Alternative beim besten Willen keine ist.