Baerbock, Habeck und Sexismus

Naja ist die Frage was aufbauen heißt und System. Ich würde dass auf die gesellschaftlichen Hierarchien Machtsysteme beschränken. Kapitalismus ist ja ein sehr anpassungsfähiges System. Ich bin auch der Ansicht, dass die Veränderung der Produktionsverhältnisse ein relevanten Beitrag bspw. zur Gleichstellung der Frau geleistet hat. Gerade, wenn man sich beispielsweise den Niedergang des alleinverdiener Modells im Zusammenhang mit der Integration und Gleichstellung von Frauen im Lohnarbeitsverhältnis betrachtet. Das deutet ja auf ein komplexes Verhältnis zwischen kapitalistischem System und sexistischen Strukturen. Daher ja voll die Verkürzung und diffuse Bezeichnungen, wie System können das nicht wiederspiegeln.

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Stimmt aber nicht, viele Menschen in Deutschland bekommen keine Wahl. Findet man z.B. keinen Betreuungsplatz für die Kinder, muss eine Person zu Hause bleiben. Das ist oft die Person mit geringerem Einkommen und das wiederum trifft Frauen häufiger als Männer.

Die Investitionen und politische Anstrengung, die nötig sind um daran etwas zu ändern, sind immens. Und daher gibt es eine sehr starke Motivation bei vielen Parteien, nichts am status quo zu ändern. Stattdessen führen Sie z.B. ein Betreuungsgeld ein und halten am Ehegattensplitting fest. Oder anders ausgedrückt: Sie sind motiiert die sexistischen Strukturen zu halten oder zu verstärken. Und das ist keine Verschwörungstheorie, dafür stehen die entsprechenden Parteien ganz offen.

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Ich finde, ihr schlagt euch auch so ganz gut, immerhin sind gleich mehrere Leute darauf gekommen, dass Sexismus nicht der allerletzte Vorwurf sein sollte, sondern in unserer Gesellschaft tief verankert ist. Meistens finde ich Diskussionen über Sexismus im Internet, egal wo, wenig gewinnbringend und nehme deshalb gar nicht erst teil, weil es dann doch wieder darauf hinausläuft, dass es das „in Deutschland ja gar nicht mehr gibt und guck mal, in Afghanistan dürfen Frauen nicht mehr zur Arbeit gehen, das ist Sexismus“.
Ein aktuelles Beispiel, ich hatte gerade im Lageforum mal wieder eine schöne Erfahrung. Letztens habe ich im „Hängt die Grünen“-Thread etwas über die „1 Pimmel“-Beleidigung geschrieben. Mit diesem Wort hat das Forum anscheinend kein Problem, das blieb so stehen. In einem anderen Thread habe ich versucht, das Wort „Vagina“ zu benutzen und wunderte mich dann doch sehr, dass das zu „Geschlecht“ korrigiert wurde. Was soll so was in diesem Forum? Sind weibliche Geschlechtsorgane jetzt Schimpfwörter, eklig, unangemessen oder …?

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Hallo Mariella,
tatsächlich habe ich das Wort “Vagina“ in “weibliches Geschlechtsorgan“ geändert. Dass ich das geändert habe, habe ich auch kenntlich gemacht.
Ich hätte auch das Wort “Pimmel“ geändert, hätte es keinen politischen Zusammenhang gehabt.

Was ich damit sagen will: das hatte absolut gar nichts mit Sexismus zu tun! Viel eher damit, dass ich in diesem Punkt wohl etwas altmodisch bin!

Du hast bei Überlegung aber definitiv recht, dass das Wort absolut kein Problem darstellt!!

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Ich stimme dir überall zu, allerdings ist das trotzdem eine andere Aussage, als dass whatever System auf Sexismus „aufbaue“ und daher nicht ohne könne. (Beim Rassismus hat interessanterweise niemand versucht, das Argument zu unterstützen.)

Und nochmal zurück zum Ausgangspunkt: der war ja „es ist

weil, Sexismus unserem System „immanent“ sei.

Das ist halt eine ziemlich schwache Argumentation, da 1. eben diese Systemimmanenz nicht belegt (oder sogar offensichtlich nicht gegeben) ist und dann 2. der bloße Verweis auf die Existenz von Sexismus ohne irgendwelche konkreten Anzeichen im Einzelfall auch einfach nur ein beleidigender Vorwurf ist.

Fakt ist: ich habe (wie andere) schon bei der Nominierung von Baerbock gesagt, dass sie prima facie die schwächere Option war, wegen 1. der fehlenden Regierungserfahrung und 2. der geringeren Bekanntheit und Beliebtheit. Ich habe sie als aktiver Grüner im Wahlkampf natürlich trotzdem unterstützt.

Jetzt fällt ihr halt auf die Füße, dass sie aus den falschen Gründen und in einem undemokratischen Verfahren nominiert wurde. Hätte sie gewonnen, wäre das egal gewesen, aber das Leben ist halt nicht fair. Hätte Armin Laschet gewonnen, würde es jetzt auch keine Rücktrittsforderungen gehen, obwohl er grottenschlecht performed hat…

Gut wäre es halt, wenn es ein im konkreten Einzelfall nachvollziehbar begründeter Vorwurf wäre (der idealerweise auch noch plausibler wäre als andere begründbare Erklärungen) - oder ist eine solche Begründung aus Deiner Sicht nicht mehr notwendig?

Verstehe ich das richtig, dass du um ein konkretes Beispiel bittest, wo Baerbock sexistisch bewertet wurde?

Falls ja, hast du den Artikel von Raether gelesen?

Nein, der Ausgangspunkt war doch:

Dieses Bewertung (durch andere Grüne, nicht durch Ulf) wurde doch ohne weiteren Beleg und nur mit Verweis auf die gesellschaftliche Existenz von Sexismus auf Sexismus zurückgeführt. Das halte ich für Quatsch. (Meine Argumente, warum Habeck wahrscheinlich der bessere Kandidat gewesen wäre, wiederhole ich jetzt nicht, s.o.)

Ja, ich habe den Artikel gelesen, der enthält aber auch nur allgemeine Ausführungen und keinen konkreten Beleg, wohingegen es berechtigte Einwände gegen Baerbock gab, die nichts mit ihrem Geschlecht zu tun haben.

Und das ist ein anderes Thema als die Frage, ob sie an anderer Stelle sexistisch bewertet wurde (was ich sofort glaube).

Nein, natürlich spielt das Geschlecht bei Diskussionen über Geschlechterverhältnisse überhaupt keine Rolle. Zudem sind Männer ja von Natur aus objektiv und neutral /Ironie off.

Dann ist ja nach Deiner Logik der bloße Verweis auf die Existenz von Kapitalismus als einem wesentlichen gesellschaftlichen Strukturmerkmal ohne aus Deiner Sicht ausreichende empirische Belege vermutlich auch ein „beleidigender Vorwurf“ gegenüber Kapitaleigner:innen, korrekt?

Warum fällt es eigentlich einigen so schwer, anzuerkennen, dass moderne „westliche“ gesellschaften von diversen Machtverhältnissen strukturiert sind, zu denen eben auch das Verhältnis unterschiedlicher Geschlechter gehört bzw. der Vorstellung, die die meisten davon haben? Und warum ist die Weigerung, dies anzuerkennen merkwürdigerweise immer bei jenen besonders hoch, die von diesen Machtverhältnissen tendenziell eher profitieren?

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Nun, was der Artikel enthält ist die Erkenntnis, dass Baerbock bei Fakten häufiger richtig lag als die anderen Kandidaten und gleichzeitig nach Ende des Interviews in einer Befragung nicht als kompentent bezeichnet wurde, sondern als sympathisch.
Zusätzlich wurde eine Expertin (ich habe die genaue Qualifikation vergessen, weiß aber noch, dass sie mir akzeptabel vorkam) zitiert, die meinte, dass das sehr typisch sei, nämlich, dass Frauen, wenn sie einen guten Eindruck machen, sympatisch erscheinen, Männer hingegen kompetent.
Du magst das nicht als ausreichend konkret empfinden, aber erstens geht das anderen anders und zweitens ist das mehr als „allgemeine Ausführungen“.

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Ja, das stimmt, das sind Belege für einen systematischen bias, von dem man unterstellen kann, dass er an vielen Stellen wirkt - auch wenn es in der konkreten Situation halt sehr gute und konkrete Gründe für Kritik an Baerbocks Nominierung gibt, die sie ausspart, weil sie nicht in ihre Argumentation passen:

  • Baerbock hat die Erwartungen nicht erfüllt
  • männliche Verlierer werden auch nicht geschont
  • Baerbock ist wegen ihres Geschlechts nominiert worden und trotz der geringeren Erfahrung und Bekanntheit und Beliebtheit

Ergänzung: männliche Verlierer

Du weißt wahrscheinlich (hoffentlich) schon, was ich meine: die empirische Richtigkeit oder die logische Konsistenz oder Relevanz einer Aussage oder Schlussfolgerung (außer über das persönliche Erleben) ist unabhängig vom Geschlecht (der Hautfarbe etc.) der Person, die sie äußert. Das ist absolut grundlegend für jede Diskussion und wenn jemand das anders sieht, muss man gar nicht weiterreden.

Der Verweis auf die Existenz von „Kapitalismus“ (oder Marktwirtschaft) oder Sexismus ist für sich genommen natürlich in Ordnung. Nur weil es Sexismus gibt, heißt das halt nicht, dass eine beliebige Handlung durch Sexismus begründet ist. Oder: es gibt sicherlich Gier im „Kapitalismus“. Das heißt aber nicht, dass jede Handlung eines „Kapitaleigners“ durch Gier motiviert ist, vor allem nicht, wenn es andere, plausiblere Motive gibt.

Ich habe immer noch nicht das Gefühl, dass du, @ChristianF das Thema verstanden hast.

Ist aber auch nicht mehr so wichtig. In der Lage von Freitag hat @vieuxrenard seine Position im Vergleich zur Lage-Spezial präzisiert und die offensichtlich misogynen Strukturen angesprochen. Damit ist dann auch gut.

Für mich waren Situationen wie

  • die letzte Frage im Sommerinterview,
  • die Bewertung der Performance in den Triellen,
  • die unterschiedliche Bewertung von ‚Fehlern‘
    und weiteres nur schwer zu ertragen.
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Könnten wir ohne Sexismus und Rassismus? Bestimmt (und hoffentlich!) irgendwann einmal. Wie das auf den verschiedenen Ebenen (persönliche Einstellungen: nur, wenn ich beschließe, ab heute nicht mehr sexistisch zu sein, heißt das ja nicht, dass ich es auch ab da nicht mehr bin; strukturell; institutionell; …) tatsächlich zu stemmen ist, ist noch einmal eine andere Frage.
Bzgl. unseren gesellschaftlich-politischen Systems geht es aber nicht ohne grundlegende Reformen. Das heißt nicht, wir bräuchten eine Revolution und ein komplett neues System. Aber „einfach so“ sind diese strukturellen Diskriminierungen nicht einfach zu eliminieren.

Und der Rest ist m.E. Haarspalterei. „aufbauen“ bedeutet nicht, dass Sexismus eine hinreichende Bedingung unserer gesellschaftlichen Existenz ist. Es ist ein Element, das dazu führt, dass (salopp gesagt) der Laden läuft.

ergibt für mich keinen Sinn: wer würde denn dadurch konkret beleidigt? Wir alle?

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Solche Formulierungen finde ich sehr unangenehm, weil sie meines Erachtens schlecht für die Entwicklung des Tonfalls im Forum sind.
Besser fände ich eine Formulierung wie „Ich habe das Gefühl, dass bei dir nicht ankommt, was ich versuche, zu sagen.“

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Das glaube ich nicht, bzw. war nicht mein Eindruck. Ich bin kein Mitglied der Grünen, und kann daher falsch liegen. Mein Verständnis war aber, dass sie wegen ihrer besseren Eignung für das Kanzleramt ausgewählt wurde. Das ist nicht das gleiche wie die Eignung für den Wahlkampf, und zeigte sich meines Erachtens in ihrer Führungsrolle innerhalb der Partei, mehr im Hintergrund als Habeck, aber mit großem Erfolg was die Einigung der Partei angeht. Habecks Erfahrung ist dagegen die eines Ministers, nicht die eines Ministerpräsidenten, was mit einem Kanzler vergleichbar wäre.
Wie gesagt, das ist mein Blick von außen und daher vielleicht verfälscht. Aber jedenfalls gibt es durchaus noch andere Gründe, Baerbock zu bevorzugen als ihr Geschlecht.

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Das kann ich nicht ausschließen, weil ich da nicht nah dran war, ich höre es aber zum ersten Mal.

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Da kann natürlich sein. Ich habe verstanden, dass das Thema sei,

und ob dies jetzt eindeutig auf Sexismus zurückzuführen sei. (Zu den anderen, m.E. naheliegender Gründen, die ich aufgeführt habe, hat sich kaum jemand geäußert.)

Wenn dein Thema eher die Tonalität in der Lage oder Sexismus ggü. Annalena Baerbock im allgemeinen war, habe ich das missverstanden…

Aber in der Tat: lass uns das Thema beenden. Mir scheint, manche wollen hier unbedingt Sexismus als Ursache sehen und alternative Erklärungen nicht einmal in Erwägung ziehen, (was auch immer der Grund dafür sein mag).

So wie ich @Herbert verstanden habe, ging es allgemein um die Frage, welche Eigenschaften, Kompetenzen und Schwächen Frauen in dieser Gesellschaft (nicht) zugeschrieben werden und wie sich dies im konkreten Fall auf die Beurteilung von Annalena Baerbock auswirkt - sowohl was die Gründe für ihre Nominierung angeht als auch die Ursachen für das vermeintlich schlechte Abschneiden der Grünen.

Bei Baerbock zeigt sich m. E. deutlich, dass ihr a) persönliche Kompetenz abgesprochen wird, während sie gleichzeitig b) für ein (vermeintlich) schlechtes Abschneiden ihrer Partei persönlich verantwortlich gemacht wird. Hier zu denken, das habe nichts mit der Tatsache zu tun, dass sie eine Frau ist, finde ich ehrlich gesagt reichlich naiv. Der Verweis auf gesellschaftlich dominierende Geschlechterungerechtigkeit sollte m. E. ausreichend sein als Hinweis darauf, dass man diese „Brille“ nicht einfach ignorieren kann, sondern sie vielmehr zum Ausgangspunkt einer Analyse der individuellen Qualitäten von Baerbock machen muss.
zu a) Ein gängiges Narrativ, das z. B. auch Habeck in seiner „Verzichtserklärung“ bedient ist ja, dass Baerbock überhaupt nur nominiert wurde, weil sie eine Frau ist. Niemand würde Christian Lindner jemals unterstellen, dass er nur deshalb FDP-Vorsitzender wurde, weil er ein Typ ist.
zu b) Zu klären wäre ja, welchen Anteil am „Einbrechen“ der Grünen in den Umfragen der letzten 3 Monate vor der Wahl überhaupt der Spitzenkandidatin zuzuschreiben ist. Zudem ist zu berücksichtigen, was die - milde formuliert - etwas ungleich verteilte Kritik an Fehlern von Baerbock, Scholz und Laschet im medialen Diskurs wiederum damit zu tun hat, dass Baerbock eine Frau ist.

TL/DR: Es geht letztlich um nicht mehr und nicht weniger, als ein wesentliches Strukturmerkmal unserer Gesellschaft bei der Analyse zu berücksichtigen und zu reflektieren, nämlich die unterschiedliche Wahrnehmung und Bewertung von Frauen und Männern.

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Ja, nichts für ungut. Ich glaube, wir sind auch nicht soweit voneinander weg. Mir ist es manchmal auch zu viel und zu unpräzise die Sexismus-Keule. Und ob er jetzt besser gewesen wäre als sie, wer weiß es. Für die Grünen: verschüttete Milch. Die Konkurrenz freut‘s. Die Kampagne war insgesamt schwach. Das ist an anderen Stellen hier im Forum schon diskutiert worden.

In dem konkreten Fall von Baerbock, fand ich Sexismus verstörend deutlich sichtbar (siehe die von mir genannten Beispiele). Das war mir wichtig. Ich fand’s gut, wie Ulf das in der letzten Lage präzisiert hat.