Autokratisierung nimmt zu

Danke für die Hintergründe zu Autokratisierungstendenzen weltweit und vor allem in den USA. Ich lebe in Kanada und wir beobachten die Situation mit einer Mischung aus Kopfschütteln und Sorge. Die USA sind für Kanada natürlich extrem wichtig und in vielen Bereichen (Sport/Kultur) sind die Verbindungen eng. Doch vor allem was seit Beginn der Pandemie passiert, ist schwer verständlich. Kanada hat die Situation (relativ) gut gemeistert. Kein Risikogebiet laut RKI. Demos gegen die Corona-Maßnahmen hat’s nur hier und da gegeben. Bund und Provinzen arbeiten ziemlich gut zusammen. Vor allem das Vertrauen in die Regierung hat zugenommen. Das sehr schnell aufgestellte kanadische Kurzarbeitergeld-Pendant (Canada Emergence Response Benefit) hat vielen geholfen. Jetzt fokussiert sich die Debatte auf die Frage, wieviel Schulden noch zu verantworten sind. Eine vernünftige Debatte in einer Demokratie. Vielleicht wär’s mal interessant, wenn ihr den Blick auf Länder wie Kanada oder auch Australien oder Neuseeland werft. Wenn die Krise vorbei ist, werden wir viel lernen können, wie unterschiedliche Gesellschaften und politische System reagiert haben, und welche Gründe es für Erfolg und Misserfolg gab.

https://www.washingtonpost.com/world/the_americas/coronavirus-canada-united-states/2020/07/14/0686330a-c14c-11ea-b4f6-cb39cd8940fb_story.html https://www.washingtonpost.com/world/the_americas/coronavirus-canada-united-states/2020/07/14/0686330a-c14c-11ea-b4f6-cb39cd8940fb_story.html

Ich fand den Hinweis zur „Messung der Demokratie“ sehr interessant, vor allem die Aussage, dass die Anzahl an Autokratien weltweit zugenommen hat und mehr als die Hälfte der Menschen auf der Welte mittlerweile in Autokratien leben.
Wo kann ich diese Statistiken nachlesen, gibt es deutschsprachige Analysen zu dieser Methodik?

Noch vor vier Jahren hätten sämtliche politischen Beobachter nach einem solchen Auftritt gesagt: „Das war’s. So einen Auftritt will das amerikanische Volk nicht. Trump ist erledigt.“

Inzwischen ist man schlauer: Es sind genau solche Auftritte, die Trumps Basis liebt. Sie werden ihn dafür feiern. Und damit ist die Erkenntnis unausweichlich, dass 40% aller Amerikaner an einem zivilen Diskurs kein Interesse mehr haben. Und schlimmer: Sie haben an einer zivilen Gesellschaft kein Interesse mehr. Zumindest nicht an der zivilen Gesellschaft, die ihr Land ihnen anbietet.

Und es geht mir jetzt hier nicht einmal darum, sie als Faschisten zu brandmarken. Klar sind sie Faschisten. Viel interessanter ist aber die Frage, was sie zu solchen gemacht hat. „Die rechten Medien“, höre ich. Und natürlich spielen die eine Rolle. Aber die sähen nur auf bereits fruchtbarem Boden, investieren in einen existierenden, wachsenden Markt. Und die Frage muss beantwortet werden: Was macht diesen Boden so fruchtbar? Was füttert diesen Markt?

Und da denke ich, dass ein sich immer weiter verschärfendes Gefühl der Machtlosigkeit, ausgelöst durch Jahrzehnte stagnierender Löhne, immer höhere Kosten für höhere Bildung bei gleichzeitig gestiegener Konkurrenz durch Randgruppen entscheidende Rollen spielen. Und letztere füttert dann einen latenten Rassismus, der ja in uns allen irgendwo lauert und von den Interessierten am unfairen Status Quo dann zynisch gespielt werden kann und - siehe FPÖ und AfD - gespielt wird.

Die US-Zivilgesellschaft existiert nur noch auf dem Papier. Biden, wenn er gewählt würde, hätte vier Jahre Zeit, Trumps Zerstörungen aufzuräumen und das US-Steuer-, Schul- und Ausbildungssystem so umzubauen, dass die sich bedroht fühlende Mittelklasse wieder Licht am Ende des Tunnels sehen kann. Das kann er bei den überall eingebauten Bremsen im US-System und der andauernden Kontrolle der Wall Street über etwa die Hälfte der demokratischen Abgeordneten (und 100% der Republikaner) nicht schaffen, selbst, wenn er 20 Jahre jünger wäre und das wollte. Denn die Wall Street, die hat ein milliardenschweres Interesse am Status Quo. Und der ist die Zivilgesellschaft komplett piepegal, solange ihre Gated Communities gut geschützt sind.

In Europa sind die Chancen noch ein bisschen besser. Aber nur, wenn wir endlich begreifen, dass nur eine deutliche Erhöhung der Chancengleichheit, der Durchlässigkeit der Gesellschaft und der Einkommen am unteren bis mittleren Ende des Spektrums uns vor demselben Abrutschen in dieselbe Hoffnungslosigkeit bewahren kann, in der sich die USA gerade selbst strangulieren.

Die wirkungsvollste Propagandawaffe für den Faschismus ist die seit 40 Jahren immer evidenter werdende Tatsache, dass die westliche Demokratie gepaart mit dem seit den frühen 80ern dominanten neoliberalen Wirtschaftssystem strukturell nicht in der Lage ist, dem ärmeren Teil der Bevölkerung eine faire Chance einzuräumen. Und so verfallen die politisch und ökonomisch Mächtigen wie üblich auf das älteste aller politischen Instrumente: Teile und herrsche!

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