Ausschluss der Grünen-Landesliste Saar

Die verfassungsrechtlich verankerten Wahlgrundsätze sind „allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim“. Von öffentlich steht nichts im Grundgesetz.

Das Bundesverfassungsgericht leitet den Öffentlichkeitsgrundsatz aus dem Demokratieprinzip in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip ab, hier der Leitsatz aus der Wahlcomputerentscheidung (BVerfG, Urteil v.9.3.2009):

Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl aus Art. 38 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG gebietet, dass alle wesentlichen Schritte der Wahl öffentlicher Überprüfbarkeit unterliegen, soweit nicht andere verfassungsrechtliche Belange eine Ausnahme rechtfertigen.

Die Details finden sich in den Rd. 107 ff.

Mich wundert auch, dass das vom Bundeswahlleiter nicht thematisiert wurde. Die Schwierigkeit besteht mMn nämlich darin, die Leitlinien für die Bundestagswahl selbst auf die konkrete Wahl der Delegierten herunterzubrechen.
Das fängt bei der Frage an, was das Pendant zum Wahlvolk der BVerfG-Entscheidung sein soll? Die wahlberechtigten OV-Mitglieder - das wäre die direkte Übertragung des Urteils und aus meiner Sicht das Minimum, das aber wohl auch erfüllt war.
Oder man argumentiert, dass über die Parteilisten letztlich entschieden wird, wer vom deutschen Volk überhaupt gewählt werden kann, weswegen auch die Vorstufen für das gesamte Wahlvolk öffentlich sein müssten. Das wäre allerdings ein Novum und recht überraschend für alle Parteien, die eine so weite Öffentlichkeit nicht vorsehen.
Oder man argumentiert, dass die Parteisatzungen das Öffentlichkeitsprinzip ausfüllen und deswegen maßgeblich sind. Das wäre wohl die Position des grünen Bundesschiedsgerichts. Nur dann bin ich beim Bundeswahlleiter, dass man die Verstöße und die Folgen gegeneinander abwägen sowie Heilungsmöglichkeiten nutzen muss. Denn der starke Verdacht, dass der Ortsverband Saarlouis auf welche Weise auch immer manipuliert ist, ist mangels Beweisen ein politisches Argument (das bei der Bewertung des Handelns der Grünen berücksichtigt werden kann), aber kein rechtliches - weder für das Bundesschiedsgericht, noch für den Bundeswahlleiter.

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Hallo Matti,

Deine Quellen (insb. die BVG entscheidung) beziehen sich jetzt aber wenn ich es richtig verstehe nur auf die Öffentlichkeit bei der Bundestagswahl selber, nicht wahr?

Du sagst aber ja, dass sich dies auch auf das parteiinterne Nominierungsverfahren bezöge. Hierfür würde ich mich über eine konkretere Quelle freuen (Nicolai scheint es ja auch nicht sooo klar zu sehen).

Insbesondere wäre dann ja auch der Einsatz von elektronischen Wahlauszählungssystemen bei Listenaufstellungen die Grenzen des Wahlcomputerurteils gesetzt - da bin ich ebenso sicher dass sich da diverse Parteien nicht dran halten, wie das deren Aufstellungsversammlungen nicht per se öffentlich sind.

BlockquoteDer Tagesspiegel spricht von 700 Mitgliedern der Grünen im Ortsverband Saarlouis, einem Kaff von 34.400 Einwohnern und dem Stamm-Ortsverband von Hubert Ulrich. Das Saarland hat eine knappe Millionen Einwohner. Unten kommen noch ein paar Zahlenspiele, im Ergebnis würde man bei einem solchen Ortsverband ca. 30-40 Mitglieder oder 2,5 % der Landesdelegierten erwarten.

Der Denkfehler ist die Gleichsetzung der Stadt Saarlouis mit dem Landkreis Saarlouis. Der Kreisverband der Grünen umfasst den gesamten Landkreis nicht nur die Stadt. Das sind knapp 200.000 Einwohner und damit etwa 1/5 der Einwohner des Saarlandes.

Damit ist der Kreisverband immer noch mitgliederstark, aber die Rechnung mit den 2,5% ist falsch.

Was vielleicht einige hier nicht wissen: auch bei der Linken gab es Probleme mit der Aufstellung der Liste. Oskar Lafontaine wirft der Nummer 1 auf der Liste Thomas Lutze vor, die Wahl manipuliert zu haben. Gegen Lutze ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Streit bei der saarländischen Linke

Streit bei der Linken

Lafontaine führt die Probleme darauf zurück, dass es im Saarland in kleinen Parteien aufgrund der Größe relativ einfach ist, die Listenwahl zu manipulieren. Man kann über Lafontaine sicherlich unterschiedlicher Meinung sein - er kennt die saarländische Politik wie kaum ein anderer.

Ich dachte auch, dass das mein Denkfehler sein könnte. Allerdings spricht der Bundeswahlleiter im oben verlinkten Video in der Zusammenfassung des Sachverhalts ab ca. 2h47 stets vom Ortsverband Saarlouis, dessen Delegierte und damit knapp ein Drittel ausgeschlossen worden seien, weil Mitgliedern des Kreisverbandes der Zutritt verwehrt worden sei.
Auch in diesem Artikel (Bundestagswahl im September: Saar-Landesliste der Grünen bleibt ausgeschlossen | tagesschau.de) heißt es:

Im Juli folgte dann Versuch Nummer zwei. Doch zuvor hatte das Bundesschiedsgericht der Grünen 49 Delegierte aus Ulrichs Ortsverband Saarlouis von dieser Abstimmung ausgeschlossen. Der Grund: Das Parteigericht hatte bei der Wahl der Delegierten in dem Ortsverband Unregelmäßigkeiten festgestellt. Sie machen rund ein Drittel der stimmberechtigten Grünen-Mitglieder aus.

Es scheint also wirklich der ORTSverband zu sein, der ein Drittel der Delegierten stellte bzw. gestellt hätte.

Wie gesagt: Ich glaube, man glaubte, man könne dieses Mal dem Ulrichschen Spuk beikommen und war so froh darüber und fixiert darauf, dass man naheliegende Abhilfemöglichkeiten außer Acht gelassen hat.

Das wollten wir nicht und haben wir auch nicht, wir haben uns zu dieser Personalie schlicht nicht geäußert.

Darauf kommt es m.E. aber auch nicht entscheidend an, denn selbst wenn er der Pate schlechthin sein sollte, was ich nicht einschätzen kann, dann muss man ihm mit demokratischen Mitteln beikommen. Es ist jedenfalls keine Option, die Delegierten, die ihm vermutlich nahestehen, einfach auszuschließen.

Danke Matti für den ausführlichen Beitrag!

Das würde ich um Grundsatz teilen, aber konkret ist es dann doch nicht so einfach: Wenn man ein oder zwei Delegierte ausschließt, kann es sehr gut sein, dass die Beschlüsse der Konferenz letztlich nicht darauf beruhen - nämlich wenn alle Entscheidungen mit größerer Mehrheit gefallen sind. Wenn man aber ein Drittel rauskegelt, dann dürfte das Beruhen kaum noch auszuschließen sein. Ich habe allerdings die genauen Abstimmungsergebnisse bei der Listenaufstellung auf die Schnelle nicht gefunden.

Was die Öffentlichkeit angeht: Die Wahl fand ja nicht im Hinterzimmer statt, sondern unter Beteiligung von hunderten Mitgliedern aus Saarlouis. Insofern ist der Zweck der Norm - nämlich Transparenz und Nachvollziehbarkeit sicherzustellen und Mauscheleien zu vermeiden - jedenfalls bei den konkreten Abläufen in Saarlouis nicht berührt. Umso ferner lag es m.E., darauf zu stützen, dass die 49 Delegierten einfach ausgeschlossen werden.

Außerdem müsste doch auch dem Bundesschiedsgericht eingeleuchtet haben, dass man eine verletzte Formvorschrift bei einer Wahl, die sich auf das Ergebnis nicht ausgewirkt haben dürfte, nicht ernsthaft dadurch kompensieren kann, dass man ein Drittel der eigentlich Stimmberechtigten von einer Listenaufstellung ausschließt, was das Ergebnis ganz sicher massiv beeinflussen wird.

Ehrlich gesagt haben wir diese Details des Beschlusses des Bundesschiedsgerichts in der Lage nicht erörtert, weil ich die Begründung so offensichtlich abwegig fand, dass sie mir keine Diskussion wert war. Ich hatte angesichts der Abwegigkeit der Entscheidung schlicht keinen Zweifel daran, dass man lediglich einen Vorwand gesucht hat, um die Listenaufstellung in die „richtige“ Richtung zu manipulieren. Das ist letztlich eine journalistische Einschätzung: Wie viel Details muss man liefern, dass ein zutreffendes Bild entsteht? Und was ist so unsinnig, dass man es nicht erwähnen muss? Gerade bei einem Audio-Medium müssen wir immer wieder solche Entscheidungen treffen. In Print hätte ich das vermutlich anders gesehen.

Ich halte das Straffen der Diskussion um die (m.E. Fake-)Begründung des Bundesschiedsgerichts nach wie vor für richtig. Aber nachdem nun aber einige Menschen dieses Detail vermisst haben, holen wir die inhaltliche Begründung, warum das Argument nun wirklich nicht zieht, in der nächsten Folge nach.

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Ja insbesondere ist es doch so, dass einem so ein Verstoß nicht erst auffallen darf, wenn die Abstimmung schon gelaufen ist. Das ist doch genauso bei der Big Lie, wo Trump nach der Wahl plötzlich auffällt, dass das alles ganz unsicher gewesen sein soll. Vor der Wahl wären solche Vorwürfe deutlich glaubwürdiger gewesen als hinterher, wo einem das Ergebnis nicht passt.

Gibt es Schätzungen oder gar Umfragen, wie viele Stimmen den Grünen dort jetzt verlorgen gegangen sind?

Oder, evtl. noch schwerer zu beantworten, wie viele Stimmen zumindest RRG verloren hat? Einige mögliche Grünen-Wähler, werden ja sicherlich auch stattdessen die SPD oder die Linke gewählt haben.

Die „Daten“ die ich nur gefunden habe, ist, dass der Ersstimmenanteil für die Grünen von 4,4 auf 5,4 % gestiegen ist. 31.000 Stimmen.
Und letzte BTW hatten sie 6 % der Zweitstimmen im Saarland.

Also letztes Mal hatten die Grünen genau 1 Mandat aus dem Saarland, und rechnerisch wäre es meines Wissens recht unwahrscheinlich gewesen, dass die Grünen dort genug Stimmen für ein zweites bekommen hätten.

Inwieweit dieses eine theoretische Mandat nun an welche andere Partei gegangen ist, oder wieviele Wähler jetzt im Rest des Bundesgebiets vielleicht wegen dieser Unprofessionalität als Hauptgrund von einer Wahl der Grünen abgesehen haben, wird man wohl nicht seriös nachvollziehen können.

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für diejenigen, die das Thema interessiert: es geht in die nächste Runde, die Grünen-Bundespartei will den saarländischen Landesverband entmachten.

der Landesverband sei politisch und administrativ nicht mehr handlungsfähig und habe den Grünen bundesweit schweren Schaden zugefügt. Ziel sei es, demokratische Strukturen zu stärken, Frauen zu fördern und für angemessene Mitgliedsbeiträge zu sorgen

Bericht vom Saarländischen Rundfunk

Bericht der Saarbrücker Zeitung

Es scheint einen Machtkampf zwischen der Bundespartei und dem Landesverband zu geben genauso wie einen Machtkampf innerhalb des Landesverbandes zwischen den verschiedenen Flügeln.

Ich befürchte, ein halbes Jahr vor der nächsten Landtagswahl wird bei diesem Streit nur Verlierer geben - was den Beteiligten wohl gleichgültig ist.

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…klingt nach zumindest dem Vorwurf, die Machthaber im Landesverband würden ihre Mehrheiten auf Mitglieder stützen, die entweder gar keinen oder nur einen minimalen Beitrag bezahlen.