Ausschluss der Grünen-Landesliste Saar

Es scheint auf den ersten Blick ein Geschmäckle zu haben, wenn die Grünen aus dem Saarland nach der Vorgeschichte eine derartige Formalie finden und damit den Ausschluss der Delegierten aus Saarlouis begründen wollen. Ob das beim zweiten nachdenken aber weiterhin problematisch ist, kann man mit guten Gründen in Frage ziehen, falls es tatsächlich objektive Bedenken gegen den Zugang zur Wahlversammlung der Delegierten aus Saarlouis bestehen. Dass das der Fall ist, steht wohl gar nicht in Zweifel. Dass die Saargrünen nach der ersten Wahl nochmal genau hingucken, wo Ullrich angreifbar ist, scheint mir nicht per se verwerflich.

Ich finde es geht jedenfalls an der Sache vorbei, dem Bundesschiedsgericht der Grünen in einem so deutlichen Ton antidemokratische Tendenzen vorzuwerfen, wie ich sie in der Episode rausgehört habe. Sie sind jedenfalls nicht der richtige Adressat für diesen Vorwurf. Immerhin waren sie verpflichtet über diesen Ausschluss aus den von den Saargrünen herausgestellten Gründen auf Grundlage einer unstreitigen Sachverhaltsschilderung zu entschieden. Dabei haben sie ein Ergebnis gefunden, das auch von Teilen des Bundeswahlauaschusses geteilt wurde (vgl. Bundeswahlausschuss 3/4: Beschwerden Bundestagswahl 2021 (05.08.2021) [Liste siehe Kommentar] - YouTube). Auch auf dem Verfassungsblog wird der Ausschluss der Grünen aus Saarlouis für rechtmäßig erachtet und zwar von Stimmen, die nicht gerade im Verdacht stehen, den Grünen nach dem Mund zu reden (Wahlrechtsgrundsätze als Säulen der innerparteilichen Demokratie – Verfassungsblog).

Sollte die Deligiertenwahl nicht öffentlich zugänglich abgehalten worden sein, wäre die Delegation aus demokratischen Gesichtspunkten (Öffentlichkeit der Wahl) ebenso problematisch.

Unterm Strich dürfte aber Einigkeit darüber bestehen, dass es ein unschöner Vorgang ist, der die Grünen nicht in einem guten Licht dastehen lässt. Der Reputationsschaden wird sich möglicherweise an der Wahlurne zusätzlich bemerkbar machen.

Wie der Fall rechtlich zu beurteilen ist, darüber wird das BVerfG abschließend erst nach der Wahl entscheiden. Ob es von einem Wahlfehler ausgehen wird und welche Folgen es daraus zieht, ist m.E. zumindest offen.

Disclaimer: Bin ebenfalls Grüner.

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Nur dass es halt bei euch in der Lage nicht als These vorgestellt wurde, sondern als Fakt. Ihr legt sonst zurecht großen Wert darauf, Fakten und Bewertung zu trennen, und das ist hier völlig in die Hose gegangen. Um es deutlich zu sagen: es gibt nicht den Hauch eines Belegs, dass die Delegierten ausschließlich deshalb ausgeschlossen wurden, um Ulrich zu verhindern. Der Verdacht liegt vielleicht nahe, und als solchen hättet ihr es gerne darstellen können. Aber den formalen Grund nichtmal zu nennen, als hätte es keinen gegeben, überschreitet aus meiner Sicht die Grenze von neutralem Journalismus.

Das Bundesschiedsgericht ist ja nun auch kein weisungsgebundener Unterausschuss des Bundesvorstands, der mal kurz Delegierte ausschließt, die für einen unliebsamen Kandidaten stimmen könnten. Es ist ein unabhängiges Gremium aus rechtlich versierten Menschen, denen man eine demokratische Orientierung nicht einfach absprechen sollte.

Schon der Ausgangspunkt, dass die erste Liste verworfen wurde, weil ein Mann auf Platz 1 gewählt wurde, ist nur die halbe Wahrheit. Das war sicherlich das, was politisch zur großen Irritation in der Partei geführt hat, rechtlich war aber ausschlaggebend, dass einige nicht stimmberechtigte Menschen mitstimmen durften. Auch diese erste Liste wäre also rechtlich möglicherweise unabhängig vom Verstoß gegen das Frauenstatut angreifbar gewesen.

Der ganze Vorgang ist peinlich und unprofessionell genug, wenn man bei den vollständigen Fakten bleibt. Die Hälfte davon einfach auszulassen, war einfach unnötig. Und der Vorwurf, die Grünen hätten Frauenförderung über Demokratie gestellt, ist aus meiner Sicht auch sehr gewagt.

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Sehe das auch so wie brocolli. In der (sehe spannenden) Folge klang das so, als hätten die Grünen einfach mal dummdreist die nicht genehmen Delgierten ausgeschlossen. Das wäre dann schon nochmal ein ganz anderes Kaliber.

In der Tat sind die Delgierten wohl – wenn auch nur vorgeschoben – ausgeschlossen worden, weil es bei der Delegiertenwahl einen kleineren formellen Fehler gegeben hat (Öffentlichkeitsprinzip nicht beachtet). Der Bundeswahlausschluss hat dann letztlich gesagt, dass dieses Öffentlichkeitsprinzip eine parteiinterne Satzungsangelegenheit ist, die keine Verankerung im Wahlrecht hat und deshalb nicht dazu führen kann, dass die ansonsten wahlrechtskonforme Delegiertenbestimmung für nichtig erklärt wird. Die einstündige Verhandlung war ganz spannend: Bundeswahlausschuss gibt drei Beschwerden statt – Saar-Grüne nicht dabei - YouTube (ab ca. h 2:48).

Ist natürlich trotzdem wirklich bedenklich von der Partei, mal eben einen Großteil der Delegierten wegen eines kleineren formellen Fehlers von der Listenwahl auszuschließen, nur weil es einem politisch in den Kram passt.

Aus meiner Sicht gibt es daran nicht den Hauch eines Zweifels. Aber ja, wir hätten den - m.E. eindeutig vorgeschobenen - Grund des Bundesschiedsgerichts in der Lage ausdrücklich nennen sollen.

Dafür, dass der Ausschluss der 49 letztlich um jeden Preis erfolgte und man nur einen halbwegs plausiblen Grund suchte, spricht übrigens auch die massive Intervention von Michael Kellner, über die der Tagesspiegel berichtet:

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Richtig, wir hätten den - m.E. eindeutig vorgeschobenen - Grund des Bundesschiedsgerichts in der Lage ausdrücklich nennen sollen.

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Ich bin zwar nicht bei den Grünen, wohne aber im Saarland. Daher interessiert mich die übergeordnete Frage, wie die Parteistrukturen (hier und bestimmt auch anderswo) funktionieren: Ulrich hat einen wirklich erschreckenden Ruf im Saarland und scheint die Landespartei einfach kulturell/stilistisch völlig ruiniert zu haben mit seinen Machtspielchen.

Mal über das Listendebakel hinaus gedacht: Die Tatsache, dass es im Ex-Montan-Land keine funktionierende grüne Struktur gibt, ist nicht verwunderlich: hier ist man entweder katholisch-konservativ oder sozialdemokratischer Kohlekumpel-Kultur verbunden (also Lafontain-Fan). Das Land ist dicht besiedelt, aber in eher kleinen Ortschaften auch zersiedelt. Die einzige Uni ist in Saarbrücken, und auch nicht gerade groß. Alle klassischen Milieus fehlen also … dass sich da ein Macht-Typ wie Ulrich etabliert, auch unter grüner Fahne, ist nicht verwunderlich. Dass eine solche grüne Landespartei aber mit der Bundesebene in Konflikte gerät, ist wiederum auch naheliegend.

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¹problematisch sehe ich vor allem eines: die Grünen haben es nicht geschafft, eine Liste aufzustellen, die den wahlrechtlichen Ansprüchen genügt.

Ich wohne im Saarland und verfolge das Durcheinander schon eine Weile - das ist ja nicht er erste Zwischenfall. Nach meiner Meinung sind die Grünen im Saarland nicht wählbar, was nicht nur an Hubert Ulrich liegt. Da die Grünen es nicht in den Landtag geschafft haben, stehe ich mit dieser Meinung wohl nicht ganz allein da.

Kern einer Demokratie ist das Spiel nach Regeln - und die Akzeptanz abweichender Meinungen. Ob die Delegiertenwahl vom Kreisverband korrekt oder nicht korrekt war, ist für mich zweitrangig. Sie fand im Mai statt. Wenn sie nicht korrekt war, hätte jemand für eine korrekte Wahl sorgen müssen - vor der zweiten Listenaufstellung. Einfach ein Drittel der Delegierten auszuschließen ist für mich undemokratisch.

Es gibt bei den Grünen im Saarland zwei (offensichtlich) unversöhnliche Lager: die Anhänger von Ulrich im Lreisverband Saarlouis und das Grüne Bündnis. Und es ist wohl so, dass es gegen das Ulrich-Lager keine Mehrheiten gibt. Einfach die Ulrich-Anhänger auszuschließen, ist für mich der falsche Weg.

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Bei der harschen Kritik an der Entscheidung der Bundesschiedskommission der Grünen zum Ausschluss der Delegierten aus Saarlouis springt ihr viel zu kurz! Die Benennung der Delegierten aus Saarlouis erfolgte unter Ausschluss der Öffentlichkeit in einer Sitzung die als Parkdeck-Veranstaltung medial sehr kritisch besprochen wurde. Der Gesamtkomplex Krone im Saarland und die Figur von Hubert Ullrich ist wesentlich komplexer.

Late to the party, aber ich hätte noch 2 Ergänzungen (Disclaimer: Mitglied von Bündnis90/Die Grünen).

→ Ich fand die Beschreibung in der Lage (obviously wegen persönlcihem Interesse) etwas verkürzt, aber sei es drum. Ich glaube eine interessantes Detail ist ein Unterschied in den Parteisatzungen der Bundespartei und des Landesverbandes.
Während für die Bundespartei in Sachen paritätische Liste klar gilt:
„Alle Gremien von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zu beschickende Gremien sind mindestens zur Hälfte mit Frauen zu besetzen;
wobei den Frauen bei Listenwahlen bzw. Wahlvorschlägen die ungeraden Plätze
vorbehalten sind. Sollte keine Frau auf einen Frauenplatz kandidieren oder gewählt werden, bleiben diese Plätze unbesetzt. Über die Besetzung des offenen Platzes entscheidet die Versammlung. Nur bei Wahllisten kann die Wahlversammlung den Frauenplatz frei geben. Die Frauen der Versammlung haben diesbezüglich ein Vetorecht.“
Und demnach die Listenaufstellung im Saarland in der Form (Kandidatur eines Mannes gegen eine Frau) nicht möglich gewesen wäre ist die regel des Landesverbandes deutlich simpler und lascher:
„Wahllisten sind grundsätzlich alternierend mit Frauen und Männern zu besetzen. Dabei
können für Platz 1 der jeweiligen Liste sowohl Frauen als auch Männer kandidieren.
Sollte keine Frau für einen Frauen zustehenden Platz kandidieren oder gewählt werden, entscheidet der LPT bzw. die Landeswahlversammlung mit einfacher Mehrheit über das weitere Verfahren.“
Entsprechend war die Wahl eines Mannes an die Spitze der Liste (für mich überraschend) grundsätzlich Satzungmäßig in Ordnung. In anderen Landesverbänden wäre das so vermutlich einfach nicht möglich / kein Thema gewesen.

→ Ich hatte ein leichtes Störgefühl als Ulf die GFF als „eine der schlagkräfigsten Feministischen Organisationen in Deutschland“ bezeichnet hat. Klar „eine der“ lässt viel Interpretationsspielraum zu und ich möchte auch nicht bezweifeln das die GFF auch feministische Themen mitbearbeitet, aber ich hätte die GFF nichtmals als feministische Organisation bezeichnet.

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Noch ein Punkt, der in der Folge m.E. fehlt, ist, dass es sehr wohl okay ist, wenn ein Mann auf Platz 1 steht. Aber nur, wenn keine Frau antritt, oder so ähnlich. Nur ist Jeanne Dillschneider ja bei der Wahl angetreten, und Ulrich wurde trotzdem gewählt. Dass eine Delegiertenkonferenz auf diese Weise gegen ihre Statuten verstößt, ist schon auch sehr merkwürdig. Die Delegierte auf Platz 2 war ja wohl auch noch völlig ahnungslos zu grünen Themen und wurde trotzdem gewählt. Dass dieser Landesverband also offensichtlich irgendwie „unterwandert“ ist und das so „einfach“ möglich ist in Deutschland, ist mMn das viel größere Problem für die Demokratie. Man stelle sich vor, eine andere kleinere Aufsteigerpartei mit (noch) wenigen Mitgliedern wird auf diese Weise kurz vor den entscheidenden KV- oder LV-Wahlen beschädigt…

Eurer Argument geht, wenn ich Eure Kommentare richtig verstanden habe, so: Die offizielle Begründung - keine (Partei)öffentlichkeit bei der Delegiertenwahl - der Grünen (formal am Ende des Bundesschiedsgerichts) ist so hanebüchen, dass es nur vorgeschoben sein kann, und tatsächlich sollte durch den Ausschluss des OV Saarlouis sichergestellt werden, dass bei der zweiten Delegiertenkonferenz das Frauenstatut eingehalten wird, was den eigentlich demokratisch gewählten Kandidaten Ulrich verhindern würde.

Ich möchte folgende Gegenthese aufmachen, die ja in anderen Kommentaren schon anklang: Die Grünen suchten nach Möglichkeiten, den despotischen Provinz-Paten Ulrich (in Anlehnung an Cohn-Bendit aus dem oben verlinkten tagesspiegel-Artikel) zu stoppen. Denn an den in dem Spiegel-Artikel von 1999 beschrieben Umständen hat sich wenig geändert. Ulrich hält den Ortverband Saarlouis besetzt und dominiert dadurch den kleinen Saarländer Landesverband. Weil man an die kaputten Strukturen im Saarland nicht rankommt und sie schon gar nicht im Wahlkampf thematisieren will, dachten die Grünen, sie könnten über einen Formfehler des OV Saarlouis diesem beikommen. Der Verstoß gegen das Frauenstatut war gemeinsam mit Ulrich auf Platz 1 und dem Verlauf der ersten Delegiertenkonferenz nur der parteiinterne Anlass, die Saarländer Verhältnisse nicht länger hinzunehmen.

Im Einzelnen:
Sowohl der Bundeswahlleiter wie auch Ihr hebt stark darauf ab, dass ein Drittel der Delegierten ausgeschlossen worden sei und daher ein gravierender Verstoß gegen das Demokratieprinzip vorliege. Was der Bundeswahlleiter zurecht nicht problematisiert, was die Grünenspitze kaum sinnvoll vorbingen kann, was aber aus meiner Sicht der Kern des Problems ist, ist die Frage:

Wie um alles in der Welt kann es sein, dass der Ortsverband Saarlouis ein Drittel der Delegierten einer Landesdelegiertenkonferenz stellt??

Der Tagesspiegel spricht von 700 Mitgliedern der Grünen im Ortsverband Saarlouis, einem Kaff von 34.400 Einwohnern und dem Stamm-Ortsverband von Hubert Ulrich. Das Saarland hat eine knappe Millionen Einwohner. Unten kommen noch ein paar Zahlenspiele, im Ergebnis würde man bei einem solchen Ortsverband ca. 30-40 Mitglieder oder 2,5 % der Landesdelegierten erwarten. Auf der einen Seite ist es mir ein Rätsel, wie jemand mehrere Hundert Gefolgsleute aus seinem Verwandten- und Bekanntenkreis rekrutieren kann. Auf der anderen Seite scheint Ulrich nicht der Menschenfänger zu sein, der die Massen in Saarlouis begeistert (zumindest wenn man die sehr durchschnittlichen Wahlergebnisse betrachtet). Nun ist es nicht verboten, in eine Partei aus persönlicher Verbundenheit zu einem Funktionär einzutreten und auch in anderen Parteien, Zeiten und Orten soll es immer wieder zu Eintrittswellen vor wichtigen Wahlen gekommen sein. Was in Saarlouis läuft, sprengt aber jeden Rahmen.

Während die Bundes-Grünen bislang das Theater im Saarland eher mit geringem Nachdruck zu lösen versucht hatten (laut Tagesspiegel verstieß der Landesverband auch bei den vorangegangenen Listenaufstellungen gegen das Frauenstatut und der aktuelle MdB aus dem Saarland ist ja auch ein Mann, was gegen die These spricht, das Frauenstatut sei der eigentliche Grund gewesen), sah man diesmal sowohl den dringenden Bedarf (Ulrich will selbst in den Bundestag) wie auch die Möglichkeit (nachgewiesene Unregelmäßigkeiten) einzugreifen.

Die Argumentation des Bundesschiedsgerichts erscheint mir dabei nicht so abwegig wie es der Kommentar von Ulf und die komplette Nichterwähnung in der Folge vermuten lässt. Dass die Öffentlichkeit einer Wahl Teil des Demokratieprinzips ist, hat der Verfassungsblog-Beitrag schon herausgearbeitet. Daraus folgt zwar mMn nicht zwingend, dass die Wahl der Delegierten auch öffentlich für nicht-Stimmberechtigte sein muss. Man kann aber sehr wohl argumentieren, dass die Ausgestaltung des demokratischen Prozesses den Parteien obliegt und diese konkrete Ausgestaltung dann den Maßstab für die Frage bildet, ob bestimmte Delegierte ordnungsgemäß gewählt wurden. Gleiches gilt ja etwa für Ladungsfristen und ähnliches. Und das Öffentlichkeitsprinzip erscheint in einem anderen Licht angesichts der dubiosen Umstände in diesem Ortsverband. Dass die Partei wissen will, ob Ulrichs Privat-Ortsverband sich bei der Wahl an alle Regeln hält, erscheint sehr berechtigt (Beschlussfähigkeit, Rederecht für Gegenkandidaten usw).

Allerdings haben sich die Grünen dann komplett auf diesen Fehler fokussiert, weil sie meinten ein Mittel gegen das eigentliche Demokratieproblem im Saarland gefunden zu haben. Auch der Bundeswahlleiter spricht ja an, dass man eher auf Zeit gespielt hat und offensichtlich nicht bemüht war, die Fehler bei der Delegiertenwahl zu fixen. Denn das hätte ja das Kernproblem des absurd aufgeblähten OV Saarlouis nicht gelöst. Die „Lösung“ der Schiedsgerichte, zu versuchen, einen Fehler des OV maximal auszureizen, weil man an die Klüngel-Armee nicht rankommt, erscheint mir auch zweifelhaft und zumindest handwerklich maximal undurchdacht.

Ich bitte Euch aber zu überdenken, ob Ihr Hubert Ulrich wirklich uneingeschränkt als Demokraten darstellen wollt, der von einem überhöhten Frauenstatut oder fiesen Bundes-Grünen ausgebremst wurde. Oder ob es nicht andere Erklärungsansätze mit mindestens der gleichen Plausibilität gibt, die die Grünen zwar auch nicht reinwaschen, die aber vielleicht nicht ganz so eindimensional sind.

Es folgen nun einige Zahlenspiele, die die Absurdität des Ortsverbands Saarlouis belegen sollen:

Wenn man die Mitgliederzahlen von Ende 2019 zugrunde legt (Parteimitglieder nach Bundesländern | bpb.de), die noch ein bisschen niedriger waren und daher plausibel sind zu den Zahlen vom Tagesspiegel, dann

  • hatten die Grünen insgesamt 96.487 Mitglieder. Damit kommen auf ein Mitglied bundesweit 862 Einwohner oder 43 Zweitstimmen bei der Bundestagswahl 2017,
  • hatten die Grünen im Saarland 1.728 Mitglieder, wovon ein Drittel auf den Ortsverband Saarlouis entfallen soll, einem Kaff mit 34.400 Einwohnern,
  • hatten also die Grünen in Saarlouis 576 Mitglieder. Damit kommen auf ein Mitglied 60 Einwohner oder 2,2 Zweitstimmen (die Grünen hatten in Saarlouis 1.248 Zweitstimmen! https://wahlergebnis.saarland.de/BTW/details_gemeinde-44115-saarlouis_gesamt.html).

Umgekehrt würde man bei normalen Verhältnisses zwischen 40 (bezogen auf die Einwohner) und 29 (bezogen auf das Wahlergebnis als Hinweis auf die Stärke der Partei vor Ort) Mitglieder erwarten. Die Zahlen stimmen sicher nicht 100%, weil sie mit unterschiedlichen Jahreszahlen hantieren und zum Beispiel Ortsverband und Gemeinde gleichsetzen. Die Tendenz dürfte aber stimmen. Ich wäre froh, wenn mir jemand meinen Denkfehler aufzeigen könnte.

Transparenzhinweis: Ich bin Mitglied bei den Grünen, allerdings nur einfaches. Ich habe daher keinerlei interne Einblicke, sondern lese nur Zeitung und mutmaße.

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Hallo ihr Lieben,

auch ich bin mit der Darstellung des Sachverhalts zu Ungunsten der Grünen nicht ganz happy – und das, obwohl ich den Grünen sicherlich nicht nahe stehe.

Dass der Grund für den Ausschluss der Delegierten des OV Saar hätte genannt werden sollen, wurde hier ja schon ausführlich thematisiert. Einige Hörer:innen könnten auf diesem Faktum basierend ja zu einem anderen Schluss kommen als ihr.

Als Abweichler wären diese Hörer:innen damit auch nicht alleine: Die Entscheidung des Bundeswahlausschusses fiel nicht einstimmig aus, die Mitglieder Dr. Risse und Schindler stimmten gegen das Votum. Die Aufzeichnung der Sitzung kann jeder von uns bei Youtube aufrufen.

In ebendieser Sitzung wurde der Ausschluss des OV Saar aufgrund seiner schieren Größe als Verstoß gegen das Demokratieprinzip betrachtet. Nur verkennt das aus meiner Sicht die Problematik komplett. Denn die Größe des betroffenen Ortsverbandes darf keine Rolle spielen, wenn er seine Delegierten (hier: durch Ausschluss der Öffentlichkeit) nicht regelkonform aufgestellt hat. Ich beispielsweise komme aus dem größten Kreisverband meiner Partei in meinem Landesverband. Wenn ich nun als selbsternannter König unsere Delegierten handverlesen selbst benenne, statt diese wählen zu lassen, wäre dies doch auch unzulässig. Oder ist eine regelwidrige Aufstellung bei den Großen unproblematisch, während sie in kleinen Verbänden zum Ausschluss führen würde? Als kleiner Verband würde ich diese Ungleichbehandlung angreifen.

Der Wahlausschuss hat in seiner recht kurzen Würdigung außerdem verkannt, dass sich der Grundsatz der Öffentlichkeit nicht nur aus den Statuten der Grünen ergibt. Der Grundsatz der Öffentlichkeit ist ein wesentliches Merkmal unserer Demokratie – und im Übrigen auch das beste Mittel gegen Schwurbler, die von Wahlfälschung fantasieren. Seit dem Untergang der DDR ist es schlichtweg das gute Recht aller Bürger:innen, dem gesamten Wahlprozess beizuwohnen. Dies umfasst nicht nur den Wahlsonntag selbst, sondern auch die parteiinternen Nominierungsverfahren. Das haben wir auch in unserer Verfassungsbeschwerde gegen das Paritätsgesetz vorgebracht, anders wären die ergangenen Entscheidungen auch gar nicht denkbar. Wobei es in Sachen Paritätsgesetz natürlich nicht um das Merkmal Öffentlichkeit ging, sondern Gleichheit/Freiheit/Allgemeinheit. Das Prinzip bleibt doch aber das gleiche: Verfassungsrecht hat parteiintern gewahrt zu werden. Und Verfassungsrecht schreibt Öffentlichkeit vor.

Die verletzte Öffentlichkeit ergibt sich genau betrachtet sogar aus mindestens drei Quellen: Dem Satzungsrecht der Grünen, dem gesetzlichen Wahlrecht und den verfassungsrechtlich verankerten Grundsätzen einer Wahl.

Mag sein, dass ich hier Denkfehlern unterliege (in diesem Fall bitte ich um Aufklärung). Aber wäre ich ein Grüner, so wäre diese Sache aus meiner Sicht noch lange nicht durch – der Gang zum Bundesverfassungsgericht würde ich ausprobieren. Vielleicht kann man ja mal den Anwalt der Grünen einladen und ihn fragen, was hier seine nächsten Schritte sind.

Liebe Grüße

Matti

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Danke für den Link. Habe mir die Verhandlung angesehen. Die Sache ist komplexer als gedacht. Insgesamt scheint mir ein Vorsatz darin gegeben, dass die Schiedsgerichte so spät entschieden haben, dass eine Neuwahl in Saarlouis zeitlich nicht mehr möglich war. Eine Wiederholung der Wahl wäre ohne die offensichtlichen Mängel durchgeführt worden und Hubert Ulrich hätte die Stimmenmehrheit auf der Delegiertenversammlung erhalten. Es bot sich also eine Möglichkeit, den schwierigen Kanditaten auszuschalten.

Das fände ich schade. Ein solches Fehlverhalten (das immerhin 2 Mitglieder des Bundeswahlausschusses nicht als solches gesehen haben) sollte nicht zur Aburteilung einer ganzen Partei führen. Stell dir vor, wie es bei den anderen Parteien wohl aussieht. Die schützen sich durch Intransparenz und schauen am Ende nur, dass das möglicherweise ausgekungelte Ergebnis halt nicht dem Wahlgesetz und dem Grundgesetz widerspricht. Bei den grossen Parteien werden unbedeutende Mitglieder es auch nicht wagen, gegen die Granden aufzubegehren, sonst sind sie ja genz weg.

Die Grünen danach zu beurteilen, halte ich für sehr unverhältnismässig. Im Übrigen steht es jedem frei, Mitglied zu werden und zur Entideologisierung beizutragen.

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Hallo Matti,

hast Du für diese Aussage eine Quelle für mich?
Im Video des Bundeswahlausschusses (ich will es mir jetzt nicht nochmal komplett reinziehen) hatte in meiner Erinnerung einer der Anwesenden (ein Mann) erwähnt, dass es sich bei dem Gebot nach Parteiöffentlichkeit (und insb. nichtmals „Öffentlichkeit“) um eine Besonderheit der Satzung der Grünen handele die bei anderen Parteien üblich wäre.

Auch insgesamt hatte ich das Gefühl das die Mitglieder des Wahlausschusses teilweise diese Sache eher als petitesse und nicht als Verletzung von Wahlrechtlichen Bestimmungen verstanden haben, das wäre ja bei Deiner Interpretation auch anders.

Lese ich anders aus dem Grundgesetz. Die verfassungsrechtlich verankerten Wahlgrundsätze sind „allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim“. Von öffentlich steht nichts im Grundgesetz. Die einfachgesetzliche Öffentlichkeit der Wahl an sich, und der Auszählung, erfüllt natürlich den Zweck, dass jeder einzelne Bürger sich von der Korrektheit überzeugen kann, aber im Grunde zielt das auf die Wähler an sich. Im Wahlgesetz wird nicht differenziert – was die Angelegenheit vor Ort ja auch unnötig verkomplizieren würde, wenn Wahlvorstände jeden anwesenden Beobachter nach dem Ausweis fragen müssten – aber ich sehe es nicht als wesentlich für die Demokratie an, dass irgendwelche Russen oder Schweden oder Bolivianer oder wer auch immer die Stimmauszählung beobachten können. Genauso reicht es bei Parteiaufstellungen normalerweise völlig aus, wenn die jeweils Wahlberechtigten selber sich von der Korrektheit der Wahl überzeugen können.

Bei den Grünen ist das aber nunmal anders, und solche Satzungsbestimmungen sind natürlich für die einzelnen Untergliederungen eigentlich verpflichtend, aber mit dem Grundgesetz hat das wenig bis nichts zu tun.

Wenn irgendwelche Merkwürdigkeiten auftreten, wie dass ein Ortsverband beinahe mehr Mitglieder als Wähler bei Wahlen hat, dann wäre es allerdings sowieso angebracht, das mal anders näher unter die Lupe zu nehmen. Unmittelbar vor einer Wahl ist das allerdings ziemlich ungeschickt.

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Hallo,

in der Tat ergibt sich das nicht aus dem Wortlaut, jedoch aus der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und auch als Ableitung des Demokratieprinzips. Der in Art. 38 Abs. 1 S. 1 nicht ausdrücklich normierte Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl findet seine Grundlagen also in Art. 38 iVm Art. 20 Abs. 1 und 2 (Quelle: v. Münch/Kunig/Trute, 7. Aufl. 2021, GG Art. 38 Rn. 92). Die Öffentlichkeit der Wahl ist demnach eine Grundvoraussetzung für eine demokratische politische Willensbildung. Sie sichert die Ordnungsgemäßheit und Nachvollziehbarkeit der Wahlvorgänge und schafft wesentliche Voraussetzungen für das begründete Vertrauen der Bürger in die Korrektheit des Ablaufs der Wahl.

Eine spannende Entscheidung hierzu findet sich in Bezug auf Wahlcomputer: BVerfGE 123, 39 (68 f.), abrufbar hier: Bundesverfassungsgericht - Entscheidungen - Partielle Unvereinbarkeit der Bundeswahlgeräteverordnung mit Art 38 GG iVm Art 20 Abs 1, Abs 2 GG mangels Sicherstellung einer dem Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl entsprechenden Kontrolle - Unvereinbarkeit der Verwendung von elektronischen Wahlgeräten der Firma Nedap bei der Wahl zum 16. Deutschen Bundestag mit Art 38 GG iVm Art 20 Abs 1, Abs 2 GG.

Viele Grüße
Matti

Die verfassungsrechtlich verankerten Wahlgrundsätze sind „allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim“. Von öffentlich steht nichts im Grundgesetz.

Das Bundesverfassungsgericht leitet den Öffentlichkeitsgrundsatz aus dem Demokratieprinzip in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip ab, hier der Leitsatz aus der Wahlcomputerentscheidung (BVerfG, Urteil v.9.3.2009):

Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl aus Art. 38 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG gebietet, dass alle wesentlichen Schritte der Wahl öffentlicher Überprüfbarkeit unterliegen, soweit nicht andere verfassungsrechtliche Belange eine Ausnahme rechtfertigen.

Die Details finden sich in den Rd. 107 ff.

Mich wundert auch, dass das vom Bundeswahlleiter nicht thematisiert wurde. Die Schwierigkeit besteht mMn nämlich darin, die Leitlinien für die Bundestagswahl selbst auf die konkrete Wahl der Delegierten herunterzubrechen.
Das fängt bei der Frage an, was das Pendant zum Wahlvolk der BVerfG-Entscheidung sein soll? Die wahlberechtigten OV-Mitglieder - das wäre die direkte Übertragung des Urteils und aus meiner Sicht das Minimum, das aber wohl auch erfüllt war.
Oder man argumentiert, dass über die Parteilisten letztlich entschieden wird, wer vom deutschen Volk überhaupt gewählt werden kann, weswegen auch die Vorstufen für das gesamte Wahlvolk öffentlich sein müssten. Das wäre allerdings ein Novum und recht überraschend für alle Parteien, die eine so weite Öffentlichkeit nicht vorsehen.
Oder man argumentiert, dass die Parteisatzungen das Öffentlichkeitsprinzip ausfüllen und deswegen maßgeblich sind. Das wäre wohl die Position des grünen Bundesschiedsgerichts. Nur dann bin ich beim Bundeswahlleiter, dass man die Verstöße und die Folgen gegeneinander abwägen sowie Heilungsmöglichkeiten nutzen muss. Denn der starke Verdacht, dass der Ortsverband Saarlouis auf welche Weise auch immer manipuliert ist, ist mangels Beweisen ein politisches Argument (das bei der Bewertung des Handelns der Grünen berücksichtigt werden kann), aber kein rechtliches - weder für das Bundesschiedsgericht, noch für den Bundeswahlleiter.

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Hallo Matti,

Deine Quellen (insb. die BVG entscheidung) beziehen sich jetzt aber wenn ich es richtig verstehe nur auf die Öffentlichkeit bei der Bundestagswahl selber, nicht wahr?

Du sagst aber ja, dass sich dies auch auf das parteiinterne Nominierungsverfahren bezöge. Hierfür würde ich mich über eine konkretere Quelle freuen (Nicolai scheint es ja auch nicht sooo klar zu sehen).

Insbesondere wäre dann ja auch der Einsatz von elektronischen Wahlauszählungssystemen bei Listenaufstellungen die Grenzen des Wahlcomputerurteils gesetzt - da bin ich ebenso sicher dass sich da diverse Parteien nicht dran halten, wie das deren Aufstellungsversammlungen nicht per se öffentlich sind.

BlockquoteDer Tagesspiegel spricht von 700 Mitgliedern der Grünen im Ortsverband Saarlouis, einem Kaff von 34.400 Einwohnern und dem Stamm-Ortsverband von Hubert Ulrich. Das Saarland hat eine knappe Millionen Einwohner. Unten kommen noch ein paar Zahlenspiele, im Ergebnis würde man bei einem solchen Ortsverband ca. 30-40 Mitglieder oder 2,5 % der Landesdelegierten erwarten.

Der Denkfehler ist die Gleichsetzung der Stadt Saarlouis mit dem Landkreis Saarlouis. Der Kreisverband der Grünen umfasst den gesamten Landkreis nicht nur die Stadt. Das sind knapp 200.000 Einwohner und damit etwa 1/5 der Einwohner des Saarlandes.

Damit ist der Kreisverband immer noch mitgliederstark, aber die Rechnung mit den 2,5% ist falsch.

Was vielleicht einige hier nicht wissen: auch bei der Linken gab es Probleme mit der Aufstellung der Liste. Oskar Lafontaine wirft der Nummer 1 auf der Liste Thomas Lutze vor, die Wahl manipuliert zu haben. Gegen Lutze ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Streit bei der saarländischen Linke

Streit bei der Linken

Lafontaine führt die Probleme darauf zurück, dass es im Saarland in kleinen Parteien aufgrund der Größe relativ einfach ist, die Listenwahl zu manipulieren. Man kann über Lafontaine sicherlich unterschiedlicher Meinung sein - er kennt die saarländische Politik wie kaum ein anderer.

Ich dachte auch, dass das mein Denkfehler sein könnte. Allerdings spricht der Bundeswahlleiter im oben verlinkten Video in der Zusammenfassung des Sachverhalts ab ca. 2h47 stets vom Ortsverband Saarlouis, dessen Delegierte und damit knapp ein Drittel ausgeschlossen worden seien, weil Mitgliedern des Kreisverbandes der Zutritt verwehrt worden sei.
Auch in diesem Artikel (Bundestagswahl im September: Saar-Landesliste der Grünen bleibt ausgeschlossen | tagesschau.de) heißt es:

Im Juli folgte dann Versuch Nummer zwei. Doch zuvor hatte das Bundesschiedsgericht der Grünen 49 Delegierte aus Ulrichs Ortsverband Saarlouis von dieser Abstimmung ausgeschlossen. Der Grund: Das Parteigericht hatte bei der Wahl der Delegierten in dem Ortsverband Unregelmäßigkeiten festgestellt. Sie machen rund ein Drittel der stimmberechtigten Grünen-Mitglieder aus.

Es scheint also wirklich der ORTSverband zu sein, der ein Drittel der Delegierten stellte bzw. gestellt hätte.

Wie gesagt: Ich glaube, man glaubte, man könne dieses Mal dem Ulrichschen Spuk beikommen und war so froh darüber und fixiert darauf, dass man naheliegende Abhilfemöglichkeiten außer Acht gelassen hat.