Aus der Zeit gefallene Straßennamen

Hallo,

ich denke es könnte interessant sein, das Thema „Aus der Zeit gefallene Straßennamen“ zu vertiefen.

Es gab ja vor ein paar Monaten die Kontroverse über die „Mohrenstraße“ in Berlin. Außerdem gibt es in ganz Deutschland sehr viele Straßen die noch nach Nazis benannt sind (siehe z.B. hier). Aber ich muss z.B. auch immer wieder schlucken wenn ich irgendwo eine „Sedanstraße“ oder „Moltkestraße“ sehe.

Was möchte man denn mit der Benennung einer Straße erreichen? Was sollten die Kriterien sein, was geht gar nicht? Wie schwierig ist es, einen Namen zu ändern, und spricht wirklich groß etwas dagegen Namen recht freimütig zu ändern?

Ich weiß nicht, ob ich da einfach nur besonders empfindlich bin, aber eine „Sedanstraße“ zu haben, bedeutet für mich, der Kriegseuphorie und dem Nationalismus früherer Tage ein Denkmal zu setzen und zu etwas Positivem zu erheben. Wenn ich mir vorstelle, wie es sich anfühlen muss, diesen Namen als Franzose oder Bürger irgendeines anderen europäischen Nachbarlandes zu lesen wird mir ein wenig schlecht.

Hallo Svara! Ich verstehe was Sie meinen… Bei uns in der Türkei gibt es Straßen und Schulen mit den Namen von den Hauptverantwortlichen für den Armenischen Völkermord: Enver Pasha Straße, Talat Pasha Straße. Ein Flughafen in Istanbul trägt den Namen von Sabiha Gökcen, eine Adoptive Tochter von Atatürk, die die erste Pilotin unserer Geschichte ist. Leider hat sie die Kurden bombardiert… Ich frage mich wie schlimm sich meine kurdischen Freunde fühlen müssen, wenn sie diesen Flughafen betreten.
Schön wäre es wenn alle Straßen einfach die Namen von Blumen und Vögel hätten. So wäre niemand traumatisiert…Ein sehr berühmter Dichter, Orhan Veli der leider sehr jung gestorben ist, hat mal gesagt, jedes mal wenn er sich über etwas geärgert hat, er hatte versucht Blumennamen zu zählen, von 1 bis 100.
Ich komme leider nicht über 20.
So könnte man einfach in den Straßen spazieren gehen und auf den Schildern die Blumennamen lesen und sich wieder beruhigen :- ) Jedenfalls schönes Wochenende!

Hallo,

finde das auch ein sehr interessantes Thema. Die Frage ist allerdings wo man die Grenze zieht zwischen Bennenungen nach historischen Personen und Ereignissen der Vergangenheit, die wir aus unseren heutigen Moralvorstellungen heraus nicht mehr Gutheißen können, und solchen die schon nach den damaligen uns solchen Normen, wie wir sie für zeitlos halten zu verurteilen sind. Als Bespiel hattest du ja Sedan oder Moltke genannt. Die beiden finde ich jetzt persönlich nicht sehr problematisch da der Krieg von 1871 ein rein historisches Ereigniss gworden ist und nach den Vorstellungen des 19. Jhdts auch keine ungewöhnliche oder zutiefst verwerfliche Episode darstellt und auch kein Politikum mehr ist, obwohl wir zum Glück unsere Vorstellungen verändert haben und solche Kriege und ihre r Begründungen fund tatsächlichen Gründe für verwerflich halten. In Frankreich sind die Orte, die nach Siegen Napoleons bennant sind ja Legion, glaube aber nicht das sich jemand daran stört. Umbennung von solchen Orten würde auf einer sehr retrospektiven Geschichtsbetrachtung beruhen, die moderne Vorstellungen unhinterfragt auf die Vergangenheit projeziert und eigentlich von der Geschichtswissenschaft überwunden worden ist. Definitiv verurteilenswert finde ich aber z.b die Hindenburg Straßen oder solche die nach Leuten benannt sind die in Völkermorde verwickelt waren wie Lepold II, oder solche die den Kolonialismus verherlichen. Ist aber schwer da eine begründbare Grenze zu ziehen, glaube aber das Bennenungen nach historischen Personen nicht nur Denkmäler an Personen sind sondern auch Remineszensen an die Geschichte als solche.

Man muss sich klar machen, dass dies nicht nur bedeutet die Straßenschilder zu entfernen und neue aufzuhängen. Stadtpläne müssen geändert werden und - was vielleicht das wichtigste ist - für die Anwohnerinnen ändert sich die Anschrift. Überlegen Sie bitte einmal kurz, was das bedeutet. Die Adresse auf dem Personalausweis muss geändert werden und bei allen anderen Stellen, bei denen eine Adresse hinterlegt ist. Es ist also mit dem Hickhack nach einem Umzug gleichzusetzten. Das bedeutet natürlich, dass solche Maßnahmen bei den Anwohnerinnen recht unbeliebt sein dürften.

Das heißt nicht, dass ich prinzipiell dagegen bin. Ich will nur aufzeigen, dass es mehr ist als einfach nur: altes Schild ab, neues Schild dran - fertig. Man müsste sich vielleicht Gedanken über eine Aufwandsentschädigung bei den Anwohner*innen machen… Aber populär wären solche Maßnahmen vermutlich trotzdem nicht.

Theoretisch ist das nicht besonders schwierig. Praktisch ist sowas aber natürlich mit nicht unerheblichen Nachteilen für Anwohner und ansässige Gewerbebetriebe verbunden. Nicht nur müssen Briefköpfe, Prospekte usw. geändert und noch vorhandene entsorgt werden, auch die Änderung der eigenen Adresse an allen möglichen Stellen erzeugt Aufwand, so als würden alle Anrainer gleichzeitig umziehen. Besucher finden die Straßen nicht mehr usw. Daher müssen im Einzelfall üblicherweise schon gewichtige Gründe für die Umbenennung vorliegen oder man handelt sich eine Menge Ärger mit genervten Betroffenen ein.

Jedenfalls ist das nichts, was man regelmäßig machen möchte. Und damit muss man unterscheiden zwischen der Frage „wonach benennen wir neue Straßen“ und „welche Maßstäbe legen wir an existierende Straßen an“.

Bei neuen Straßen (oder der Umbenennung von Plätzen oder kleinen Straßenabschnitten, die wenig bis keine Anlieger haben) ist es da vollkommen normal, dass sich der Zeitgeist in der Benennung wiederspiegelt und politische Mehrheiten da ihre Vorstellungen mehr oder weniger durchsetzen.

Es kann aber niemand Interesse daran haben, dass bei jedem Regierungswechsel erstmal die neuen Machthaber im Hunderterpack Straßen umbenennen, weil ihnen die alten Namen nicht gefallen. Daher sollte man in solchen Fällen schon einen breiten Konsens suchen, was bei irgendwelchen Massenmördern der Geschichte und ihren direkten Helfershelfern in Deutschland in der Regel auch funktioniert. Die Grenzen sind allerdings fließend, so sind etwa Hindenburgstraßen immer wieder mal Gegenstände von Streitigkeiten.

Wer allerdings seine temporären Mehrheiten dafür nutzt, kompromisslos das Straßenverzeichnis im eigenen Sinne umzugestalten, der wird dann nach dem Regierungswechsel damit leben müssen, dass Rudi-Dutschke-Straßen u.a. auch sofort wieder zur Disposition stehen, oder irgendwelche christlichen Regierungen anfangen Darwinstraßen umzubenennen o.ä. :roll_eyes: