Aus aktuellem Anlass: Entscheidung des AG Weimar - Verfassungswidrigkeit der Lockdowns?

Das AG Weimar hat die Lockdown Regelung als verfassungswidrig bezeichnet (und gießt damit Öl ins ohnehin schon schwelende Feuer insbesondere im Kreis der Querdenker).

Wie kommt es, dass in Deutschland viel größere Debatten zu den Freiheitsrechten geführt werden während einer Pandemie als bspw in Spanien oder UK?

Und: Hat das AG Weimar recht? Bzw. welche Konsequenzen hat das?

mE versucht der Staat durch seine Regelungen die schwächsten der Gesellschaft zu schützen, was, wenn ich mir meine zweite Heimat USA anschaue, eine echte humanistische Meisterleistung und mE in Bezug auf den Schutz der Freiheitsrechte der richtigere Weg ist als „wie im wilden Westen jedem Bürger sich selbst zu überlassen und de facto das Gesetz des Stärkeren einzuführen".

Ist es sinnvoll bzw. tatsächlich im Sinne unserer sozialdemokratischen Verfassung, mit Sicherheit nicht perfekte aber offenkundig funktionierende Lockdown Maßnahmen zu blocken? Und wie sollten wir aus a) medien-politischer/ kommunikativer und b) juristischer/ verfassungsrechtlicher/ demokratischer Perspektive mit dieser Entscheidung des AG Weimar umgehen?

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Ich würde anregen, der Entscheidung des Amtsgerichts keinerlei Bedeutung beizumessen.

Juristinnen und Juristen schalten innerlich immer sofort ab, wenn jemand mit einer vermeintlichen Verletzung der Menschenwürde argumentiert. So traurig das ist: Hier ist offensichtlich ein Mensch aus der Justiz ins Lager der Schwurbler und Corona-Skeptiker abgerutscht.

Aber auch sonst lässt sich leicht begründen, warum die Entscheidung keine Bedeutung über den Einzelfall hinaus hat, weil sie nämlich darauf beruht, dass es an einer hinreichend spezifischen formalgesetzlichen Grundlage für die Corona-Verordnungen der Länder fehle. Das ist in der Tat eine Position, die sich bis November 2020 hören ließ und die wir auch in der Lage immer wieder vertreten haben. Fraglich ist dann, ob für einen Übergangszeitraum auch eine sehr vage Rechtsgrundlage wie der Paragraph 28 des Infektionsschutzgesetzes ausreichen kann. Das Amtsgericht meint nein, ich persönlich fand es für eine gewisse Zeit vertretbar. Dem lässt sich mit guten Gründen wiederum entgegenhalten, dass sich der Bundestag doch arg lange Zeit gelassen hat.

Letztlich kommt es darauf aber jedenfalls heute nicht mehr an, weil ja mit Paragraph 28a des Infektionsschutzgesetzes inzwischen eine sehr spezifische Rechtsgrundlage geschaffen wurde. D.h., dass die Entscheidung des Amtsgerichts letztlich durch das Tätigwerden des Gesetzgebers überholt ist.

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Könnte damit zusammenhängen, dass der Amtsrichter vielleicht selber ein Covidiot ist.

Ich unterstütze grundsätzlich die Maßnahmen, bin sogar für strengere Maßnahmen. Aber aus meiner Perspektive - die keinerlei juristischen Hintergrund beinhaltet - ist die Reduzierung der Kontakte im privaten Bereich auf 1 zusätzliche Person pro Haushalt extrem bedenklich. Ich habe das in Wie kann ich unsere Regierung im Punkt Coronamaßnahme noch für voll nehmen? bereits dargelegt. Diese Maßnahme ist

  • paradox,
  • führt zu extremer, nicht berechtigter Ungleichbehandlung,
  • es gibt keine Belege für die Wirkung,
  • es wird stellenweise zu mehr Kontakten führen,
  • es steht im Widerspruch zur Handlung der Regierung an anderen Stellen und
  • es ist fraglich in wie weit es die Zahl der Toten reduziert.

Von daher kann ich hierzu nur sagen, dass ich weniger das blocken als Problem sehe, sondern, dass die Maßnahmen einfach so schlecht gemacht sind, dass sie aus meiner Sicht eben auch angreifbar sind.

Ob die Maßnahmen funktionieren wäre erst zu diskutieren. Die Politik zieht lieber an überspannten Hebeln (wie z. B. Maskenpflicht auf dem Supermarktparkplatz), anstatt die dicken Bretter Beruf und ÖPNV anzugehen. Wie @FlorianR sagt, viele der (neuen) Maßnahmen sind einfach handwerklich schlecht gemacht und entbehren sich oft einem wissenschaftlich basiertem Fundament.

Ich lass das mal hier. Da wurde wohl zusätzlich handwerklich nicht ganz sauber gearbeitet.

Hups, da bekommt der Kollege Amtsrichter aus Weimar aber die volle Packung aus München:

Auf dieses Urteil beriefen sich die Querdenker in München nun am Wochenende – und der BayVGH nahm die Gelegenheit wahr, sich ausführlich zu dem Urteil aus Weimar zu äußern. Dieses nämlich sei eine „methodisch höchst fragwürdige Einzelentscheidung, die hinsichtlich der Coronapandemie im Widerspruch zur - vom Amtsgericht nicht ansatzweise berücksichtigten - ganz überwiegenden Rechtsprechung der deutschen Gerichte stehe“. Das AG Weimar maße sich mit seiner Einschätzung, dass eine epidemiologische Lage nicht vorgelegen habe, ohne sich mit den wissenschaftlichen und tatsächlichen Grundlagen auseinandergesetzt zu haben, eine Sachkunde an, die ihm nicht zukomme, und setze seine Auffassung an die Stelle der Einschätzung des Bundestages und des Verordnungsgebers.

Gegenteilige Quellen und Hinweise blendete das AG nach Auffassung der bayerischen Richterinnen und Richter systematisch aus, die zentral vom AG herangezogene Studie sei „bestenfalls umstritten“. Außerdem zeige die Entscheidung des AG auch mangelnde Kenntnisse im Gefahrenabwehrrecht auf: So sei im Urteil des AG Weimar die Ex-ante- mit der Ex-post-Betrachtung vermengt worden und Überlegungen zu Kausalitäten bzw. Koinzidenzien fehlten. Das AG spare beispielsweise die naheliegende Annahme, dass die niedrige Übersterblichkeit und geringe Auslastung der Intensivbetten auf die vom AG als unverhältnismäßig eingeordneten Schutzmaßnahmen im Frühjahr 2020 zurückzuführen sein könnte, komplett aus.

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