Arzneimittelknappheit und Festpreisregelung

Wie ihr sicher mitbekommen habt herrscht momentan eine Arzneimittelknappheit in Deutschland. Das Thema wird quer in allen Medien diskutiert - aber eine detallierte Auseinandersetzung habe ich darüber noch nicht gefunden. Dabei bedroht dieser Zustand potenziell Leben - insbesondere von Kindern, wie in den Medienberichten wirklich oft hervorgehoben wird.

Einen Take, der wirklich überall gebracht wird (bspw. Arzneimittel fehlen: Warum Medikamente knapp sind | tagesschau.de oder DLF Das War der Tag vom 14.12): Wegen der Festpreisregelung, nach der Krankenkassen nur festgelegte Beträge für Medikamente zahlen dürfen, ist die Produktion von Arzneimitteln ins billigere Ausland ausgewandert.

Ich verstehe diese Kausalität nicht. Wenn es keine Festpreisregelung geben würde, würden die Krankenkassen doch trotzdem versuchen so viel wie möglich zu sparen und das Zeug immer noch aus Fern-Ost einkaufen. Es ist also nicht die Festpreisregelung schuld an unserer Abhängigkeit, sondern die grundsätzliche Struktur der Finanzierung unseres Gesundheitssystems. Trotzdem wird dieses Behauptung überall gebracht. Übersehe ich etwas?

1 „Gefällt mir“

Ich habe dazu letztens mit meiner gesetzlichen Krankenkasse telefoniert, weil ich auf ein Rezept für mein Kind zahlen musste. Die Aussage war, dass Arzneimittelhersteller können mehr verlangen, die Differenz muss der Patient dann zahlen. Deswegen musste ich zahlen, obwohl Kinder zuzahlungsbefreit sind, weil es diese Differenz und nicht die Zuzahlung war.

1 „Gefällt mir“

Ich glaube das ist auch wirklich zukurz gedacht. Den die Ziele wären auch ohne diese Regel die selben. Die Hersteller wollen möglichst viel verdienen. Und die Kassen sollen/müssen möglichst billig einkaufen.

Klar könnte man wenn man Einfach möglichst viel bezahlt erstmal Sachen bekommen. Die dann halt woanders fehlen.

Aber das würde schnell dazu führen das erst die Kassen kein Geld mehr hätten, und dann entweder viele Leistungen gestrichen werden, oder man die Abgaben halt geben müsste. Wodurch die Leute weniger in der Tasche hätten und die Firmen wegen den Nebenkosten noch mehr Gedanken um Personal sparen machen würden.

Am Ende müsste das Ziel eher sein, man baut eigene Kapazitäten auf um selber auf Probleme reagieren zu können.

Aber es ist ja irgendwie von vielen Menschen als schlecht angesehen wenn der Staat sich um die grundlegenden Bedürfnisse selber ausreichend kümmert um Probleme zu vermeiden.

Tatsächlich sind die Festbeträge nur ein Grund. Weitere Gründe, sind in diesem Artikel, der vor ca. 2 Tagen erschienen ist, zusammengefasst:
https://www.arznei-telegramm.de/html/2022_12/2212089_01.html
Es ist für mich auch der erste Artikel, der versucht, alle Aspekte der Lieferschwierigkeiten zu beleuchten. Ich bin selber Apothekerin und verfolge die Berichterstattung aus eigenem und beruflichen Interesse. Mein Gefühl ist, dass der Ernst dieser Lage noch nicht überall angekommen ist und schon ģar nicht in der Politik.

Lösungsvorschläge aus der Politik sind u. a.:

  1. Apotheken sollen nicht hamstern! Dazu kann man kurz und knapp nur sagen, man kann nichts hamstern, was nicht da ist!
  2. Es gibt für vieles angeblich einen Ersatz. Klar kann man einen Patienten auch mal auf ein anderes Präparat umstellen. Geht in einigen Fällen unproblematisch und in anderen nicht! Und manchmal gibt es auch keinerlei Alternativen. In jedem Fall erfordert es eine Rücksprache mit dem behandelnden Arzt/Ärztin, die Freude, eine Arztpraxis nach vielen Versuchen endlich zu erreichen, ist bei uns auch immer groß. Die Freude über unseren Anruf in den überlasteten Arztpraxen allerdings auch.
    Dazu mal ein Beispiel von letzter Woche: Eine Patientin aus der benachbarten Seniorenresidenz bekommt ein Antibiotikum verordnet, welches von keiner Firma in keiner Packungsgröße lieferbar ist. Ich rufe in der Praxis an (nur drei Versuche nötig), erwische die MfA, die mir erklärt, dass die Ärztin gerade noch zufälligerweise in der besagten Seniorenresidenz unterwegs ist. Also laufe ich da schnell hin, erwische die Ärztin gerade noch und sie ändert das Rezept der Patientin ab.
    Allerdings läuft es in der Regel nicht so unproblematisch. Ich kann bei einem Kind nicht Paracetamolsaft durch Ibuprofensaft austauschen und umgekehrt, wenn ich beides nicht verfügbar ist. Ich kann auch nicht auf Zäpfchen ausweichen, wenn diese nicht verfügbar sind. Daraus ergibt sich Lösungsvorschlag Nummer 3.
  3. Wir stellen Säfte und Zäpfchen selber her. Probleme, es ist seehr zeitaufwändig, beinhaltet die Beschaffung der Ausgangsstoffe, die Prüfung der Ausgangsstoffe ( wir dürfen uns nicht darauf verlassen, wen wir Ibuprofen bestellen, dass wir auch Ibuprofen bekommen, sondern wir müssen die Identität labortechnisch bestätigen und protokollieren, betrifft auch alle Hilfsstoffe), das Erstellen einer Herstellungsanweisung und eines Herstellungsprotokolls sowie einer Endprüfung, wenn wir etwas auf Vorrat herstellen wollen. Und das in Zeiten von chronischen Personal- und Zeitmangels siehe Punkt 2…
  4. Ärztekammerpräsident fordert laut Tagesspiegel „sowas wie Flohmärkte für Medikamente in der Nachbarschaft“, gern auch mit abgelaufenen Medikamenten… Hat er eigentlich schon mal was vom Arzneimittelgesetz gehört?

Realitätsnähe sieht anders aus!
Nicht zu vergessen, überlastete Arztpraxen, Krankenhäuser, die Pflege!!!
Die Krise im Gesundheitssystem hat sich - trotz jahrelanger Warnungen, schon vor Corona - immer weiter aufgebaut. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in absehbarer Zeit besser wird, wenn es nicht eine grundlegende Reform gibt.

5 „Gefällt mir“

Interessanter Vorschlag, wenn es Apotheker unter sich sind, gerade wenn es um selbstproduzierte Medikamente geht, macht die eine Apotheke von der einen Sorte mehr als sie selbst braucht und eine andere von einem anderen Medikament.

Was das Ablaufdatum angeht so hat mir ein schwedischer Arzt gesagt, dass das z.B. bei Schmerzmitteln kein großes Problem ist, die lassen nur evtl. in der Wirkung nach also statt IBU 400 nur noch IBU 390 ^^

Allerdings sollte man keinen Medikamentencocktail benötigen wenn man sowas fährt.