@derHelge Ja, natürlich ist dieser Fall des Anspuckens anders zu bewerten. Wie gesagt, man bekommt die Ansteckung anderer auch durchaus unter die §§ der Körperverletzung etc. subsumiert. Aber da in den meisten Fällen, vor allem im fahrlässigen Bereich, nicht ohne weites möglich, die Kausalität zu beweisen, glaube ich einfach, dass sich die wenigsten Staatsanwälte ein solche Klage ans Bein binden wollen. Das ist natürlich nur eine Vermutung.
Man könnte vielleicht rechtliche Parallele zu den HIV-Fällen ziehen. Meines Wissens nach gab es da ja schon ähnliche Fälle, die es bis zum BGH geschafft haben, in denen geklärt wurde, wie die vorsätzliche/fahrlässige Übertragung des HI-Virus auf einen anderen rechtlich zu bewerten ist. Ich kenne mich da aber nicht mit den Details aus.
Ich kann auch absolut verstehen, dass man, insbesondere bei deiner Fallbeschreibung, Gerechtigkeit haben will. Auf einer ganz persönlichen Ebene verstehe ich, dass man sich wünscht, dass diese dämlichen Egoisten mal zu spüren bekommen, was sie anderen antuen und zur Rechenschaft gezogen werden und sei es nur durch eine Geldstrafe. Ich verstehe, dass sich Leute gewünscht haben, dass so Typen wie Trump einen schweren Verlauf ihrer Krankheit haben, so als ausgleichende Gerechtigkeit. Ich kann emotional sogar nachvollziehen, dass Leute fordern, dass die Querdenker/Coronaverharmloser im Fall der Knappheit von Beatmungsgeräten erst als letzte eins bekommen, wenn alle anderen versorgt sind. Ich verstehe diese Wut und Angst.
Wenn ich aber meine Gefühle beiseiteschiebe und das Ganze langfristig betrachte, sehe ich aber auch die Gefahren, die es mit sich bringt, eine gesellschaftliche Diskussion über „Schuld/Haftung“ von Krankheiten eröffnen. Auch wenn wir zwar zunächst nur über vorsätzliche Ansteckungen, wie in deinem Beispiel sprechen, ist der nächste Schritt, über fahrlässige Ansteckungen zu sprechen. Wir sprechen zunächst nur über „gefährlichere“ Krankheiten wie Corona, aber der nächste Schritt ist dann, so eine Diskussion auch über die kleine Erkältung zu führen. Wer A sagt, muss auch B sagen.
Hinzukommt dann noch das Thema Versicherungen. Ich glaube auch, dass eine Haftpflichtversicherung nicht mit der Krankenversicherung vergleichbar ist. Die Schäden durch die Haftpflichtversicherung nicht ersetzt zu bekommen, treibt einen vielleicht in die Insolvenz (was schon ziemlich heftig ist), wenn Menschen aber nicht mehr zum Arzt gehen können, da sie wissen, dass sie sich das nicht leisten können, bleiben sie krank, haben jahrelang Schmerzen und/oder sterben. Ich will diese amerikanischen Zustände nicht in Deutschland.
Man kann diese Frage daher nicht nur auf Corona beziehen, ob Menschen ihre eigene Behandlung oder die anderer bezahlen müssen, wenn sie die Krankheit verursacht bzw. bewusst herbeigeführt haben. Und wenn wir sagen, dass das für uns als Gesellschaft und Staat ok ist, dann wird das viele Menschen betreffen. Nicht jedes Übergewicht ist durch eine Sucht entstanden. Ich weiß selber, wie schnell ein wenig Disziplinlosigkeit zu 10 Kilo mehr führen kann. Sportler mit Knochenbrüchen haben (i.d.R.) keine Sucht, sondern einfach ein gefährliches Hobby. Wenn ich Knie- oder Rückenschmerzen habe, weil ich nie Sport mache, bin ich dafür verantwortlich. Wenn ich Karies bekomme, weil ich zu faul bin, mir gründlich genug die Zähne zu putzen oder eine Herzmuskelentzündung bekomme, weil ich mich nach meiner Grippe nicht genug geschont habe, ist es ja auch meine Schuld. Sollen diese Menschen alle für ihre eigene Behandlung aufkommen, weil sie selber „schuld“ sind? Ich glaube, wir bereiten dieser Argumentation den Weg, wenn wir so etwas im Fall von Corona ok finden.
Ich finde aber auch nicht, dass dieses Thema „Schuld/Haftung für Ansteckung“ ein rechtsfreier tabuisierter Raum blieben soll, nur weil es einfacher wäre. Wir müssen uns den Fragen stellen, aber auch überlegen, welche Auswirkungen das auf die Gesellschaft hat und ob wir bereit sind, diese in Kauf zu nehmen.