Anregung einer Diskussion zum Begriff "Imperiale Lebensweise"

Liebe Lage,
habe gerade die aktuelle LdN322 gehört und beziehe mich hier auf Eure Darstellung und Reaktion auf die Debatte zur Verkehrswende bei Anne Will.
Am Ende Eurer für mich erhellenden Ausführungen sagt Ihr: „Das ist jetzt kein Autobashig.“
Ich bin der Überzeugung, dass Autobashing sehr angesagt ist, wenn ich ein „Gutes Leben“ für die Menschen auf dem Planeten vertrete und rege hiermit an, dass Ihr die Politikwissenschaftler Ulrich Brand und Markus Wissen in die Lage einladet, um mit Ihnen über ihren Begriff der Imperialen Lebensweise zu diskutieren, den sie sehr prägnant am Beispiel der Produktion und Nutzung von SUV ausbuchstabieren. Danke für Eure Arbeit und viele Grüße aus Bonn von Stefan

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Hier kann man ein Interview mit Brand zum Buch nachlesen.

Glaube da muss man vom Buchtitel schon sehr überzeugt sein um das lesen zu wollen.

Wie meinst du das?

Weil das für mich eine Art „Framing“ ist. Damit will er eigentlich einen Großteil der Bevölkerung als vertrottelte Ignoranten bezeichnen. Das kommt auch im Interview gut rüber. Finde das schon grenzüberschreitend.
Gleichzeitig nimmt er für sich zwei Kontinentalflüge pro Jahr in Anspruch, damit er den SUV Verkehr in Südamerika studieren kann. Dort erkennt er, dass SUV fahren Kolonialismus per se ist.

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Das Interview habe ich gelesen. Ich habe es eher so verstanden, dass das teilweise imperiale (kolonial fände ich passender) Handeln und Denken halt unterschwellig noch immer in den westlichen Ländern vorhanden ist. Den Vorwurf von „vertrottelt“ würde ich nicht herauslesen, Ignoranz allerdings schon eher. Für den westlichen Menschen ist die Haltung zur Zeit noch bequem und vorteilhaft, deswegen hält sie sich.

Muss man die 2 Kontinentalflüge machen, um die Auswirkungen von imperialem Handeln zu untersuchen? Dass er nur den SUV-Verkehr dabei untersucht, ist eine Polemik, die vom Thema ablenkt. Seine Thesen halte ich für diskussionswürdig. Vielleicht können wir das hier ja machen.

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Da spricht er ja davon, das hab ich nicht erfunden. Natürlich ist es trotzdem polemisch.
Wie sollte man gut ausgebildete Menschen bezeichnen, die zwar Bio einkaufen aber so tun wie wenn sie der Klimawandel nichts angeht? Aber ok, zurück zu deinem Vorschlag. Ich versuche es mal mit meinen Thesen zum Kolonialismus oder Imperialismus:

  • das war ist eine dunkle Seite in unserer Geschichte, es gibt noch viele andere
  • wer 100 Jahre später geboren wurde ist dafür nicht verantwortlich
  • 50 Jahre nach Ende des Kolonialismus sind die ehemaligen Kolonien ganz alleine verantwortlich für den Zustand in ihrem Land
  • kein Konsument wünscht sich, dass jemand ausgebeutet wird für ein Produkt das er kauft, schon gar nicht ist er dafür verantwortlich
  • verantwortlich sind in erster Linie die Arbeitgeber, die Politiker dort und die westlichen Unternehmen die dort beschaffen
  • wenn wir keine Waren aus diesen Ländern beziehen, gibt es dort keine Arbeitsplätze mit allen Folgen

Feuer frei

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So eine Studie dient nicht einer Einzelperson, sondern verfolgt einen gesamtgesellschaftlichen Zweck. Das gleiche gilt, wenn Umweltaktivisten zu Klimagipfeln fliegen. Dieser Polemik alá „Gegen Fliegen sein, aber zum Klimagipfel fliegen“ bin ich wirklich überdrüssig.

Manche Menschen brauchen einen Reality-Check. Ihnen muss vor Augen geführt werden, dass die Art, wie sie leben, nicht dauerhaft haltbar ist. Vor allem muss diesen Menschen klar gemacht werden, dass es unmöglich ist, dass alle Menschen auf der Welt diesen Lebensstil leben - und das bedeutet: Wer diesen Lebensstil verteidigt hat ein post-koloniales Mindset. Es geht davon aus, dass er das Recht auf Luxus hat, welches der globale Süden niemals hatte und niemals haben wird.

Wer also wirklich meint, der aktuelle Lebensstandard des Westens sei gottgegeben, ist in der Tat entweder ein „vertrottelter Ignorant“ oder ein „egoistischer Herrenmensch“.

Du verkennst dabei völlig, dass sich die Folgen des Kolonialismus bis heute weiter tragen und sogar potenzieren. Nach dem Ende des Kolonialismus 1945 war der Status Quo, dass der globale Norden massiven Wohlstand auf Kosten des Südens aufgebaut hatte, während der globale Süden industriell und wirtschaftlich meilenweit hinter dem globalen Norden war.

Jetzt zu sagen: „Ach, ihr hättet in den letzten 70 Jahren aufholen können, also heult nicht rum“ ist… nun ja… sagen wir es ist die Sicht eines Gewinners des Kolonialismus, der seine Beute behalten will…

Also dürfen wir weiter Kleidung aus Kinderarbeit, Blutdiamanten und Opium von afghanischen Warlords kaufen? Natürlich hat der Konsument eine moralische Verantwortung…

„In erster Linie“ ist hier der Kern. Dem stimme ich sogar zu. Das entlastet jedoch nicht den Konsumenten für einer Mitverantwortung. Ohne den willigen Konsumenten würden diese Geschäftsmodelle eben nicht funktionieren.

Die Frage ist sowohl „was“ als auch „zu welchen Konditionen“ in diesen Ländern gekauft wird. Wenn die starken Industrieländer z.B. ihre wirtschaftliche Vormachtstellung ausnutzen, um in Afrika billige Waren einkaufen zu können, ist das klassisches postkoloniales Handeln.

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Die Beispiele sind für die Diskussion wirklich gut gewählt. Sie zeigen zum einen, dass es diese moralische Verantwortung tatsächlich geben kann, zum anderen aber auch warum das für viele Waren Unsinn ist. Dass es für den Fall von Blutdiamanten, Opium (usw) zutrifft, ok, sicher, das finde ich eingängig. Waren/Dienstleistungen eben, bei denen dem Verbraucher die Schäden dahinter entweder bekannt sind, oder zumindest sein müssen, wenn man nicht beide Augen ganz fest zudrückt. Agreed.
Und der Rest? Da bleibt ja noch eine ganz gewaltige Menge an Dingen übrig, über deren Produktionsweise du rein gar nichts weißt. Nicht wissen kannst. Ob bei Schlafanzug, Kaffeebecher, Hausschlappen etc. nun Kinderarbeit, giftige Chemikalien, umweltschädliche Entsorgung etc. zum Einsatz kamen, das erfährst du nie, ist Geschäftsgeheimnis. Und dem Produkt sieht man es nicht an. Wie lässt sich aus diesem Stand des quasi völligen Nicht-Wissens eine (Mit-)Verantwortung herleiten?

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Taiwan und Südkorea hatten 1945 Jahrzehnte von (nichteuropäischem) Kolonialismus und Unterdrückung zu ertragen, im Falle von Südkorea kam kurz danach noch ein blutiger Bürgerkrieg hinzu. Beide Staaten sind heute Industrienationen. In Vietnam herrschte bis Mitte der 70er Krieg. Alle diese Staaten hatten schlechtere Voraussetzungen als viele rohstoffreiche Länder in Afrika, wo sich seit der Unabhängigkeit aber nur kleptokratische Diktaturen und kriegerische Auseinandersetzungen abwechseln. Beispielweise könnte ein kleiner, aber ölreiche Staat wie Äquatorialguinea ein afrikanisches Kuwait sein, stattdessen leben 90% seiner Bewohner in Armut, weil die Erlöse auf Privatkonten in Steueroasen wandern.
Daran ist aber nicht der Westen schuld.

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Taiwan und Südkorea sind beides offensichtliche Sonderfälle, die in dieser Diskussion völlig deplatziert sind. Der Grund, warum diese beiden Systeme trotz langer Kolonialgeschichte funktionieren, ist, dass sie Teil eines Systemkonflikts zwischen dem reichen Westen und dem ehemaligen Ostblock sind.

Die westliche Gemeinschaft, allen voran die USA, haben daher in diese beiden Länder über die Jahrzehnte hunderte Billionen Dollar investiert, um diese Länder als Bollwerke gegen den jeweils entgegenstehenden Kommunismus von China und Nordkorea aufzubauen.

Diese beiden Staaten sind deshalb keine Kolonien, die wie die Kolonien in Afrika erst ausgebeutet und dann sich selbst überlassen wurden, sondern Kolonien, die nach Entlassung aus dem Kolonialismus gezielt aus eigenem Interesse des Westens aufgebaut wurden.

Wer hier Taiwan und Südkorea als Beispiele „erfolgreicher Ex-Kolonien“ anbringt und damit eine Selbstverantwortung der erfolglosen Ex-Kolonien begründen will, dabei aber die massive finanzielle und organisatorische Unterstützung der „erfolgreichen“ Kolonien durch den Westen ausklammert, argumentiert unredlich.

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Schönes Beispiel, konnte man heute morgen bei uns in der Lokalpresse lesen. Da haben junge Leute wieder den Flug der Klimakleber verteidigt. So nach dem Motto „Klima schütze in von 08 bis 16:00. Da kann ich mich nur wiederholen, das sind Botschaften und Symbole die der Sache extrem schaden. Authentizität nennt sich das. Mit einem Flug zum Klimagipfel hat das überhaupt nichts zu tun.

Aus meiner Sicht nicht die Bohne. Wir beide wissen was da im Kern raus kommt. Du beschreibst das doch in deiner Antwort sehr genau.

Das tut glaub ich niemand. Dein Reflex wiederum entspricht exakt der kritisierten Überschrift, danke für die Bestätigung.

1945 lag DE in Schutt und Asche. Da war garantiert auch niemand in der Lage auch nur mal nach Afrika zu reisen

Das hängt halt nicht am Etikett. Was ist denn deinen Erwartung? Vorher hinfahren, oder genügt dir ein schlechtes Gewissen?
Dieses Reaktionsmuster ist identisch mit der Diskussion zur Landwirtschaft. Wie wenn die Konsumenten fordern, dass der Bauer seine Schweine in Massentierhaltung hält.

Nun das nennt sich glaub ich Kapitalismus. Aber selbst da legt der Anbieter fest, für welchen Preis er sein Produkt verkauft. Selbst bei Kaffee oder Bananen liegt es an den kriminellen und korrupten Händlern in den jeweiligen Händlern. Und selbst wenn man Fairtrade kauft, wird das von den Ideologen als Ausbeutung bezeichnet (als Nachtrag zu den Verbrauchern)

„Postkolonialen Handeln“ halte ich für ein akademisches Fantasiegebilde.

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Weil sie nicht in deine Argumentation passen? Übrigens gibt es in der Region noch andere Staaten wie Malaysia (ehemalige britische Kolonie) oder Indonesien (ehemalige niederländische Kolonie) die politisch und ökonomisch deutlich besser dastehen als die meisten afrikanischen Staaten. Es kann auch nicht behauptet werden, dass im Ost-West Konflikt die USA und die Sowjetunion nicht versucht hätten, ihren Einfluss auch dort geltend zu machen. Allerdings haben viele afrikanische Länder nach dem Ende des Kolonialismus sozialistischen Wirtschaftsordnungen übernommen, wobei das ganz sicher nicht vom Westen gewollt wurde.

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Ja, nicht für die koloniale Ausbeutung von vor 100 Jahren, wäre anders auch nicht möglich. Wenn eine Person ihren Vorteil aus dem Kräfteverhältnis zwischen Europa und Afrika zieht, ist sie für ihren kleinen Teil eben doch verantwortlich für die Aufrechterhaltung eines unfairen Handels. Wenn sich eine deutsche Kaffeerösterei auf einen „sauberen“ Kaufvertrag mit einem Machthaber beruft und sich deswegen aus der Verantwortung für die vom „Verkäufer“ durchgeführte Vertreibung der bis dahin ansässigen Bauern zieht, dann ist das neokoloniales Handeln in Reinkultur. Wer diesen Kaffee kauft, hätte die Möglichkeit, darüber Bescheid zu wissen. Nur froh sein über den guten Preis beinhaltet ein gewisses Mass an Ignoranz zum eigenen Vorteil.

Wünscht es nicht, nimmt es aber in Kauf, vor allem, wenn die Umgebung auch so handelt (das zu wissen ist ein starkes Mittel gegen schlechtes Gewissen)

@Daniel_K hat den schiefen Vergleich zwischen Asien und Afrika gut offengelegt. Dazu möchte ich aber noch allgemeiner sagen, dass historische Abläufe in ihrer Komplexität per se solche einfachen Vergleiche mit entsprechend einfachen Schlussfolgerungen („die Afrikaner sind selbst schuld“) nicht erlauben. Ich habe vielleicht auch nicht mehr Ahnung von der Kolonialgeschichte als du, aber einen quasi qualitativen Unterschied zwischen Menschengruppen halte ich für ausgeschlossen. Und überhaupt: nach welchen Masstäben wird da gemessen? Ja, wieder einmal ist es der westliche.

Vielleicht noch ein Unterschied zwischen Asien und Afrika. Viele afrikanische Kulturen wurden durch den Sklavenhandel regelrecht vernichtet, gedemütigt, gespalten und absichtsvoll mit menschenverachtender Korruption infiziert, indem manche afrikanische Führer in den Verkauf der eigenen Leute hineingedrängt wurden oder aus Gier bereitwillig mitmachten.

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Nach dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz muss die Rösterei sich versichern, dass die Menschenrechte eingehalten werden.
Wie wäre denn dein Ansatz?

Kannst du einen Kaffee empfehlen bei dem du sicher bist „alles ok“? Und wie sortierst du aus? Glaube so einfach is das nicht, lerne aber gerne dazu

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Der Fall liegt noch vor dem Lieferkettengesetzt. Die Rösterei sagte damals, sie hätte einen juristisch einwandfreien Kaufvertrag abgeschlossen, von Vertreibungen wisse sie nichts. Vermutlich hätte das Lieferkettengesetz nicht geholfen, denn was interessiert den Käufer was vor dem Kauf auf dem Land war, alles Sache des Verkäufers, der natürlich nicht belangt werden kann.

Nein, ich bin kein Kaffeetrinker. Ich glaube aber schon, dass es verlässlichere Quellen für guten Kaffee gibt, halt um Einiges teurer. Aber genau dieses über Jahrzehnte eingesickerte, bequeme Mitnehmen des Vorteils ohne nachdenken zu müssen, ist das Thema hier.

Aber wie gesagt, die Verantwortung auf die Konsumenten abzuwälzen ist ungerecht und führt zu keiner Verbesserung. Das müssen Regierungen in die Hand nehmen. Aber die haben Angst, sich damit unbeliebt zu machen, also warten sie auf gesellschaftlichen Druck oder auf den Druck durch Ereignisse. Von daher sehe ich kein grundlegendes Problem, wenn gesellschaftliche Akteure sich hie und da nicht an ihre eigenen Maximen halten. Der Missstand ist deswegen nicht weniger real und die Argumente sind nicht weniger wahr.