Anmerkung zum Thema Meinungsfreiheit

Liebes Lage-Team,

ihr habt beim Bericht über die republica: das Thema Meinungsfreiheit angesprochen und zusammengefasst, dass es in Deutschland keine staatliche Zensur gebe und das Missverständnis oft darin liege, dass Meinungsfreiheit nicht bedeute, seine Meinung unwidersprochen äußern zu können. Ich möchte hier gerne drei ergänzende Anknüpfungspunkte liefern, die zeigen, dass die Situation komplexer ist:

1. § 188 StGB – Schutz von Politikern vor übler Nachrede
Der neue § 188 StGB, der die üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens zu Recht unter besonderen Schutz stellt, ist fraglos wichtig, um insbesondere auch die regelmäßig verbal ekelig angegriffene Kommunalpolitiker zu schützen – damit diese ihre Ämter nicht hinschmeißen – wie immer öfter passiert. Die Kehrseite ist jedoch, dass nun auch vergleichsweise harmlose Formulierungen staatlich sanktioniert werden können, auch ohne das der/die Betroffene sich persönlich „ehr-verletzt“ fühlen muss und Strafantrag stellt. . Ein Beispiel ist die Hausdurchsuchung bei einem Mann, der Robert Habeck als „Schwachkopf“ bezeichnet hatte (Robert Habeck und „Schwachkopf“: Die rechtlichen Folgen).
Auch der unverdächtige Economist warnt vor einer zunehmenden Bedrohung der Meinungsfreiheit in Deutschland durch gesetzliche Überreaktionen, welche die Grenzen der Meinungsfreiheit immer weiter einschränken (The threat to free speech in Germany)- der volle Artikel leider hinter Paywal).

2. Israelkritik und Antisemitismus-Definition
Ihr habt in eurer ausgezeichneten Folge über Antisemitismus selbst auf die Schwierigkeiten und Probleme hingewiesen, die mit der in Deutschland verbreiteten IHRA-Definition von Antisemitismus verbunden sind. Insbesondere in der Kulturszene und an Hochschulen fühlen sich viele Menschen verunsichert, ihre Meinung zum Nahostkonflikt zu äußern. Zwar wird hierzulande niemand wegen politisch unpassenden Äußerungen eingesperrt, aber die Angst vor gestrichenen staatlichen Förderungen und Zuschüssen ist in beiden Bereichen groß. Es gibt zahlreiche Beispiele, bei denen Veranstaltungen oder Förderungen insb. aufgrund des Verdachts auf antisemitische Positionen abgesagt oder gestrichen wurden – auch wenn Gerichte diese Entscheidungen später aufheben, können die Folgen für die Betroffenen existenziell sein.

3. Allgemeine „Cancel Culture“ von Personen und Veranstaltungen
Allgemeiner betrachtet stellt die sogenannte „Cancel Culture“ eine Herausforderung dar, bei der sowohl von links als auch von rechts politischer und gesellschaftlicher Druck auf Personen oder Institutionen ausgeübt wird, bis staatliche Behörden Veranstaltungen absagen oder Redner ausladen. Zwar führt auch dies glücklicherweise niemanden direkt ins Gefängnis, doch kann es für die Betroffenen durch Reputations- und Einkommensverluste zu existenziellen Bedrohungen werden. Darüber hinaus trägt dieses Vorgehen dazu bei, dass in der Bevölkerung der Eindruck entsteht, die Meinungsfreiheit sei immer weniger gewährleistet.

Fazit
Laut Allensbach-Institut sind aktuell nur noch 40 % der Deutschen der Meinung, dass sie ihre Ansichten frei äußern können - ein Abfall von ca. 80% (Gefühlte Meinungsfreiheit in Deutschland 2023| Statista). Diese historisch niedrige Zahl zeigt eine tiefe Verunsicherung hinsichtlich der tatsächlichen Meinungsfreiheit in Deutschland. Ich denke, der Schutz der Meinungsfreiheit ebenso essenziell wie der wirksame Kampf gegen gezielte Desinformationskampagnen, die unsere liberale Gesellschaftsordnung bedrohen. Es ist ein schwieriger Balanceakt, der im Einzelfall auch Einschränkungen der Meinungsfreiheit rechtfertigen kann. Dennoch bleibt das weitverbreitete Gefühl eines Rückgangs der Meinungsfreiheit ein vielschichtiges Phänomen, das sich nicht allein mit dem Hinweis auf ein Missverständnis erklären lässt, Meinungsfreiheit bedeute nicht, von Widerspruch verschont zu bleiben. Vielleicht könntet Ihr dieses Spannungsfeld in einer der nächsten Sendungen noch einmal vertiefend aufgreifen?

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Das Thema ist in der Tat hoch-komplex und es gibt keine richtigen oder falschen Antworten.

Klar ist, dass jede Meinungsbekundung zu Reaktionen führt. Das kann und will sicherlich niemand verbieten. In einer immer enger verknüpften Welt fallen diese Reaktionen dann eben im schlimmsten Fall landesweit oder gar global aus, weil die Meinungsbekundung über Social Media und Echtzeit-Nachrichten ganz schnell bis in den letzten Winkel vordringt.

Was du nun „Cancel Culture“ nennst (ich lehne diesen Begriff grundsätzlich ab!) ist letztlich genau das: Ein Ausdruck einer bestimmten Gruppe, dass eine Meinung inakzeptabel sei und ihr deshalb weniger öffentlicher Raum gegeben werden sollte. Hier ist es an den Medien und den sonstigen „Bühnengebern“, derartige Kampagnen zu durchleuchten und entsprechend zu handeln oder eben nicht zu handeln. Ein Unternehmen (z.B. eine Konzerthalle, ein Festivalveranstalter…) darf natürlich Auftritte von besonders umstrittenen Personen ablehnen, wenn es zu der Meinung kommt, dass diese Person dem Unternehmen wirtschaftlich eher schadet als nützt.

Dass immer mehr Deutsche meinen, ihre Meinungsfreiheit sei eingeschränkt, liegt u.a. auch daran, dass diese Meinung von einer leider aktuell sehr starken Partei immer und immer wieder wiederholt wird. Und dass einige Meinungsäußerungen, die früher akzeptiert wurden, heute mit Fug und Recht verpönt sind (z.B. rassistische Witze und Begriffe). Die Meinungsfreiheit wird aber meiner Einschätzung nach eher durch die neue Medienlandschaft als durch die Politik eingeschränkt, was du ja auch mehr oder weniger schreibst. In einer Zeit, in der man damit rechnen muss, dass alles, was man sagt (oder wie im Sylt-Fall dumm dahersingt) von einem der allgegenwärtigen Aufzeichnungsgeräte aufgenommen und bundesweit verbreitet werden könnte muss man sich eben besonders viele Gedanken machen, was man sagen oder singen will. Das führt zu der Frage: Ist die stärkere Verfolgung und Verfolgbarkeit von „problematischen Meinungen“ im Internet-Zeitalter eine Einschränkung der Meinungsfreiheit?

Bei ungewollter Verbreitung der eigenen Meinung kann man noch argumentieren, dass es hier rechtlichen Schutz geben muss (das sehen die Gerichte ja ähnlich, deshalb hat die Bild-Zeitung z.B. den Prozess gegen einige der Sylt-Rassisten verfolgen, weil sie das Video unverpixelt verbreitet hat), aber wer dumme Meinungen wissentlich und willentlich veröffentlicht (z.B. JK Rowling mit ihrer Transphobie auf Twitter) und sich dann wundert, dass er entsprechende Reaktionen dafür erntet, sollte nicht über „Cancel Culture“ und „Erosion der Meinungsfreiheit“ rumheulen, sondern verstehen, dass die Tatsache, dass man seine Meinung heute schnell an viel größere Menschenmengen bringen kann, eber auch dazu führt, dass die Reaktionen auf streitbare Meinungen ungleich größer ausfallen als früher. Das ist kein Problem der Meinungsfreiheit.

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Ich denke, dass es sich hier um eine Scheindebatte handelt und letztendlich ein von rechts angezettelter Kulturkampf ist.

Aufforderung zu Gewalt oder Bedrohung sind sowohl in den USA als auch in Deutschland nicht von der Redefreiheit gedeckt (den subtilen Unterschied Meinungsfreiheit und Redefreiheit spare ich mir hier auszuführen).

In Deutschland ist man historisch bedingt bei der „Volksverhetzung“ empfindlicher, in den USA kulturell bei „Obszönitäten“. Ich denke, dass man einfach mal nationale Unterschiede gegenseitig akzeptieren.

Die meiste „gefühlte“ Einschränkung kommt aus meiner Sicht aus zwei Entwicklungen.

  1. Keine Toleranz der Widerrede
    Das hat Ulf bereits im Podcast und bei der re:public ausgeführt.
    Viele Menschen sind regelrecht erschrocken, wenn ihnen widersprochen wird. Von rechter Seite unterläuft das natürlich auch die Behauptung des „Volkswillens“. Aber der Diskurs und das Recht subjektiv empfunden Blödsinn nicht stehen zu lassen, gehört genauso zur Redefreiheit dazu.
    Mir ist in den „neuen“ Bundesländern aufgefallen, dass es dort unüblich ist, dass man sich im Freundes- oder Verwandtenkreis widerspricht. Auch bei unkritischen Themen entwickeln sich Gespräche, bei denen die Teilnehmer sind gegenseitig bestärken und mit passenden Anekdoten beitragen. Das erzeugt natürlich eine heimlige Atmosphäre. Mich würde mal interessieren, ob das soziologisch untersucht wurde und vielleicht die „rechten Blasen“ in einigen Landesteilen erzeugt.

  2. Gesellschaftlicher Druck
    Ohne das ein offizielles staatliches Verbot existiert, wird von allen möglichen Seiten Druck ausgeübt, bestimmte Aussagen selbst zu zensieren.
    So gibt es in den USA ja schon lange die Pieper im Radio (oder Musikvideo), um obszöne Stellen zu verdecken. Oder die Warnung „explicit lyrics“, die von streng konservativen Eltern gegenüber der Musikindustrie durchgesetzt wurde und zu einem „Qualitätsmerkmal“ für Jugendliche wurde.
    Im akademischen Bereich (Geisteswissenschaften) wurden viele Studenten in den USA eher links indoktriniert und darauf gedrängt, bestimmte Meinungen nicht mehr zu akzeptieren.
    Beide sind aus meiner Sicht Entwicklungen aus den USA, die bei uns nie in diese Extreme aufgetreten sind, aber von verschiedenen Seiten durchaus instrumentalisiert wurden.
    Gerade von rechter Seite werden ja gerne vermeintliche Tabus aufgebaut und kritisiert, die so nie existierten (typische Strohmann Taktik).

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Ja du hast recht @Daniel_K, sicher müssen sich Medien und Bühnengeber hier hinterfragen. Andererseits sollte man hier jedes beteiligte Individuum nicht komplett außen vor lassen. Es ist einfach völlig daneben Meinungen, die sich noch im Rahmen befinden, aber einem nicht gefallen, zu versuchen zu bestraften.

Ich denke da an

  • so manche Kampagne gegen Menschen, die schon früh Israel der Kriegsverbrechen beschuldigt haben.
  • Ausladungen an Hochschulen, nicht weil man die Haltung der ausgeladenen Person so problematisch sieht, sondern weil Aktivisten des kritisierenden Lagers intensive Blockaden oder Ausschreitungen angekündigt haben.
  • Menschen, die in ihrer eingebildeten Selbstsicherheit oft übers Ziel hinaus schießen und Feinde kreieren, wo das nicht berechtigt ist. So habe ich mich nach dem ersten Corona-Frühling online und im Austausch mit Politikern für die Rechte von Kindern und Jugendlichen, sicher auch zu Nachteil von Älteren, eingesetzt. Canceler identifizierten mich in der Folge auf Job-Portalen und schickten meinem Arbeitgeber (eine der großen Forschungsgesellschaften) damals Aufforderungen mich zu entlassen.
  • das gleiche Spiel in Grün von rechter Seite weil ich mich mit einem hohen AfD Abgeordneten angelegt hatte.
  • einen rechten Influencer, der das gleiche bei einer lieben früheren Kollegin praktiziert hat (inklusive koordiniertem Telefonterror an ihrem Institut), weil sie sich 2016 intensiv in der Flüchtlingshilfe und gegen Rechts engagierte.

Ich glaube viele wissen gar nicht wie aktiv die Canceler der üblichen politischen Lager bereits sind. Für die ungerechtfertigt(!) Betroffenen hilft es wenig zu wissen, dass das gesteuerte Kampagnen sind. Sie bekommen oft beruflich Stress oder stehen mit einem Bein im Sozialen Aus.

Dazu kommt das diese gereizte Republik mittlerweile auch oft dazu neigt nicht mehr fair miteinander zu diskutieren, sondern schnell zu eskalieren, das Gegenüber in Schubladen zu stecken und mit Kampfbegriffen und böswilligen interpretierten Unterstellungen zu hantieren.

Ich finde es ist eine gesellschaftliche Aufgabe diesem kranken Klima den Vogel zu zeigen. Nur den Medien und den Bühnengebern die Verantwortung zuzuspielen greift meines Erachtens viel zu kurz. Wir alle sind dafür verantwortlich, Meinungsfreiheit zu verteidigen, Brücken zu bauen, und doch gleichzeitig völlig abwegigen Positionen das Mikrofon zu entreißen.

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Dagegen hat Gesellschaft noch nie ein Mittel gefunden. Gerade Deutschland hat und hatte es mit Zivilcourage leider gar nicht. Wobei ich da denke, dass das grundsätzlich ein menschliches Problem ist, das nur zuweilen von einzelnen durchbrochen wird, wie Konstantin Wecker mit seinem legendären „Sage Nein“. Das ist ein weiteres Problem in Deutschland. In unserer Geschichte haben wir meist erlebt, dass Menschen, die Macht hatten, diese missbraucht hatten. Wir haben keinen George Washington, der zwar seine schlechten Seiten hatte, aber unbestritten großartiges für seine Nation geleistet hat. So bräugen wir Menschen mit Einfluss misstrauisch. Sie können keine Leader werden. Eine Luisa Neubauer konnte nie die Stimme einer Bewegung für Deutschland werden wie Greta Thunberg für die Welt. Davor machen wir sie nieder. Und wenn das andere machen, sind wir dankbar, dass „die Göre“ jemand zurück auf den Boden der Tatsachen holt.
Denn eine Klimainfluenzerin mit Einfluss in der Bevölkerung macht uns Angst, dass sie die Macht missbrauchen könnte. Da ist uns ein gesichtsloser Mob lieber, der seine Macht heimlich nutzt, um die öffentlich Mächtigen am ausüben ihrer Macht zu hindern.

Exakt das Gleiche trifft aber doch auch auf „linke Blasen“ zu? Der Diskurs innerhalb linker Positionen ist aus meiner Sicht weitestgehend tot. Ich vertrete persönlich ein recht breites Meinungsspektrum, mit dem ich inzwischen weder links noch rechts eindeutig zugeordnet werden kann. Früher habe ich mich als linksliberal eingeordnet. Beschimpfung und Ausgrenzung erlebe ich in gleicher Weise von rechts und links.
Natürliche ist das anekdotisch, aber die Zahlen und Umfragen zum Thema zeigen eindeutig, dass es nicht nur mir so geht.

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Dem kann ich aus eigenem Erleben nur widersprechen. Es ist hier absolut üblich sich im Familien- und Freundeskreis zu widersprechen und das auch heftig. Der Unterschied scheint mir eher, dass man hier versucht trotzdem Brücken so lange zu erhalten wie es geht, während man in anderen Teilen Deutschlands, vor allem sehr urbanen Gegenden, schnell mal den Kontakt wegen angeblich unüberbrückbarer Meinungsverschiedenheiten abbricht. Die oft gehörte Forderung sich von jemandem, nicht nur seiner Meinung, zu distanzieren ist ein deutlicher Hinweis auf diese Art.

Ich würde das auf das andere Miteinander schieben. In den neuen Bundesländer gab es und gibt es weiterhin, vor allem im ländlichen Raum das Gefühl, man sollte Brücken nicht unnötig abreißen, denn möglicherweise brauche man den anderen ja nochmal. Das führt dazu, dasszwar deutlich widersprochen wird, man danach aber doch ein Bier trinkt und über die alten Zeiten lacht.

Ich nehme aber auch wahr, dass Aussagen, wie auch Widerspruch, abseits der Ränder leiser werden. Das scheint mir eine Folge der zunehmenden medial dargestellten Polarisierung und dem sinkenden Vertrauen auf Meinungsfreiheit. Mein Nachbar erklärte mir neulich, in sehr entschuldigendem Ton, dass er mit der zunehmenden Zahl nordafrikanischer Menschen in Berlin seine Probleme habe (zur Erklärung, wir wohnen direkt in der Nähe und arbeiten auch beide in Berlin). Er habe nichts gegen die Menschen, aber organisierte Drogenkriminalität oder andere Vorstellungen von Ordnung und Umgangsformen einiger bereiteten ihm Bauchschmerzen. Er sagte es entschuldigend weil er erwartete sofort als Nazi abgekanzelt zu werden, aber seine Unzufriedenheit musste anscheinend mal raus. Stattdessen haben wir danach ein produktives Gespräch darüber geführt, dass nicht die Menschen das Problem seien, sondern unsere fehlende Integration in den Arbeitsmarkt.

Kein Streit, kein Stress, alles lief friedlich. Ich halte es aber für ganz gefährlich wenn Menschen den Eindruck haben ihre Gefühle nicht mehr ausdrücken zu können weil es Menschen gibt, die sie dann möglicherweise organisiert vernichten könnten. Sei es sozial durch Gossip oder beruflich durch öffentliche Denunzierung.

In Erinnerung geblieben ist mir übrigens diese Folge bei Lanz

, in der Materia und Campino unter anderem über die kulturellen Unterschiede diskutieren. Dort taucht auch explizit die unterschiedliche Einstellung zum Kontaktabbruch bei Meinungsverschiedenheiten auf. In dieser Frage hat mich Campino wirklich enttäuscht.

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Ich würde dem tendenziell zustimmen. Zumindest schmeißt der Eröffnungspost sehr verschiedene Dinge in einen Topf, nämlich

  • staatliche Zensur (also eine systematische Kontrolle von Inhalten durch staatliche Stellen, bevor diese veröffentlicht werden können)
  • Einschränkungen der grundgesetzlich garantierten Meinungsfreiheit durch Strafrechtsnormen, weil die Freiheiten und Rechte anderer verletzt werden (z. B. Volksverhetzung, Beleidigung etc.)
  • Bedingungen für die Vergabe öffentlicher Fördermittel wie zum Beispiel, dass die Empfänger staatlicher Gelder keine menschenverachtenden Ideologien verbreiten
  • Widerspruch und Proteste von Individuen oder privaten Gruppen gegen bestimmte Personen oder Gruppen aufgrund deren politischer Haltung.

Besonders bei den letzten beiden Punkten ist zudem zu berücksichtigen, dass Menschen dies meist nur thematisieren, wenn es sie selbst betrifft, aber nicht wenn es um andere geht oder sie sogar selbst entsprechende Proteste oder Beschränkungen unterstützen - was nicht selten der Fall ist.

Wenn dann noch eine Umfrage zur gefühlten Meinungsfreiheit angeführt wird, sind wir endgültig nicht mehr bei einer Analyse der tatsächlichen Situation, sondern bei der Wahrnehmung einer Situation durch einen Teil der Bevölkerung.
Ergo: Ja, es gibt Beschränkungen der Meinungsfreiheit - auch staatlicherseits. Aber die sind weitestgehend geregelt und begründet, was Ergebnis eines politischen Diskurses ist. Natürlich kann man diese Grenzen ändern oder anders definieren wollen, auch das ist Teil der politischen Aushandlung. Aber man frage sich mal, ob eine unbeschränkte Meinungsfreiheit (inklusive Hetze gegen Minderheiten, Gewaltandrohungen, verbalen Angriffen etc.) wirklich wünschenswert ist.

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„Exakt das Gleiche trifft aber doch auch auf „linke Blasen“ zu?“

Nö, das kann ich nicht bestätigen. Zwar hat sich meine individuelle politische Schlagseite eher in Richtung Grünen-Realo entwickelt, ich bin aber nach wie vor in mehreren linken Projekten entweder aktiv oder zumindest noch lose verbunden, und da wird sich noch immer ordentlich über Politik gefetzt.

Ich habe lediglich den Eindruck, dass man dieses notorische linke In-Fighting nicht mehr ganz so lautstark nach außen trägt.

Edit: Typos

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Ich sehe das Problem auch stärker in der freiwilligen Selbstzensur der Medien und der Bürger, als bei staatlichen Akteuren. Nichtsdestotrotz sei darauf hingewiesen, dass der Staat durchaus eine indirekte Mitwirkung bei der „Cancel Culture“ von Personen und Veranstaltungen haben kann. Beispielsweise hatte die Humboldt-Universität damals den Vortrag von Frau Vollbrecht wegen „Sicherheitsbedenken“ abgesagt. Es wäre die Aufgabe der Berliner Polizei gewesen, diese Sicherheitsbedenken aus der Welt zu schaffen – notfalls mit einer Hundertschaft. Ich möchte dem Berliner Innenministerium hier keine Verfehlung oder gar Verschwörung unterstellen, aber illustrieren, dass der Staat unliebsame Meinungen nicht nur durch Verhaftungen sondern auch durch „vermeintlich harmlose“ Unterlassung unterdrücken kann.

Die größte Ursache für die Selbstzensur der Bürger sehe ich in der zunehmenden Verengung des Debattenraums auf genau zwei sich diametral gegenüberliegende Extreme. Wer mit einer differenzierten Meinung zwischen beiden Extremen steht, wird von beiden Seiten als Feind betrachtet. Im Zweifel zieht sich der Differenzierte aus der Debatte raus und überlässt den beiden lauten radikalen Minderheiten den Debattenraum (und schließlich behaupten beide Seiten, dass sie für die schweigende Mehrheit sprechen sprechen – obwohl sie deren Mitglieder davor wahlweise z.B. als Nazis oder Volksverräter diffamiert haben).

Edit: „gecancelt“ durch „abgesagt“ ersetzt. Ich wollte nicht andeuten, dass die HU den Vortrag aktiv „gecancelt“ hat, sondern dass die Aktivisten im Ergebnis mit ihrer „Cancel“-Forderung erfolgreich waren.

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„Canceler identifizierten mich in der Folge auf Job-Portalen und schickten meinem Arbeitgeber (eine der großen Forschungsgesellschaften) damals Aufforderungen mich zu entlassen.“
Und, wurdest Du entlassen? Ich nehme an nein. Das hier beschriebene sehe ich idT hart an der Grenze zum persönlichen Harassment, aber letztlich konntest Du doch öffentlich sagen, was Du wolltest, ohne das es für dein Privatleben Konsequenzen hatte, oder?
Deine, in diesem Fall, politischen Gegner durften öffentlich deine Entlassung fordern - wenn es dafür aber keine rechtliche Grundlage gibt passiert halt weiter nichts.

Was Ausladungen an Universitäten angeht: Ich finde grundsätzlich nicht, dass es ein Recht auf eine Bühne gibt. In der Regel ist es darüber hinaus doch so, dass die Leute, die am meisten über vermeintliche Cancelung schreien, riesige mediale Präsenz haben.

Als Beispiel fällt mir z.B. JK Rowling ein: Ihre Bücher werden als Serien neu aufgelegt, in Videospielen adaptiert, sie hat millionen Social Media Follower und wenn sie sich öffentlich zu irgendwas äußert, steht es tags drauf in mindestens 6 Ländern in den Tageszeitungen. Und trotzdem gibt es ein riesiges Geheule, wenn es bei einem lokalen Auftritt Proteste gibt.

Zum Thema Cancel Culture an Unis kann ich das entsprechende Buch von Adrian Daub empfehlen. Das lässt bei der Cancel Culture Panik mithilfe von Daten und Fakten ein bisschen Luft raus.

Harassment, wie z.B. Hetzkampagnen, Telefonterror, publizieren persönlicher Daten, Drohungen und Beleidigungen, etc. hingegen sehe ich als völlig anderes Thema.
Zu versuchen jemandem die Bühne zu entziehen sehe ich als völlig legitim an. In den unglaublich seltenen Fällen dass es einen breiten Konsens darüber gibt, ist es erfolgreich, meistens - wie täglich durch unangenehm aufgefallenen Männern, rechten und Terfs vorgelebt - eben nicht.

Gewaltausübung bzw. Einschüchterung gegen politische Gegner hingegen ist schlicht ein anderes Thema.

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Kein wirklich passendes Beispiel für die angebliche „Cancel Culture“, denn der Vortrag wurde gar nicht nicht „gecancelt“. Er fand nur einfach ca. zwei Wochen später statt. Da war dann auch auch Polizei vor Ort, aber unnötig, da der Vortrag ohne Störungen ablief. Eine Universität ist übrigens nicht „der Staat“ - sie hat das Recht, selbst zu entscheiden, welche Veranstaltungen in ihren Räumen wann und wie stattfinden sollen. Und wenn die Humboldt-Uni (HU) sich für eine Verschiebung entscheidet, ist es nicht an der Berliner Polizei, den ursprünglichen Termin mit Gewalt durchzusetzen. Übrigens hatte die HU auch eine Podiumsdiskussion zur inhaltlichen Kritik an den inhaltlichen Positionen der Vortragenden organisiert, die sehr gesittet vonstatten ging. Allerdings ohne die Wissenschaftlerin, die sich mit dieser inhaltlichen Kritik wohl lieber nicht auseinandersetzen wollte. Auch bei ihrem Vortrag ließ sie einem Bericht zufolge keine Nachfragen zu.

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Das hat niemand behauptet.

Auch das hat niemand in Frage gestellt und das ist das exakte Gegenteil von dem, was ich oben skizziert habe. Laut offizieller Begründung musste die HU den Vortrag wegen der Sicherheitslage absagen, nicht weil sie ihn verschieben wollte (d.h. die HU hätte sich evtl. sogar gewünscht, dass die Polizei den Termin durch die Androhung von Gewalt ermöglicht).

Im Sinne eines zielführenden Diskurses wäre es wünschenswert, wenn Sie sich mit den Argumenten der Mitdiskutanten auseinandersetzen statt irrelevante Szenarien zu erörtern.

Du hast den Fall explizit als Beispiel angeführt für die Behauptung, „dass der Staat durchaus eine indirekte Mitwirkung bei der „Cancel Culture“ von Personen und Veranstaltungen haben kann.“

Warum stellst du dann die irrelevante Hypothese auf, dass die HU sich ein anderes Handeln hätte gewünscht haben können, als das, wofür sie sich entschieden hat? Die Einschätzung der Sicherheitslage und die Verschiebung hat der Berichterstattung zufolge die Universität vorgenommen.

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Es ist doch eigentlich klar, wer der Elefant im Raum ist.

Vorurteile sind negative Einstellungen gegenüber Gruppen bzw. Personen, die dieser Gruppe angehören [oder von denen jemand denkt, sie würden dieser Gruppe angehören].

Viele empfinden es als Einschränkung ihrer ‚Meinungsfreiheit‘, sich nicht gegenüber bestimmten Gruppen oder einzelnen, die solchen Gruppen zugerechnet werden, in undifferenzierter Weise abwertend äußern zu sollen.

Das fängt bei Vorurteilen gegenüber Frauen an, hört aber bei Vorurteilen gegenüber Geflüchteten noch lange nicht auf.

Eine Intuition, dass solche gruppenbezogenen stereotypen Abwertungen eigentlich nicht okay gehen, haben wohl noch die meisten.

Daher halte ich es für ein bewusstes Verlangen nach der gesellschaftlichen Abschaffung von ‚Impulskontrolle‘, wenn Leute darauf bestehen, ihre Vorurteile unwidersprochen verbreiten zu dürfen.

Rücksichtnahme auf Angehörige von Fremdgruppen ist doch nun wirklich nicht zu viel verlangt.

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Lanz und Precht haben zu diesem Thema auch eine Podcastfolge gemacht:

Folge gibt es auch in Podcastapps.

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Korrekt. Das ganze Argument dreht sich um die indirekte Mitwirkung der Polizei, die ein staatlicher Akteur ist.

Edit: Ich habe im ersten Post das Wort „gecancelt“ ersetzt. Falls das allein der Grund für das Missverständnis war. Allerdings kann ich nicht nachvollziehen, wie man missverstehen könnte, dass es (nicht) um den Akteur „Polizei“ geht („Verhaftungen“ und „Innenministerium“ sind keine Begriffe im Zusammenhang mit einer Universität).

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Nochmal: Du hast bezogen auf dieses Beispiel argumentiert , dass „der Staat“ - hier in Form der Berliner Polizei - „unliebsame Meinungen nicht nur durch Verhaftungen sondern auch durch „vermeintlich harmlose“ Unterlassung unterdrücken kann.“. Dein Argument war also, dass man „dem Staat“ quasi aufgrund einer unterlassenen Anwendung des Gewaltmonopols eine Mitwirkung am „Canceln“ zuschreiben kann. Nun hast du ja selbst der Einschätzung zugestimmt, dass wenn ein Veranstalter (in diesem Falle die HU) eine geplante Veranstaltung absagt, verschiebt oder verlegt, es gar keine Grundlage für die Polizei (oder irgendwelche anderen Agenturen „des Staates“) gibt, einzugreifen, geschweige denn die ursprüngliche Planung durch den Einsatz „einer Hundertschaft“ durchzusetzen - gegen die geänderte Meinung des Veranstalters. Wenn es aber gar keine Grundlage für staatliches Handeln gibt, macht es auch keinen Sinn, von einer „unterlassenen“ Handlung zu reden - daher mein Schluss, dass der Fall als Beispiel für das, was du behauptest, schlicht nicht taugt.

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Dem habe ich so pauschal nicht zugestimmt. Wenn ein Veranstalter sich aus Angst vor einem drohendem Angriff auf ein Rechtsgut dazu genötigt fühlt, einen Veranstaltungsteil abzusagen, dann kann es eine Grundlage (und Pflicht!) für ein Eingreifen der Polizei geben, da diese für die innere Sicherheit verantwortlich ist.

(Übrigens: Ob es wirklich eine Gefahr für die innere Sicherheit gegeben hätte, oder ob die HU die Lage falsch eingeschätzt hat oder schlicht gelogen hat, spielt für diese Herleitung keine Rolle.)

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Das ist doch eine üble Nebelkerze. Es geht nicht darum

Vorurteile unwidersprochen verbreiten zu dürfen.

Widerspruch ist absolut möglich und aus meiner Sicht auch erwünscht. Wenn ich aber dem Falschen auf die Füße trete, dann widerspricht der mir gar nicht mehr faktenbasiert, sondern hetzt einfach nur einen anonymen Mob aus „Aktivisten“ durch die Verdrehung von Fakten oder emotionalisierte Argumente auf mich.

Ich habe gelernt mich nicht mehr erkennbar öffentlich zu äußern. Mit Idioten on a Mission von gleichermaßen links und rechts habe ich genug schlechte Erfahrungen gemacht.

Und das sollte uns doch zu denken geben, wenn sich Menschen mit differenzierten Positionen aus der Mitte aus dem Diskurs und zivilgesellschaftlichem.Engagement wegen irgendwelcher halbstarker Aktivisten zurückziehen.

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