Und beides hatte einen gewaltigen politischen Preis für Merkel.
Der Ausstieg aus der Kernkraft war tatsächlich nur möglich, weil der Ausstieg durch Fukushima gesellschaftlich plötzlich sehr, sehr populär wurde. Hier könnte man, wenn man Merkel verteidigen wollte, sagen, dass sie die Gunst der Stunde erkannt und gehandelt hat.
Die Öffnung der Grenzen 2015 wird ihr bis heute von vielen Menschen am rechten Rand der Union nicht verziehen, das hat sie unheimlich viel politisches Kapital im eigenen Lager gekostet.
Nord Stream 2 gegen den Willen der SPD und Teile der eigenen Partei (vor allem die Arbeitgebernahen!) zu stoppen hätte vermutlich damals einfach mehr politisches Kapital gekostet, als sie noch hatte, gleiches gilt für die meisten strengen Umweltschutzmaßnahmen.
Letztlich geht es aber doch immer um demokratische Mehrheiten, wobei es nicht nur um die Mehrheiten in der Bevölkerung geht, sondern vor allem um die Mehrheiten in den Machtzentren, also vor allem den Parteien.
In der Union und der SPD gibt es einfach viele Verantwortungsträger, die extrem arbeitgebernah (Union) oder wirtschaftsnah (SPD) sind. Um ein Gesetzesvorhaben zu realisieren, braucht eine Kanzlerin in der großen Koalition deren Stimmen. Das Problem ist: Diese Leute sind oft nicht mit rationalen Argumenten zu überzeugen. Wenn diese Leute der Meinung sind, dass das Wohlergehen der Arbeitgeber oder der Wirtschaft wichtiger ist als der Umweltschutz (und das war zu Merkels Zeiten zweifelsohne der Fall) wird auch der beste Überzeugungskünstler daran nichts ändern können.
Wir gehen hier Gefahr, uns diese Prozesse zu leicht vorzustellen. Aber hier ist einfach unheimlich viel Ideologie im Spiel, sowohl bei der Union als auch bei der SPD. Dagegen kommt man auch mit viel öffentlicher Kommunikation und allem Führungs- und Gestaltungswillen u.U. nicht an.
Das ist kein deutsches Problem, das sehen wir z.B. auch in den USA, wo Joe Manchin mit seiner Blockadehaltung einfach mal alles über den Haufen geworfen hat, was Biden hätte erreichen können, als die Demokraten noch die Mehrheiten hatten.