Jedesmal, wenn hier im Forum Möglichkeiten zur Beendigung des Ukraine-Kriegs diskutiert werden kommt unweigerlich irgendwann der Kommentar, dass Diplomatie doch auch mal eine Chance haben sollte und nicht nur Waffenlieferungen. Die Theorie dahinter ist, dass wenn man Putin nur einen sinnvolles Angebot machen würde, der Krieg sicherlich schnell beendet wäre.
Darum will ich eine aktuelle Nachricht mal dazu nutzen darauf hinzuweisen, dass es ständig sinnvolle diplomatische Angebote an Putin gibt, die er zum Einstieg in den Ausstieg aus dem Krieg durchaus nutzen könnte: Ukrainekrieg: G7-Staaten einigen sich auf Milliarden-Kredit für die Ukraine | ZEIT ONLINE
Der ukrainische Präsident sieht nach eigenen Angaben in einem beiderseitigen Verzicht der Kriegsparteien, das gegenseitige Energiesystem anzugreifen, einen möglichen Weg zu Friedensgesprächen . Das sagte Wolodymyr Selenskyj der britischen Zeitung Financial Times. Sollte eine derartige Vereinbarung mit Russland zustande kommen, wäre das „ein Signal dessen, dass Russland bereit sein könnte, den Krieg zu beenden“, sagte Selenskyj. „In anderen Worten: Wir greifen ihre Energieobjekte nicht an, sie attackieren unsere nicht .“
Das ist ein Paradebeispiel für die Art von Diplomatie, mit der bewaffnete Konflikte beendet werden (wenn eine totale Vernichtung des Gegners nicht beabsichtigt oder möglich ist): man verengt schrittweise den Fokus der Kampfhandlungen, hegt den Konflikt nach und nach immer weiter ein und baut über diesen Prozess insbesondere Vertrauen in die Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit des Gegners auf, ohne die ein umfassender Waffenstillstand oder gar ein Friedensabkommen überhaupt nicht denkbar sind.
Putin hat mehrere Möglichkeiten, auf dieses konkrete Angebot zu reagieren:
- Er nimmt es einfach an. Das wäre wohl das stärkste Signal der Deeskalation und ein Interesse an einem Friedensprozess, weil er damit einen gewissen strategischen Vorteil Russlands aus der Hand gegen würde (der Vorschlag würde nämlich die Ukraine stärker bevorteilen als Russland, das im Vergleich weniger unter Angriffen auf den Energiesektor leidet).
- Er macht einen Gegenvorschlag, der den Kern des Angebots erhält, aber ein stärkeres Gleichgewicht der taktischen und strategischen Interessen zum Ziel hat. Das wäre das übliche Vorgehen, wenn Putin in irgendeiner Form an Frieden interessiert ist, aber mit maximal starker Hand in den Verhandlungsprozess einsteigen möchte. Denkbar wäre zum Beispiel die Einschränkung des Abkommens auf bestimmte Teile des Energiesektors oder eine zusätzliche Forderung, die stärker im Interesse Russlands ist (z.B. der Verzicht auf Angriffe mehr als X hundert Kilometer hinter der Frontlinie, was z.B. die Erdöl-Infrastruktur Russlands aus dem Spiel nimmt).
- Er stellt für den Deal offensichtlich inakzeptabel Forderungen (z.B. Anerkennung der russischen Herrschaft über die Krim, Verzicht auf Angriffe auf russisches Territorium insgesamt), die erst zu einem viel späteren Zeitpunkt Teil von Verhandlungen sein können, oder lehnt das Angebot rundheraus ab. Das ist dann eine klare Ansage, dass Russland diesen Krieg gerne maximal weiterführen möchte und es keinen Raum für Verhandlungen gibt.
Gerne lasse ich mich positiv überraschen, aber meine Vermutung ist das Putin Option 3 wählen wird. Ich würde mir sehr wünschen, dass diese Art von Litmus-Test in den Medien mehr Aufmerksamkeit erfährt und „Friedensbewegte“ wie Frau Wagenknecht mit solchen Fakten auch konsequent konfrontiert werden.
Der ukrainischen Regierung muss man hier wiederum ein deutliches Lob aussprechen. Natürlich ist der Vorschlag ein wenig self-serving und betont die eigenen Interessen. Aber er reiht sich ein in eine ganze Reihe diplomatischer Initiativen und Pläne, mit der Selenski über die vergangenen Jahre immer wieder versucht hat, den Grundstein für eine Brücke raus aus dem Konflikt zu suchen.
Für die deutsche Bundesregierung sollte sowas eigentlich eine Gelegenheit zur klaren Positionierung (öffentlich oder über diplomatische Kanäle) sein: Entweder Russland nimmt hier das Angebot zur Verhandlung an oder macht einen realistisches Gegenangebot, oder Deutschland verstärkt die Unterstützung der Ukraine deutlich. Passend wäre zum Beispiel eine deutliche Stärkung der ukrainischen Luftabwehr zum Schutz der Energieinfrastruktur durch die Lieferung weiterer Patriot-Batterien und SHORAD-Systeme und die Lieferung von Taurus inklusive der Erlaubnis, damit Munitionslager und Luftbasen (EDIT: auf russischem Territorium) anzugreifen.