Anerkennung von Homöopathie als Religion

Gerade in den letzten Monaten mit so vielen verunsicherten Menschen fallen immer wieder Poster in Apotheken negativ auf, die mit einem „Boost des Immunsystems“ werben. Neben Medikamenten gehen dort auch homöopathische „Arzneimittel“ über den Tresen, Mittel ohne irgendwelchen Effekt die die Angst der Kunden ausnutzen um sich zu bereichern. Besonders schlimm finde ich dies, da Apotheken einen gewissen Vertrauensvorschuss haben und es durchaus plausibel ist zu glauben „die Apotheker werden schon wissen, dass das gut für mich ist“. Trotzdem habe ich auch etwas gegen Coronaverhindernde Sprays, Kräutertees und Energiekristalle die Viren bekämpfen.

Auch Ärztinnen bitten „alternative“ Medizin als Zusatzleistung an und die Krankenkassen zahlen fröhlich dafür. Und mein persönlicher Favorit: Viele vollkommen dubiosen alternativen Heilmethoden sind auch noch als Fortbildungsmaßnahmen für Ärztinnen anerkannt, wie beispielsweise Kurse zur Anwendung selbstprogramierbarer Globoli (kein Witz: https://la-digue.de/. Die Gloubli werden erst formattiert und anschließend mit einer Android app und einem an den Audioausgang angeschlossenem Gerät mit Heilfrequenzen bespielt. Das Basissystem gibt es für schlappe 3698 Euro.).

Das Argument ist ja recht häufig, dass jede*r ein Recht darauf hat sich die eigene Gesundheit zu ruinieren, allerdings macht es mir Angst, dass Ärzte herumlaufen, deren Fortbildungsmaßnahmen darin bestehen Zuckerpillen zum Schwingen zu bringen und die ernsthaft der Meinung sind ihren Patienten damit zu helfen. Dass es immer noch keine vernünftige Regulierung gibt und sich solche Produkte immer noch „Arzneien“ nennen dürfen ist für mich vollkommen unverständlich. Das ist ein Thema das unbeding breit diskutiert werden müsste.

Ich weiß, es ist ein umstrittenes Thema - viele verzweifelte Menschen wollen vielleicht nur den Plazeboeffekt und damit hätte ich auch kein Problem. Bei einigen Leiden - wie beispielsweise der chronischen Schmerzbehandlung ist das sogar oft ein recht vielversprechender Ansatz, solange uns eine bessere Therapiemöglichkeit fehlt, aber diesen Effekt hatte auch schon bereits die Wunderheilung im Mittelalter.

Hmöopath*innen wollen ihre Mittel und behandlungen keinen klinischen Studien unterziehen lassen - damit wird man ihren ihnen angeblich nicht gerecht. Man kann also weder beweisen noch widerlegen dass diese Mittel funktionieren. Man muss es glauben. Das passt auch ganz gut, da viele Methoden und „Heilmittel“ Glaubenskonzepten entlehnt sind. Seien es fernöstliche Konzepte oder die Prinzipien der Vier-Säfte-Lehre. Daher wäre mein Vorschlag evidenzbasierte Medizin und Homöopathie absolut klar zu trennen und Homöopathie als Religion einzuordnen.

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Nur muss man dann auch endlich aufhören, Religionen mit Steuervorteilen zu priveligieren…

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Da hat wohl auch jemand die aktuelle Folge Methodisch Inkorrekt gehört - glück auf!

Generell macht das ganze Thema Homöopathie und der Speckgürtel außenrum in den letzten Jahren den Eindruck auf mich, dass die „Methoden“ immer abstruser werden und sich die Firmen dahinter kaputtlachen, dass die Leute auch den dümmsten Scheiß kaufen.
Angefangen bei „klassicher“ Homöopathie, also Zuckerkügelchen, war dann vor ein paar Jahren die Homöopathe zum Aufmalen (kein Witz, einfach mal nach Suchen. Die Bewertungen bei Amazon dazu sind auch der Brüller) der heiße Scheiß, jetzt dann frei programmierbare Globuli… Frei nach Holgi: " Wenn du einen Scheiß glaubst, glaubst du bald auch jeden anderen Scheiß".

Es ist mir unbegriflich, wie es politisch geduldet sein kann, dass Ärzte so extrem den Weg der Wissenschaftlichkeit und Evidenz verlassen dürfen, ohne dass es Konsequenzen für sie hat.

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Danke dir @Kenny für den Anstoß dieser spannenden Debatte und ich hoffe, dass wir sie hier etwas vielfältiger und konstruktiver führen können, als auf Twitter.

Du bist schon auf den Platzebo-Effekt eingegangen, der nicht unterschätzt werden darf, gerade bei der Schmerztherapie.

Was mir in der ganzen Debatte fehlt ist eine Gesamt-Gesundheitsstatistik: Vergleicht man die Gesundheitskosten (Arztbesuche, Therapien und Medikamente) von 1000 Menschen, die (fast) ausschließlich homöopatisch leben mit eine Kontrollgruppe von 1000 Menschen, die ausschließlich mit Schulmedizin behandelt wurden, was hat am Ende mehr gekostet?
Ich wäre nicht überrascht, wenn das bisschen Zuckerpille am Ende günstiger wäre. Insbesondere wenn man bedenkt, das homöopathisches Verhalten oft mit einem höheren und integraleren Gesundheitsverständnis einher geht. (gesünder essen, mehr frische Luft, mehr schlaf, mehr Vitamien und Abwehrkräfte…) Und wenn das so wäre, fände ich es voll angemessen, das Krankenkassen diese „Religion“ finanzieren, weil die Allgemeinheit damit Geld spart.

Kennt jemand Studien in diese Richtung?

Das setzt voraus, dass diese Behandlungen in irgendeiner Weise „günstig“ wären, allerdings sind sie das ja leider oft nicht. Und Studien wie du sie vorschlägst sind eben genau deshalb schwierig - weil man eine bestimmte Bevölkerungsgruppe damit erfasst die sich eventuell auch eine generall gesündere Lebensweise leisten kann. Wenn offen und ehrlich kommuniziert wird dass es sich um ein Placebo handelt kann das eine sinnvolle Therapie sein, da stimme ich zu. Oft hilft es auch schon von Ärzt*innen ernst genommen und nicht nur abgefertigt zu werden.

Solange allerdings Homöpathie nicht reguliert ist gibt es a) keine Kontrolle dafür, dass eine tatsächlich kranke Person auch vernünftige Medizin bekommt und b) keine Kontrolle dafür dass eine „Heilmethode“ keine Schäden anrichtet. Eben aus diesen zwei Gründen gibt es evidenzbasierte Medizin (und da zählt auch der Plazebo dazu, der funktioniert ja messbar). Es ist für mich jedoch vollkommen unbegreiflich wie streng reguliert Arzneimittel sind und dass es andererseits eine von den Krankenkassen mitfinanzierte „Alternative“ gibt für die all diese Schutzmechanismen für die Patientinnen ausgehebelt werden. Insbesondere da dies auch für die Weiterbildung von Medizinerinnen gilt die es vielleicht irgendwann selbst nicht mehr besser wissen wenn sie diesen Weg beschreiten.

Mein Problem tritt überall dort auf wo Menschen die Unwissenheit oder Angst von Patient*innen ausnutzen um Profite zu machen. Dieser Bewegung haben wir beispielsweise die „Impfskeptiker“-Bewegung und auch eine generelle Leugnung von wissenschaflichen Fakten zu verdanken. Wenn man Fakten mit Meinungen immer wieder gleich setzt ist Wissenschaft immer im Nachteil - sie braucht einfach viel mehr Zeit und Arbeit.

P.S.: Bitte nicht von Schulmedizin reden, wenn sich das vermeiden lässt… Das ist ein Begriff der von Homöopathen genutzt wurde um auf Wissenschaft basierende Medizin zu diskreditieren… :wink:

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erwischt… :wink: Ein schöneres Beispiel konnte ich nicht finden…

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Das ignoriert meiner Meinung nach das Grundproblem, dass Ärzte/Ärztinnen Menschen Medikamente ohne Wirkstoff verschreiben, von denen die Patienten aber glauben, dass sie eine Wirkung haben. Diese (Selbst-)Täuschung halte ich für falsch, zumal es ja, wenn es wirklich nur um den Placeboeffekt geht, auch Möglichkeiten gibt, diesen ohne Homöopathie zu nutzen.
Die Sonderbehandlung beim Zulassungsverfahren für homöopathische „Medikamente“ ist völlig unabhängig davon einfach nur peinlich. Es gibt einfach wissenschaftliche Standards und die müssen auch für alle gleich gelten.

Steile These. Das einzige, was meines Wissens nach belegt ist, ist die Korellation von Hömöopathieoffenheit und Zugehörigkeit zum „Bildungsbürgertum“.

Nicht nur das. Zusätzlich dazu, dass er eine Erfindung von Homöopathen ist, wurde er auch noch fleißig von den Nazis aufgegriffen und aktiv verbreitet, die Homöopathie usw. unterstützten und mit dem Begriff die wissenschaftlich orientierte Mediziin als „jüdisch-marxistisch durchsetzt“ delegetimieren wollten.

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Der Placebo-Effekt ist der einzige Grund, so etwas zu bezahlen. Allerdings müsste man mit dieser Begründung auch weitere Placebo-Systeme wie TCM und was auch immer bezahlen und dann haben wir der Quacksalberei auf Kosten des öffentlichen Gesundheitswesens Tür und Tor geöffnet.

Dass Homöopathie-Jünger ansonsten gesünder leben, mag ja stimmen und ist auch schön, aber warum sollte man ihnen dafür ihre Pseudomedizin bezahlen? Mutmaßlich würden sie auch gesund leben, wenn sie das Zeug selbst bezahlen würden.

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Aber @ChristianF, entscheidend ist doch, dass es der allgemeinheit weniger kostet, also eine konventionelle Therapie.
Mir ist doch scheiß egal, was sich mein Nachbar einwirft um gesund zu werden, solange es billiger ist, als die normale Therapie. Und an was er glaubt, ist ihm natürlich sowieso freigestellt.

Wenn wir hier ein bisschen Sachlichkeit rein bringen wollen, müssen wir erstmal den Kostenunterschied wirklich berechnen, denke ich.

Es ist wissenschaftlich aber bewiesen, dass Plazebo wirkt und dass er besser wirkt, wenn die Klienten daran glauben. (sie Deutschlandfunk weiter oben) Ich fände es auf jeden Fall falsch, wenn ein Artzt ohne den Willen des Patienten Homöopathie verteilt, aber wenn jemand das will, hat er/sie doch ein Recht dazu.
Und letztlich macht die Hülle den Erfolg. Das ist simples Marketing, Geschichten zum Produkt zu erfinden. Die Leute verbinden damit lifestyle. Natürlich könnten wir alle im Trabi fahren. Aber die Autoindustrie darf ihre Kisten auch aufmotzen, und sie Chayenne, Jaguar oder Tuarek nennen damit sie besser verkauft werden. Und irgendwelche Naivllinge kaufen das dann, fühlen sich wie Indianer und sind Glücklich… Und die machen damit sogar noch das Klima kaputt. Homöopathie tut wirklich niemandem weh und der Umwelt erst recht nicht!

Fast: Es wirkt überhaupt nur, weil Menschen daran glauben. Und es wirkt eben auch nur sehr begrenzt, abhängig vom konkreten Krankheitsbild. Eine Appendizitis beispielsweise wird man nicht wegglobulisieren können.

Das ist genau der Irrtum: Es gibt viele Situationen, in denen eine versuchte „Therapie“ mit diesem Hokuspokus dazu führt, dass wirksame Therapien unterlassen werden. Dann schadet zwar nicht direkt die Homöopathie, aber das Ausbleiben einer wirksamen Therapie hat fatale, nicht selten tödliche Folgen.

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Das dachte ich auch lange, aber ich habe erst vor einigen Monaten gehört (in irgend nem Wissenschafts Podcast), dass Placebos scheinbar teilweise auch wirken wenn der Patient weiß, dass er ein Placebo bekommt. Der bekommt, dass dann einfach weiter ganz offiziell als Placebo „verschrieben“. Ich bin der Sache nicht näher nach gegangen, fand das aber bemerkenswert.

Gruß
Kite

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Das Wort „glauben“ weckt vielleicht falsche Vorstellungen. Placebos wirken auch bei Tieren. Ein großer Teil der Forschung zu Placebos beruht übrigens auf Studien mit Tieren:

http://thoreking.free.fr/zetetique/media/press/McMillan_ThePlaceboEffectInAnimals.pdf

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Zur Sachlichkeit gehört auch, dass für diese Berechnung zu klären wäre:

  1. was wird wirklich ersetzt? Nähmen die Patienten wirklich ein teureres Mittel, wenn es kein homöopathisches gäbe? Oder nähmen sie eher nichts, weil sie gegen Chemie Vorbehalte haben oder es vielleicht auch nichts gibt?
  2. wie sind die Folgekosten? Wenn eine wirksamere Therapie unterbleibt, wird eine spätere Behandlung ggf. teuer - manchmal ein Leben lang.
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BTW: einen starken Placebo-Effekt hat schon die ärztliche Konsultation selbst.

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Ja, Smarties! Aber nur die grünen! Grün ist die Farbe der Heilung.

Das ist nur ein Aspekt. Das Problem ist, dass wer an Homöopatie glaubt, auch an andere Dinge glaubt. Das heißt es wird Esoterik gefördert und damit die Urteilsfähigkeit geschwächt und die Abkehr von der Realität gefördert, siehe z. B. die Querdenker. Das ist z. B. auch der Grund warum ich trotz guter Randbedingungen Demeter Produkte meide, um sowas nicht zu fördern.

Die Hauptursache für den Erfolg der Homöopathie ist aus meiner Sicht unser Gesundheitssystem. Bei allem was Zeit benötigt oder eine umfassendere Betrachtung, sind unsere Ärzte wegen den Randbedingungen des Gesundheitssystems oft nicht in der Lage eine passende Diagnose zu stellen. Allein dass sich ein Heilpraktiker Zeit für den Patienten nimmt, reicht für viele aus dahin zu gehen, statt zum Hausarzt.

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Klar, es wirkt nicht bei allen Krankheiten. Ein Raucher-Bein kann man damit auch nicht amputieren :grinning:
Aber im Deutschlandfunk-Beitrag werden Wissenschaftler zitiert, die genau das bewiesen haben, dass bspw. bei Schmerztherapien Menschen auch geheilt wurden, obwohl sie wussten, dass die Tablette, die sie regelmäßig einnehmen, gar keinen Wirkstoff enthielt.

Da gibt es sicherlich gute Beispiele für, das ist aber in meinen Augen ein Extremismusproblem. Unser Hausarzt zum Beispiel, der klassisch als auch homöopathisch behandelt, versucht immer die Therapieerfolge verantwortungsvoll ein zu schätzen und ggf. ins Krankenhaus zu verweisen.

Wenn wir Homöopathie-Extremismus vermeiden wollen, macht es in meinen Augen um so mehr Sinn, die Krankenkassen da drin zu halten, die ja auch immer Kosten sparen wollen und die ja auch bei strittigen Fällen Experten hinzu ziehen, um Krankheitsbilder und Therapien zu evaluieren. Nur mit Krankenkasse können voll ausgebildete Ärzte auch homöopathie anbieten.
Würde man Homöopathie in einen Nieschenbereich drängen, wo nur noch Heilpraktiker und private Anbieter aktiv sind, hätte ich viel größere Sorgen, dass dann Quacksalber ihr Geschäft wittern und im Zweifelsfall kein Experte mehr in der Nähe ist, der eine klassische Behandlung beginnen kann.