Gestern (26.09.2024) kam der Thüringer Landtag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen und der Alterspräsident hat den Landtag drei Stunden gefilibustert und die Feststellung der Beschlussfähigkeit verweigert.
Die Sitzung wurde nun bis Samstag ohne Ergebnis vertagt und der Alterspräsident bleit vorerst „im Amt“.
Quelle: Süddeutsche (hinter Paywall)
Was haltet Ihr davon? Was denkt Ihr, wie lange kann er das „Spiel“ treiben?
Ist wohl ein Test der AfD wie weit man die demokratischen Prozesse unterminieren kann.
Ziel könnte sein, die Unzulänglichkeiten und Angriffsflächen der Demokratie zu finden und dann den Wählern einzureden, das man eine „effektivere Diktatur“ brauche?
Ich würde da erstmal mit dem Finger auf die Union zeigen, auch medial bitte. Das hätte verhindert werden können und müssen, zumindest wenn man sich wirklich als demokratisch bezeichnet. Diese Änderung der Geschäftsordnung, an der es gestern eklig wurde, wurde schlicht von der Union in der letzten Legislatur blockiert. Und zwar nur weil sie von den Grünen kam. Die Union ist der beste demokratische Brandbeschleuniger für die AfD, das haben irgendwie aber alle konservativen Parteien gemeinsam in Europa. Passiert wohl wenn man den Leuten nur aufs Maul schaut und egoistisch Machtgeil ist und sein Gehirn nicht mehr benutzt. Herzlichen Glückwunsch Mario Voigt.
Eine rechtsextreme Partei setzt hier das Mandat ihrer Wähler in die parlamentarische Praxis um: Die Zerstörung der liberalen Demokratie. Es rächt sich, dass insbesondere Teile der Union neben vielen anderen Reformansätzen zur Sicherung der Institutionen gegen die Rechtsextremisten auch eine Änderung der Geschäftsordnung, wie sie sie nun selbst beantragt hat, vor der Wahl blockierte. Mutmaßlich stehen 20-30% der Unionsfraktion als Steigbügelhalter für die AfD bereit, da wird es dann schwierig, die Demokratie zu verteidigen. Mal schauen, ob es doch noch ein Verbotsverfahren auf Landesebene geben wird, aber mein Optimismus, dass die Demokraten aus dem Wachkoma hochschrecken, hält sich in engen Grenzen.
Ich bin hin und hergerissen. Teil des Eklat ist ja auch, dass CDU und BSW der größten Fraktion das Vorschlagsrecht für den Landtagspräsidenten wegnehmen will.
Auch wenn das natürlich nach den demokratischen Regeln erfolgt: wäre die Situation, dass AfD und BSW das mit der CDU machen wollten, würden wir beklagen, dass die Demokratiefeinde (mit Schützenhilfe) etablierte demokratische Spielregeln zu ihren Gunsten verändern wollen…
Ich sehe das Ganze eher positiv. Der ganze Aufstand zeigt doch deutlich, was passiert, wenn die AfD tatsächlich in Situationen kommt, die Einfluss gibt.
Die Alternative wäre ja viel schlimmer. Die AfD gibt dem Antrag statt, das Vorschlagsrecht wird den anderen Parteien gegeben „für das höhere Gut“. Die AfD sagt, dass sie für die Bürger und für die Demokratie ihr Vorrecht gegen undemokratisch agierende Parteien geopfert hat. Die anderen haben „gewonnen“.
Medial wird eine Legende gestrickt und das Ereignis wird immer wieder als Baustein einer Medienkampagne genutzt, wie undemokratisch die anderen Parteien eigentlich seien und wie kompromissbereit die AfD.
Wenn ich AfDler wäre, hätte ich es so gemacht. Viel besser nach hinten raus.
So sehen viele, wie krawallig die AfD agieren würde und das schreckt ab. Man darf nicht vergessen, der Deutsche möchte Stabilität und Sicherheit, und das ist genau das Gegenteil davon.
Insofern bin ich sehr froh und hoffe, dass das Theater weitergeht und die demokratischen Parteien klug agieren und eher auf den Effekt achten als auf die Frage, wer Landtagspräsident wird. Das ist eine Gelegenheit, die AfD als das zu zeigen, was sie ist.
Ich habe ehrlich gesagt noch nicht ganz verstanden, was das ganze Bohei soll? Die hätten doch nur ein Vorschlagsrecht gehabt. Hätte man ja nicht wählen müssen die Kandidatin.
Oder hatten da einige Angst vor der Abstimmung und möglichen Abweichlern?
In der Geschäftsordnung des Landtags ist unklar formuliert, wie lange die AfD als stärkste Fraktion das alleinige Vorschlagsrecht hat. Wegen dieser Unsicherheit fürchten die demokratischen Parteien ein langes Gezerre, bei dem die AfD sämtliche Parteimitglieder in diversen Wahlgängen vorschlagen würde, die immer wieder aufgrund mangelnder Stimmen durchfielen.
Soweit ich weiß, ist das Thema, dass niemand wusste, ob danach die anderen Parteien Vorschläge machen dürfen oder einfach die AfD Kandidat um Kandidat da verheizen darf. Dann könnte die AfD natürlich sagen, dass die anderen Parteien ja Fundamentalopposition machen und destruktiv sind, weil ein Kandidat muss doch mal Ok sein quasi. Das ganze Thema wäre vermeidbar gewesen, wenn die CDU weiter als bis in die eigene Machtblase schauen könnte.
Die demokratischen Spielregeln sind in diesem konkreten Fall die Verfassung Thüringens. Darin steht, dass das Parlament sich selbst reguliert. Das geschieht normalerweise in Form einer Geschäftsordnung. Heißt: Per Mehrheitsbeschluss kann das Parlament seine eigenen Spielregeln - im Rahmen der Verfassung - nach Belieben ändern. Nun hat der nicht gewählte, sondern allein qua Alter in sein Amt gekommene und von der AfD extra dafür zur Wahl aufgestellte Alterspräsident aber genau Anträge und Abstimmungen zur Geschäftsordnung verhindert. Das ist der Skandal, nicht dass die AfD gerne beim alten Wahlverfahren geblieben wäre.
[Nachtrag: Es gab ja viel Kritik daran, dass die AfD es von langer Hand geplant hat, gleich am Tag der Konstituierung des Landtags ein Theater zu inszenieren und den Parlamentarismus „vorzuführen“ - aber vor allem daran, dass die anderen Parteien sich nicht rechtzeitig und ausreichend darauf vorbereitet hätten. Siehe dazu auch einige Posts in diesem Thread Wie sehr gefährdet die rechtsextreme AfD die Demokratie? - #5 von Flixbus. Aber auch wenn es nicht so gedacht war, durch die stumpfe Reaktion von Treutler haben u. a. CDU und BSW gestern in gewisser Weise die AfD vorgeführt. Ob und was das für einen Effekt hat (und bei wem) bleibt abzuwarten]
Ich halte das Ganze auch für einen kalkulierten Eklat der AfD um sich als Opfer zu generieren. Dafür spricht vor allem die als Landtagspräsidentin vorgesehene Wiebke Muhsal.
Sie mag zwar als Jurist formal geeignet sein, ist aber noch recht jung und hat sich vor allem in Ausübung ihres Amtes als Landtagsabgeordnete des Betruges schuldig gemacht und wurde dafür rechtskräftig verurteilt.
Das die anderen Parteien so jemanden als Landtagspräsidentin nicht gutheißen würden, war abzusehen.
Naja, leider nicht ganz. So wie ich es verstehe „haben“ sie das alleinige Vorschlagsrecht und könnten so immer wieder einen „unwählbaren“ Kandidaten zur Wahl stellen. Da der Landtag mit der Wahl eines Landtagspräsidenten konstituiert wird gäbe es so lange keinen Landtag, bis ein Präsident gewählt ist.
Aber es gibt auch abweichende Interpretationen, Quelle wieder die SZ:
Zwar bedeutet ein Vorschlagsrecht nicht, dass die Kandidatin gewählt werden muss. Die neue Präsidentin oder der Präsident muss eine Mehrheit im Landtag hinter sich versammeln, über die die AfD nicht verfügt.
(…) „ändern“ lässt sich eine geltende Geschäftsordnung nur, wenn sich der Landtag bereits konstituiert hat. Dafür müsste aber ein Präsident gewählt sein. Weil die geänderte Geschäftsordnung aber genau diese Wahl betrifft, wäre der Änderungsantrag ein logischer Kurzschluss.
Allerdings haben die Beteiligten nach Ansicht des Leipziger Rechtsprofessors Fabian Michl in dem Thüringer Kuddelmuddel ein fundamentales Rechtsprinzip übersehen, das für alle Parlamente am Beginn einer Legislaturperiode gilt: den Grundsatz der Diskontinuität. Gemeint ist damit, dass eine Geschäftsordnung nur so lange gilt, wie der jeweilige Landtag amtiert. Tritt der neue Landtag zusammen, dann gilt die alte Geschäftsordnung nicht mehr, vielmehr muss eine neue beschlossen werden. Denn das Parlament benötigt Regeln, nach denen es arbeitet und abstimmt – und diese Regeln kann niemand anderes beschließen als dieses frisch gewählte Parlament selbst in seiner neuen Zusammensetzung.
Man nennt dies Geschäftsordnungsautonomie: Die neuen Repräsentanten des Wahlvolks sollen nicht an die Ordnung ihrer Vorgänger gefesselt sein. Das neue Parlament müsse „ungehindert vom Einfluss des vorherigen über seine Angelegenheiten entscheiden“ können, schreibt Michl im Fachportal Verfassungsblog.
Es gab unterschiedliche Rechtsauffassungen zum Verhältnis GO und dem GO-Gesetz. Dies zu klären obliegt dann den Gerichten. Zum Glück wird die Frage jetzt in Weimar geklärt und es kann auf einer rechtssicheren Basis die Konstituierung fortgesetzt werden.
Ja, aber der Landtag kann die Geschäftsordnung (GO) eben jederzeit ändern. Es gibt auch Juristen, die sagen, dass eine GO des alten Landtags gar nicht automatisch für den neuen gilt, sondern dieser eine Übernahme erst beschließen muss. Dass Abgeordnete aber jederzeit Anträge zur Geschäftsordnung stellen können und diese auch unverzüglich zur Abstimmung gestellt werden müssen, ergibt sich nach deren Einschätzung direkt aus der Verfassung. Bin mal gespannt was das thüringische Verfassungsgericht dazu sagt…
Die AFD vertritt aber die Auffassung, dass der Alterspräsident nur die Aufgabe hat, den Landtagspräsidenten wählen zu lassen, damit der Landtag sich konstituieren kann und damit eine Änderung der Geschäftsordnung bis nach der Wahl warten muss. Steht Aussage gegen Aussage. Und da Parlamente gerne sie selbst betreffende Gesetze schwammig formulieren, um sie je nach Bedarf interpretieren zu können, nutzt das die AFD nun aus.
Es gibt aber kein Gesetz und keine Verfassung in Thüringen, die besagt, dass der Alterspräsident oder eine Fraktion des Landtags das alleinige Recht zur Auslegung der Verfassung hat und dass er darüber hinaus Anträge von Abgeordneten zur Geschäftsordnung einfach ignorieren darf. Sorry aber da geht es nicht um „Auffassungen“ oder „Aussagen“, sondern um geltendes Recht. Der Direktor des Landtages (also Verwaltungschef) hat dem Alterspräsidenten gestern mitgeteilt, dass sein Verhalten rechtswidrig ist. Dass nun erst noch das Verfassungsgerricht angerufen werden muss, um das nochmal festzustellen, ist schon schlimm genug - gehört aber zur unwürdigen Inszenierung der AfD, de die anderen Parteien ohne Not mitspielen.
Es wäre natürlich bequem, dir jetzt einfach Recht zu geben, so einfach ist es aber nicht.
Der Direktor des Landrats ist nicht mehr als ein Beamter und damit steht seine Meinung nicht über dem Gericht - und ist erst mal eine persönliche Einschätzung.
Formal hast du zwar recht, aber Landtagsdirektor Jörg Hopfe ist im Unterschied zum AfD-Alterspräsidenten erstens Jurist und macht seinen Job zweitens schon ein paar Jahre. Er ist auch derjenige gewesen, der Treutle immer wieder souffliert hat, was zu tun ist, wenn dieser mal wieder planlos rumgeplappert hat. Abgesehen davon ist die Auslegung geltenden Rechts eben etwas anderes als eine rein subjektive Meinungsäußerung. Wenn die AfD einfach etwas behauptet, was nicht durch das Gesetz abgedeckt ist, ist das eben etwas anderes als wenn ein erfahrener Jurist erläutert, was das was im Gesetz steht, konkret bedeutet. Wenn wir uns nicht mal auf diesen Mindeststandard einigen können, ist wirklich alles verloren.