Schwierige Sache.
Grundsätzlich gilt, dass bei mehrfacher Interpretationsfähigkeit die günstigere Interpretation zu wählen ist. Womit es hier allerdings kollidiert ist die Tatsache, dass es einen in der Rechtsprechung anerkannt verbotswidrigen historischen Slogan („Alles für Deutschland“) relativ offensichtlich aufgreift. Die Strategie der AfD ist hier tatsächlich gerade die Provokation und das Austesten und Verschieben der Grenzen des Sagbaren. Nach dem Motto: „„Alles für Deutschland“ ist verboten, fein, dann erzeugen wir jetzt bewusst einen Slogan, der exakt so klingt.“
Nehmen wir an, die AfD würde plötzlich mit „Heil Höcke“ in den Wahlkampf ziehen. Hier wäre der Fall noch etwas kritischer, weil lediglich ein gleichfunktionaler Bestandteil des Slogans (also der Name) ausgewechselt würde. Vermutlich würde man hier dank § 86a Abs. 2 S. 2 StGB („Den in Satz 1 genannten Kennzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind“) zu einer Strafbarkeit nach §86a Abs. 1 StGB kommen. Bei „Alice für Deutschland“ und „Alles für Deutschland“ hingegen wurde ein funktional unterschiedliches Element ersetzt. Die Frage bleibt dennoch: Handelt es sich um eine Parole, die „Alles für Deutschland“ zum verwechseln ähnlich i.S.d. § 86a Abs. 2 S. 2 StGB ist?
Das können letztlich nur die Gerichte beantworten. Ich persönlich neige dazu, das zu bejahen: „Alice“ und „Alles“ unterscheiden sich - bei entsprechender Aussprache - lediglich in einem Laut, bei differenzierender Aussprache um zwei Laute. Dieser „Verwechslungsgefahr“ muss sich die AfD im Hinblick auf Höckes Prozesse auch bewusst gewesen sein, also zu behaupten, dass das reiner Zufall wäre, dürfte ähnlich unglaubwürdig sein wie Höckes Behauptung, er habe als Geschichtslehrer nicht gewusst, dass „Alles für Deutschland“ eine SA-Parole war. Man kann der AfD zwar nicht nachweisen, bewusst die ähnlich klingende Parole gewählt zu haben, wohl aber, dass sie sich hätte bewusst sein müssen, dass dort eine Verwechslungsgefahr besteht. In diesem Sinne ist es mMn ohne Weiteres argumentierbar, den Fall strafrechtlich zu verurteilen. Allerdings ist auch die Gegenrichtung natürlich argumentierbar, also es kann damit argumentiert werden, dass „zum Verwechseln ähnlich“ strenger auszulegen ist. Aber das wird schon recht schwierig: Wie viel ähnliches kann es denn noch sein? Man kann aber natürlich argumentieren, dass übliche Fälle des „zum Verwechseln ähnlichen“ eher Dinge wie das „invertierte Hakenkreuz“, ein „abgerundetes Hakenkreuz“, ein „dreiarmiges Hakenkreuz“ und ähnliche Dinge meint, also Fälle, die ohne den Kontext desjenigen, das sie vergleichbar abbilden sollen, keine eigene Bedeutung haben, während die Parole „Alice für Deutschland“ unzweifelhaft eine eigene Bedeutungsebene hat, die man schwer bestreiten kann. Auf diesem Weg kann man argumentieren, dass die Verwechslungsähnlichkeit bei Parolen - wenn überhaupt - nur extrem streng angewandt werden darf. Aber wie gesagt, ich würde das nicht so bewerten, für mich ist das ein relativ klarer Fall von bewusst in Kauf genommener „Verwechslungsgefahr“.