Ich nehme die spannende Diskussion hier zum Anlass, meine Position auch noch einmal in Teilen zu hinterfragen (ohne jedoch die Cui bono-Argumentationen zu übernehmen…). Allerdings möchte ich noch auf ein paar Punkte eingehen:
Im Folgenden beziehe ich mich auf diese Quelle, die verschiedene Modellrechnungen (u. a. auch eins mit Sperrklauseln verschiedener Höhe) vornimmt und insgesamt nachvollziehbar mit vielen weiteren Verweisen argumentiert:
Träger, H. & Jacob, M. S. (2018). (Wie) Lässt sich das deutsche Wahlsystem reformieren? Modellrechnungen anlässlich der Bundestagswahl 2017 und Plädoyer für eine „ent-personalisierte“ Verhältniswahl. Zeitschrift für Parlamentsfragen, 49(3), 531–551. (Wie) Lässt sich das deutsche Wahlsystem reformieren? Modellrechnungen anlässlich der Bundestagswahl 2017 und Plädoyer für eine „ent-personalisierte“ Verhältniswahl eBook (2018) / 0340-1758 | Nomos eLibrary
Schaut man sich das Ergebnis bzw. die Mandatsverteilung für die BTW 2017 an, wenn eine reine Verhältniswahl vorgenommen worden wäre, dann säßen im Bundestag 18 bzw. 19 (CDU + CSU allein) Parteien. Jenseits der großen und bekannten Parteien wären zusätzlich
- 2 Parteien mit je 6 Mandaten,
- 1 mit 5 Mandaten,
- 3 mit je 2 Mandaten sowie
- 6 mit je einem Mandat vertreten.
Die Autoren konstatieren für dieses Modell, dass „die Regierungsstabilität, die gelegentlich als ein zentraler Grund für eine Sperrklausel angeführt wird […], auch bei einer reinen Verhältniswahl gewährleistet“ (S. 542) sei (ausgehend von minimal winning coalitions [was auch strategisch der Regefall sein sollte]), jedoch hätten die Parteien, die real an der 5%-Hürde scheiterten „keinen Fraktionsstatus und würden im parlamentarischen Alltag keine wahrnehmbare Rolle spielen“ (S. 541) [Das ist auch das Argument von @LagEr, das nicht ganz von der Hand zu weisen ist]. Insofern lässt sich natürlich schon fragen, ob Repräsentation per se ‚gut‘ ist, nur weil alle Parteien vertreten wären. Dass das Existieren einer 5%-Hürde psychologische und sonstige wahltaktische Effekte hervorbringt, wird in der Literatur einhellig, soweit erkenntlich, bejaht und diskutiert.
Vielleicht war ‚Zersplitterung‘ der falsche Begriff, weil negativ konnotiert, dann würde ich eher von ‚Fragmentierung‘ sprechen und das ganz wertneutral und analytisch verstanden wissen wollen (da bin ich der Deontik tatsächlich auch auf den Leim gegangen).
Ist es höchstwahrscheinlich. Denn: In dieser Zahl war die FDP, die damals nicht in den Bundestag eingezogen ist (4,8%), mit enthalten („Sonstige mit FDP“), ohne FDP wären es 10,9% gewesen. (Für die Zukunft lieber gleich die Originalquelle verwenden).
Beispielsweise zeigen die Zahlen zur Wählerwanderung ebenso, dass ein erheblicher Teil von den kleinen Parteien zur AfD bei der BTW 2017 gekommen ist, die 2013 ‚nur‘ 4,7% erreichte und somit an der Hürde gescheitert ist. Einige könnten sich damit in ihrer These von der ‚Repräsentationslücke‘, die die AfD stark gemacht hat bzw. erst hat entstehen lassen, bestätigt fühlen.
So pauschal lässt sich das denke ich nicht sagen. Die Meinungsforschungs-Institute arbeiten mit unterschiedlichen Methoden und Techniken: Mal wird bspw. eine Liste von Parteien genannt, mal nicht. Man kann eine Partei ja schlecht unter den Tisch fallen lassen, nur weil der Auftraggeber gesagt hat, dass nur Partei X–Y abgefragt wird. Meines Wissens ist es eher so, dass diese Institute nach relativ standardisierten Verfahren arbeiten, viele Medien quasi ein ‚Haus-Umfrageinstitut‘ haben (bei der ARD z. B. Infratest dimap) und der Einfluss der Auftraggeber eher vernachlässigbar ist (man will ja etwa auch vergleichbare Zahlenreihen usw. haben).
Wer noch tiefer in das Thema parlamentarische Responsivität und Repräsentation interessiert, dem sei zu den Schriften von Armin Schäfer geraten. Und zuletzt: Nicht alles, was man für falsch hält, ist immer auch gleich ein (böses) ‚Narrativ‘. Das entwertet den analytischen Charakter des Konzepts aus meiner Sicht erheblich.