§ 277 StGB - Reform

Da der § 267 StGB hier nicht gilt, sollte man vielleicht noch die Strafbarkeit des Versuches in einen Absatz aufnehmen oder?

In dem Zusammenhang stellt sich für mich die Frage, ob das Ausstellen einer (gefälschten)Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die nur beim Arbeitgeber eingereicht wird, demnach auch nicht strafbewährt wäre?

Gruß

Sascha

offenbar nicht nach § 277 StGB, aber als Betrug, weil der Mensch nicht arbeitet, aber gleichwohl Lohn(fortzahlung) bezieht, obwohl die rechtlichen Voraussetzungen dafür (AU) nicht vorliegen.

Mal eine Frage als Nicht-Jurist: Wären damit Fälle wie dieser:

https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/politik/gefaelschte-zertifikate-das-sagt-der-inhaber-pta-soll-dav-zugang-weitergegeben-haben/

auch weitgehend unter §277 zu zählen, oder ist der Telematik-Zugang (zu dem ja wohl offensichtlich - das ist in dem Artikel etwas unklar - Zugang verschafft wurde) nochmal extra juristisch zu bewerten?

Da kommen vermutlich auch noch eine Reihe von Delikten aus dem IT-Strafrecht in Betracht.

Hallo liebes Lage-Team. Hier mein Beitrag zur Diskussion (und mein erster Beitrag in diesem Forum überhaupt): Bei einer Erneuerung des §277 in dem Sinne, wie es der §267 formuliert („zur Täuschung im Rechtsverkehr“), entstehen mMn nach Probleme in anderen Bereichen. Das Beispiel, welches mir sofort einfiel hier beispielhaft beschrieben: Arbeitsrecht bzgl. Bewerbungen. Die sich bewerbende potenzielle Arbeitnehmerin ist schwerbehindert, teilt dies im Bewerbungsvorgang aber nicht mit. Bei einem schriftlichen Fragebogen zur Selbstauskunft gibt sie ihren Schwerbehindertenstatus nicht an. Nach derzeitig geltendem Recht macht sie dabei nichts verkehrt. Würde man den §277 aber nach o.g. Maße anpassen, würde sie sich doch hier strafbar machen, oder sehe ich das falsch?

Beste Grüße und vielen Dank!

Alles klar, da stand ich auf dem Schlauch, danke.

Das hat mich auch interresiert und ich hab nochmal eine andere Quelle dazu gefunden:

Dort heißt es:

…in diesem Fall geht es um „Unzutreffende Bescheinigung einer COVID-19-Schutzimpfung“ und Fälschung technischer Aufzeichnungen.

Scheinbar kann man also mit den aktuellen Gesetzen zumindest medizinischem Personal beikommen.

Ungeachtet der Tatsache, dass durch das schlecht abgestimmte Konkurrenzverhältnis von § 267 und § 277 (lex specialis wird durch einen Teil der Tatbestandsmerkmale begründet, die weitere Tathandlung ist aber so eng gefasst, dass eine Strafbarkeit ausscheidet) grundsätzlich eine Strafbarkeitslücke besteht, kann man m.E. jedoch in den vorliegenden Fällen gut vertretbar argumentieren, dass die Täuschung einer Behörde gegeben ist. Aussteller des Impfzertifikats ist das RKI, eine Bundesbehörde und nicht die Apotheken. Die Apotheken werden tätig im Auftrag des RKI, vermutlich als Verwaltungshelfer. Damit liegt eine indirekte Täuschung des RKI, mithin einer Bundelsbehörde, vor.
Any thoughts?

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Beim NDR haben sich nochmal die Generalstaatsanwälte zu Wort gemeldet:

So sehr ich mir wünschen würde, sie hätten Recht erscheint mir das, nach aktueller Rechtslage, eher wie eine Nebelkerze um Leute vom Fälschen abzuschrecken, die sich nicht genau auskennen.
Sry wegen der Doppelantwort.

Ich halte diese Auffassung der Generalstaatsanwaltschaften durchaus für begründbar, denn die Entscheidungen des Reichsgerichts, auf die alle Kommentare Bezug nehmen, begründen ihre Ansicht (Sperre von § 267 StGB) nicht hinreichend. Warum sollte eine lex specialis, die nicht anwendbar ist, Sperrwirkung haben? Das hat zum alten § 113 StGB als Affektprivilegierung zu § 240 StGB auch niemand vertreten. Zudem überzeugt es mich nicht, dass das systematische Argument das telelogische so ohne Weiteres überwiegen soll. Seit wann geht die Systematik vor? Wenn der Gesetzgeber eine Systematik angedacht hatte (die Materialien zum RStGB konnte ich auf die Schnelle nicht finden), die sich nun als unsinnig erweist, gibt es kein überzeugendes strafrechtsdogmatisches Argument für die Straflosigkeit. Dem kann man m.E. auch nicht entgegenhalten, der Gesetzgeber habe das historisch anders gewollt, und ein Wortlautproblem gibt es nur bei § 277 StGB, nicht aber bei § 267 StGB. Daher gibt es hier aus meiner Sicht keine Schutzlücke.

Meines Erachtens wird hier stets der § 271 StGB übersehen: Bringe ich zB eine Apotheke dazu, beim RKI ein falsches Impfzertifikat auszustellen, ist das eine (ggf versuchte) mittelbare Falschbeurkundung.

Das LG Osnabrück bzw. der zuständige Staatsanwalt hat das überstehen, warum auch immer.

§ 271 Mittelbare Falschbeurkundung

(1) Wer bewirkt, daß Erklärungen, Verhandlungen oder Tatsachen, welche für Rechte oder Rechtsverhältnisse von Erheblichkeit sind, in öffentlichen Urkunden, Büchern, Dateien oder Registern als abgegeben oder geschehen beurkundet oder gespeichert werden, während sie überhaupt nicht oder in anderer Weise oder von einer Person in einer ihr nicht zustehenden Eigenschaft oder von einer anderen Person abgegeben oder geschehen sind, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine falsche Beurkundung oder Datenspeicherung der in Absatz 1 bezeichneten Art zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht.

(3) Handelt der Täter gegen Entgelt oder in der Absicht, sich oder einen Dritten zu bereichern oder eine andere Person zu schädigen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.

(4) Der Versuch ist strafbar.

Ich glaube das ist bei deiner Frage der Knackpunkt. Eine Impfbescheinigung ist kein öffentliches Dokument. Ich bin kein Jurist aber ich glaube der Paragraph 271 definiert die Unechtheit für öffentliche Urkunden und der 267 erweitert das auf nicht öffentliche Urkunden.

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Das spricht m.E. nicht dagegen:

  • Tatobjekt sind neben öffentlichen Urkunden (siehe dazu §§ 415 ff. ZPO) auch Bücher (z.B. Geburtenbücher), Dateien oder Register (z.B. Handelsregister). Das Impfzertifikat des RKI dürfte eine solche öffentliche Datei sein.
  • Der / die Täter:in bringt die vorsatzlose Apotheke (keine Amtsperson) dazu, dass das RKI eine inhaltlich falsche öffentliche Urkunde (= Zertifikat) ausstellt bzw. ausstellen soll (= Versuch ist auch strafbar).

§ 271 StGB schützt also anders als § 267 StGB et. al. die inhaltliche Richtigkeit und nicht die Echtheit. § 271 StGB soll ferner gerade die Lücke schliessen, die dadurch entsteht, dass die Falschbeurkundung im Amt nach § 348 StGB ein echtes Amtsdelikt ist, also der Täter Amtsträger sein muss.

Quelle: https://www.zis-online.com/dat/artikel/2011_5_565.pdf

Ja, das sehr ich auch so. Weder der Impfpass noch ein Zertifikat hat öffentlichen Glauben. Hier wird nichts in Register mit öffentlichem Glauben eingetragen.

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Warum soll das Impfzertifikat keine „öffentliche Datei“ sein? Es ist ein von jedermann überprüfbarer Nachweis über eine Impfung, der von einer „selbstständigen Bundesoberbehörde“ (das ist das RKI) ausgestellt wird.

Auch wenn ich kein Jurist bin, ist mein Rechtsverständnis, dass die Aneinanderreihung von Handlungen des Täters, der Apotheke und des RKI, mit der du arguemtierst, so in der Rechtssprechung nicht angewendet wird. Ansonsten wäre ja der Fall, um den es hier geht, vom zuständigen Gericht anders
entschieden worden. Oder gehst du davon aus, das hier eine massive Fehlbeurteilung vorliegt?

Naja, du hast schon Recht, dass in der momentanen Situation jeder Türsteher und Friseur deinen Impfnachweis kontrolliert. Deswegen ist er aber noch nicht öffentlich im Sinne des Gesetztes. Und wäre die Datenbank des RKIs eine öffentliche Datei, könnte man einfach irgendwo den Impfstatus von dir oder irgendwem anderes abfragen. Aber das geht eben nicht und das ist auch gut so, da dies personenbezogene Daten von dir sind. Du selbst entscheidest mit dem Vorzeigen deines Impfnachweises ob du sie jemanden Preis gegeben willst. Das ist jedenfalls meine Erklärung, wie gesagt als Laie.

Genau diese Überlegung ging mir als Rechtslaie sofort durch den Kopf. Die Apotheken handeln klar im behördlichen Auftrag und sind in diesem Sinne als Behörde anzusehen.
In der Pressemeldung des LG Osnabrück wird auch auf § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c) StGB verwiesen:

Eine Apotheke sei ein privates Unternehmen, welches nicht in das Gefüge der staatlichen Verwaltung eingeordnet sei.

Bei Ausstellung der Impfzertifikate ist eine Apotheke „in das Gefüge der staatlichen Verwaltung eingeordnet“ zumindest sachlich-technisch.

Ich bin zwar Jurist, aber kein Strafrechtler. Mich wundert es nur, warum dieser Paragraf nicht / nie zur Sprache kommt. Natürlich kann es gut sein, dass ich was übersehe.

Hmm. Klassisches Beispiel für § 271 StGB ist der Erbschein (siehe § 16 Erbscheinsverfahren / 2. Begriff des Erbscheins | Deutsches Anwalt Office Premium | Recht | Haufe). Den kann auch keiner einfach irgendwo abfragen.

Ich hab zwar keinen StGB Kommentar zur Verfügung, habe aber das für § 271 StGB in der mir zur Verfügung stehenden Literatur gefunden:

"Tatobjekt dieses Straftatbestands sind öffentliche Bücher, Dateien oder Register. Für den Bereich der Informationstechnologie v.a. relevant ist die elektronisch geführte öffentliche Datei, also jede Datenurkunde i.S.v. § 269 StGB (z.B. das Schlüsselverzeichnis gem. § 5 Abs. 2 SignG). […] Unter § 269 StGB fallen beweiserhebliche Daten, die elektronisch, magnetisch oder sonst nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert werden oder die bei Tatbegehung schon entsprechend gespeichert waren.

aus: Schneider, Handbuch EDV-Recht, 5. Aufl. 2017, E. Strafrecht

Da kann ich jetzt auch nicht herauslesen, dass „jeder“ die Daten unmittelbar in Augenschein nehmen können muss.

Der BGH hat mal zum identischen Begriff in § 348 StGB entschieden (allerdings wieder nur für die „Urkunde“, nicht die „Daten“, die ich meine):

Der Begriff der öffentlichen Urkunde im Sinne von § 348 StGB umfasst nur solche Urkunden, die bestimmt und geeignet sind, Beweis für und gegen jedermann zu erbringen (allg. Meinung; vgl. nur BGH, Beschluss vom 2. Juli 1968 – GSSt 1/68, BGHSt 22, 201, 203; Urteil vom 16. April 1996 – 1 StR 127/96, BGHSt 42, 131; Zieschang in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., § 348 Rn. 20). Dabei erfasst auch bei einer öffentlichen Urkunde die Strafbewehrung in § 348 StGB nur diejenigen Erklärungen, Verhandlungen und Tatsachen, auf die sich der öffentliche Glaube, d.h. die volle Beweiswirkung für und gegen jedermann, erstreckt. Welche Angaben dies im Einzelnen sind, ist der Inhaltsbestimmung durch gesetzliche Regelung zu entnehmen (vgl. BGH, Urteil vom 27. August 1998 – 4 StR 198/98, BGHSt 44, 186; Beschlüsse vom 2. Dezember 2014 – 1 StR 31/14, BGHSt 60, 66, 67 f.; vom 30. Oktober 2008 – 3 StR 156/08, BGHSt 53, 34, 36 und vom 2. Juli 1968 – GSSt 1/68, BGHSt 22, 201, 203). Fehlt es an einer ausdrücklichen Vorschrift, sind die Angaben mittelbar den gesetzlichen Bestimmungen zu entnehmen, die für die Errichtung und den Zweck der Urkunde maßgeblich sind (BGH, aaO). Wesentliche Kriterien zur Bestimmung der Reichweite des öffentlichen Glaubens sind dabei neben dem Beurkundungsinhalt als solchem das Verfahren und die Umstände des Beurkundungsvorgangs sowie die Möglichkeit des die Bescheinigung ausstellenden Amtsträgers, die Richtigkeit der Beurkundung zu überprüfen; auch ist die Anschauung des Rechtsverkehrs zu beachten (vgl. BGH, Urteil vom 27. August 1998 – 4 StR 198/98, BGHSt 44, 186, 188 sowie Beschlüsse vom vom 2. Dezember 2014 – 1 StR 31/14, BGHSt 60, 66, 68 und vom 30. Oktober 2008 – 3 StR 156/08, BGHSt 53, 34, 36).

BGH, Beschluss vom 16. August 2018 – 1 StR 172/18 –, BGHSt 63, 182-187

Danke für die Quelle, nach § 415 ZPO hast du wohl Recht, das Wort „öffentlich“ wird dort wirklich mit „von einer öffentlichen Behörde ausgestellt“ übersetzt. Das war mir nicht bewusst. Mia culpa.

Da ich mich jetzt schon das zweite Mal mit einem Rechtsbegriff vergaloppiert habe, überlasse ich diese Diskussion mal lieber den Fachleuten.

Noch mal ein kleiner Nachtrag.
Jetzt gibt es offenbar sogar einen Prozess wegen Vorzeigen eines gefälschten Impfausweises, das noch vor der Refrom des §277 begangen wurde.

Hier soll wohl geklärt werden ob nicht auch alte Fälle, die vor dem 24.November liegen, nicht doch strafbar sind:

Bin mal gespannt was daraus wird.

Edit:
Das Landgericht Hechingen, um das es hier geht, hatte sich bei der alten Gesetzeslage wohl schonmal geirrt und es musste ein Durchsuchungsbefehl zurückgenommen werden:

Frage an die Juristen im Forum: Müssten jetzt nicht sehr viele Klagen wegen des Vorlegens „gefälschter“ Impfpässe kommen, wo die Gesetzeslücke jetzt geschlossen ist?