§ 277 StGB - Reform

Nachdem richtigerweise die Probleme des § 277 StGB in der aktuellen Fassung in Bezug auf unrichtige bzw. gefälschte Impfausweise diskutiert wurden, möchte ich auf den Aufsatz von Prof. Dr. Frank Zieschang (9/2021) in der ZIS (Zeitschrift für internationale Strafrechtsdogmatik) hinweisen.
Dabei werden die Probleme sowie die Gesetzesgeschichte erläutert und Vorschläge zur Problemlösung diskutiert.

Von Interesse dürfte dabei vor allem der konkrete Gesetzgebungsvorschlag sein, den der Bundestag bereits in der nächsten Sitzungswoche aufgreifen könnte:

VI. Gesetzgebungsvorschlag
Die vorangehenden Überlegungen münden in folgenden Gesetzesvorschlag:
:black_small_square: § 277 StGB wird aufgehoben.
:black_small_square: § 278 StGB lautet:
(1) Ärzte oder andere approbierte Medizinalpersonen, welche zur Täuschung im Rechtsverkehr wider besseres Wissen ein unrichtiges Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen ausstellen, werden mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Absatz 1 ist ebenfalls anwendbar auf beweiserhebliche Daten, bei deren Wahrnehmung ein unrichtiges Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen vorliegen würde.
(3) Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr ein ausgestelltes unrichtiges Gesundheitszeugnis der in den Absätzen 1 oder 2 bezeichneten Art gebraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
:black_small_square: § 279 StGB wird aufgehoben.
:black_small_square: §§ 74 Abs. 2, 75a IfSG werden aufgehoben.

Vielleicht gibt es ja weitere Vorschläge und Ideen, wie man diesem Problem Herr werden könnte?

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Danke @petitrenard erst mal für den Link. Mir ist beim Hören des Podcasts auch die Kinnlade runter gefallen, als ich gehört habe wie @vieuxrenard das mit dem Spezial-Paragraphen erklärt hat. Da sollte dringend etwas gemacht werden. Ich kann auch nicht nachvollziehen, wo da der Sinn liegt. Da das zu Grunde liegende Reichsgesetz aber von 1875 stammt wird man das wohl auch nicht mehr nachvollziehen können.

Den Verbesserungs-Vorschlag finde ich grundsätzlich ebenfalls gut, allerdings scheinen mir hier nur Ärzte, die falsche Atteste erstellen und die Benutzer gefälschter Atteste strafbar zu sein. Was ist mit Personen, die keine Ärzte sind und Gesundheitszeugnisse fälschen?

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Im Grunde ist das Problem das folgende:
Da es den § 277 StGB gibt, darf bei Gesundheitszeugnissen der § 267 StGB nicht angewandt werden. Der § 267 StGB regelt die „normale“ Urkundenfälschung, die in aller Regel auch dann greift (so wie in dem Fall, der in LdN 264 beschrieben wurde), wenn jemand ein solches Impfzertifikat fälscht. (Ob man sich ein falsches Arbeitszeugnis ausstellt, einen Vertrag oder eben ein Impzertifikat, ist dem § 267 StGB gänzlich egal.) Wer heute ein Arbeitszeugnis fälscht, ist wegen § 267 StGB strafbar, wer einen Impfausweis fälscht wegen § 277 StGB nur dann, wenn er auch gegenüber einer Behörde oder einer Versicherung verwendet wird.

Wenn also der § 277 StGB schlicht gestrichen werden sollte, gäbe es keine Spezialregelung für Gesundheitszeugnisse und der § 267 StGB griffe wieder durch.

Dann werden Ärzte speziell durch § 278 StGB erfasst, alle sonstigen Menschen würden sich einfach nach § 267 StGB strafbar machen.

Damit wäre das Problem recht pragmatisch gelöst.

Dann sollte man aber darauf verzichten, den oben vorgeschlagenen Absatz 3 Gesetz werden zu lassen, denn sonst stellt sich wieder die Frage, ob der Paragraph nicht doch lex spezialis zur Urkundenfälschung ist.

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Mal eine Gegenposition: Viele Tauchplätze verlangen, dass man Auskunft über alles mögliche gibt. Dazu gehören dann auch so Ankreuz-Fragen wie „Nehmen Sie verschreibungspflichtige Medikamente?“. Natürlich gibt es die Option „Wenn dem so wäre, hätte ich mit meinem Arzt vorher geklärt ob ich damit tauchen darf“ dort nicht. Ich habe also die Wahl:

  1. Ohne Grund besondere Kategorien personenbezogener Daten offen zu legen
  2. Mit der Tauchbasis über Datenschutz zu diskutieren bis ich rausgeschmissen werde
  3. Einfach „Nein“ anzukreuzen

Das sollte mM nicht unter Strafe stehen. Und wenn man das mal auf die Spitze treibt: Angenommen die verlangen ein ärztliches Attest diesbezüglich, beim Tauchen gar nicht unüblich. Sollte es dann strafbar sein sowas zu fälschen?

Angenommen ein potentieller Arbeitgeber fragt mich nach einem Bescheid für geringes Krankheitsrisiko. Darf er das? Nein. Bekomme ich den Job, wenn ich darüber diskutiere? Wahrscheinlich nicht. Auch hier fände ich es legitim, ein falsches Zeugnis abzugeben.

Natürlich ist es ein Problem, aber eins der pandemischen Lage. Deshalb gehört sowas für mich eher in eine Corona-Verordnung als ins StGB. Zumindest Fälle, in denen man durch ein falsches Zeugnis nur sich selber gefährdet, sollten straffrei bleiben. Letztlich fragt die Tauchbasis ja auch nur danach um nicht in der Verantwortung für Gesundheitsschäden zu sein. Diese Verantwortung trägst du bei Abgabe eines falschen Zeugnisses alleine. Die Kosten für eine Behandlung auch, denn §277 schließt Versicherungen ja mit ein.

Es gibt Berufe, bei denen falsche Zeugnisse auch andere Menschen gefährden können. Zum Beispiel wenn du als Pilot ein erhöhtes Risiko für Schlaganfälle hast. In solchen Fällen fragt dann aber auch nicht ein Kino danach, sondern in der Regel eine Behörde. Das wäre von der jetzigen Rechtslage ja bereits abgedeckt.

TL;DR: Das Problem ist, dass Apotheken hier die Aufgaben von Behörden übernehmen. Ohne pandemische Lage sollte man nur gegenüber den in §277 genannten Institutionen zeugnispflichtig sein und deshalb ist §277 mM ausreichend.

Jetzt widerspreche ich damit offensichtlich einem Rechtsgelehrten, Ulf. Wo ist mein Denkfehler?

Aber ist er das nicht auch dann? Denn nach meinem Verständnis deckt der Vorschlag von Zieschang auch ohne den Absatz 3 noch immer in Absatz 1 und Absatz 2 die Spezialvariante Gesundheitszeugnis als Unterart der allgemeinen Urkunden ab. Oder habe ich da etwas falsch verstanden?

Die Norm richtet sich aber nur noch an medizinisches Fachpersonal und kriminalisiert die inhaltlich falsche Ausstellung eines Gesundheitszeugnisses. Die Urkundenfälschung hingegen betrifft nicht die Täuschung über den Inhalt, sondern über den erkennbaren Aussteller. Man macht sich also auch wegen Urkundenfälschung strafbar, wenn man im Namen seines Nachbarn eine wahre Erklärung ausstellt. Und weil beide Straftatbestände dann unterschiedliche Schutzrichtungen hätten und unterschiedliches Verhalten beschrieben, gäbe es kein Spezialitätsverhältnis mehr.

Ich habe mit Absatz 3 ein anderes Problem:

Von welcher Art ist in den Absätzen 1 und 2 die Rede?

Wer also, anstatt sich von seinem Arzt einen unrichtigen Impfpass unterschreiben zu lassen, seinen Impfpass zu Hause selbst druckt und unterschreibt, macht sich weiterhin nicht strafbar?
Oder ist das dann doch ein Fall von Urkundenfälschung?

Ich denke bei dieser Frage geht es gar nicht um richtig und falsch, sondern um die politische Frage, ob man ein bestimmtes Verhalten vertrauenswürdig hält. Ich fände es legitim, wenn man es generell unter Strafe stellt, Gesundheitszeugnisse zu verwenden, die in Wirklichkeit nicht von dem Menschen stammen, der sie angeblich ausgestellt hat - wobei das in den meisten Fällen vermutlich auch schon ein Betrug darstellt.

Die von dir geschilderten Fälle sind natürlich problematisch, aber ich denke, die Zwangslage lässt sich sauberer dadurch auflösen, dass man entweder dem Arbeitgeber verbietet, solche Fragen überhaupt zu stellen, oder die betreffende Person schlicht die Unterlagen nicht vorliegt. Seriöse Arbeitgeber werden auch keine Unterlagen verlangen, die sie nicht verlangen dürfen.

Wenn man den Absatz 3 weglässt. Okay verstehe ich.

Meinst du damit den §267 StGB:

(1) Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde herstellt, eine echte Urkunde verfälscht oder eine unechte oder verfälschte Urkunde gebraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Da geht es aber eigentlich doch nur um das Fälschen als solches und nicht darum in wessen Namen man fälscht. Oder sehe ich das falsch? Bei näherer Betrachtung sehe ich sogar überhaupt keinen Grund mehr für die §§ 277 bis 279. Hätte man nur den § 267 wären nach meinem Verständnis alle Probleme beseitigt. Außerdem wäre das Strafmaß für Ärzte nicht mehr geringer, wenn man Sie für das fälschen von z.B. Impfpässen nach §267 statt, wie jetzt nur nach §278 bestrafen würde.

Sry das ich als Nicht-Jurist so blöd Nachfrage aber mich interessiert die Systematik wann ein Gesetz ein Spezialfall des anderen ist. Besonders weil das allgemeine Gesetz dann ja überhaupt nicht mehr gilt. Darin sehe ich als Laie nämlich eine systemische Schwäche, weil es eben genau solche Fälle ermöglicht, wie der, wegen dem wir hier diskutieren.

Ja, das siehst du falsch. Kurz googeln, was eine unechte Urkunde ist, gibt zum Beispiel:

Unecht ist eine Urkunde immer dann, wenn der aus der Urkunde ersichtliche Aussteller und der tatsächliche Aussteller auseinanderfallen. Unterzeichnet also der Referendar den Schriftsatz mit dem Namen der Anwältin, dann hat er eine unechte Urkunde hergestellt.

Da der § 267 StGB hier nicht gilt, sollte man vielleicht noch die Strafbarkeit des Versuches in einen Absatz aufnehmen oder?

In dem Zusammenhang stellt sich für mich die Frage, ob das Ausstellen einer (gefälschten)Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die nur beim Arbeitgeber eingereicht wird, demnach auch nicht strafbewährt wäre?

Gruß

Sascha

offenbar nicht nach § 277 StGB, aber als Betrug, weil der Mensch nicht arbeitet, aber gleichwohl Lohn(fortzahlung) bezieht, obwohl die rechtlichen Voraussetzungen dafür (AU) nicht vorliegen.

Mal eine Frage als Nicht-Jurist: Wären damit Fälle wie dieser:

https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/politik/gefaelschte-zertifikate-das-sagt-der-inhaber-pta-soll-dav-zugang-weitergegeben-haben/

auch weitgehend unter §277 zu zählen, oder ist der Telematik-Zugang (zu dem ja wohl offensichtlich - das ist in dem Artikel etwas unklar - Zugang verschafft wurde) nochmal extra juristisch zu bewerten?

Da kommen vermutlich auch noch eine Reihe von Delikten aus dem IT-Strafrecht in Betracht.

Hallo liebes Lage-Team. Hier mein Beitrag zur Diskussion (und mein erster Beitrag in diesem Forum überhaupt): Bei einer Erneuerung des §277 in dem Sinne, wie es der §267 formuliert („zur Täuschung im Rechtsverkehr“), entstehen mMn nach Probleme in anderen Bereichen. Das Beispiel, welches mir sofort einfiel hier beispielhaft beschrieben: Arbeitsrecht bzgl. Bewerbungen. Die sich bewerbende potenzielle Arbeitnehmerin ist schwerbehindert, teilt dies im Bewerbungsvorgang aber nicht mit. Bei einem schriftlichen Fragebogen zur Selbstauskunft gibt sie ihren Schwerbehindertenstatus nicht an. Nach derzeitig geltendem Recht macht sie dabei nichts verkehrt. Würde man den §277 aber nach o.g. Maße anpassen, würde sie sich doch hier strafbar machen, oder sehe ich das falsch?

Beste Grüße und vielen Dank!

Alles klar, da stand ich auf dem Schlauch, danke.

Das hat mich auch interresiert und ich hab nochmal eine andere Quelle dazu gefunden:

Dort heißt es:

…in diesem Fall geht es um „Unzutreffende Bescheinigung einer COVID-19-Schutzimpfung“ und Fälschung technischer Aufzeichnungen.

Scheinbar kann man also mit den aktuellen Gesetzen zumindest medizinischem Personal beikommen.

Ungeachtet der Tatsache, dass durch das schlecht abgestimmte Konkurrenzverhältnis von § 267 und § 277 (lex specialis wird durch einen Teil der Tatbestandsmerkmale begründet, die weitere Tathandlung ist aber so eng gefasst, dass eine Strafbarkeit ausscheidet) grundsätzlich eine Strafbarkeitslücke besteht, kann man m.E. jedoch in den vorliegenden Fällen gut vertretbar argumentieren, dass die Täuschung einer Behörde gegeben ist. Aussteller des Impfzertifikats ist das RKI, eine Bundesbehörde und nicht die Apotheken. Die Apotheken werden tätig im Auftrag des RKI, vermutlich als Verwaltungshelfer. Damit liegt eine indirekte Täuschung des RKI, mithin einer Bundelsbehörde, vor.
Any thoughts?

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Beim NDR haben sich nochmal die Generalstaatsanwälte zu Wort gemeldet:

So sehr ich mir wünschen würde, sie hätten Recht erscheint mir das, nach aktueller Rechtslage, eher wie eine Nebelkerze um Leute vom Fälschen abzuschrecken, die sich nicht genau auskennen.
Sry wegen der Doppelantwort.