237: Nein, Tests treiben Inzidenz NICHT (bzw. nur kurz)

Das Argument, dass vermehrtes Testen zu höheren Inzidenzen führt, hebt sich meines Erachtens selbst auf: Vorübergehend wird die beobachtete Inzidenz zwar steigen, aber durch die zusätzlich entdeckten Fälle werden ja im weiteren Verlauf Infektionen vermieden!

Solange R > 1 bleibt, werden sogar mehr Infektionen vermieden als durch die zusätzlichen Tests überhaupt entdeckt werden, sprich: im Zeitverlauf sinkt die Inzidenz durch vermehrtes Testen. (Das ist ja der Sinn des Testens.)

Verstärkte Testaktivität taugt daher m.E. nur begrenzt als Argument für die Erhöhung von Grenzwerten.

Theoretisch gibt es diesen Effekt irgendwann, aber wann das ist, hängt ja davon ab, wie groß die Dunkelziffer, also die Zahl der nicht erkannten Infektionen ist. Alle Schätzungen, die ich kenne, gehen davon aus, dass es in der Realität zwischen 2- und 6-Mal so viele Infektionen gibt, wie offiziell erfasst werden. Selbst wenn es gelingen würde, die Anzahl der Tests so weit hochzufahren, würde das doch einige Zeit dauern, um es mal optimistisch zu formulieren.
Ich finde es ehrlich gesagt einigermaßen absurd, dass die halbe Republik es einerseits wie selbstverständlich akzeptiert, dass die Meldeinzidenz allein aufgrund des eingeschränkten Testgeschehens an zwei Tagen (sic!) über zwei Wochen lang deutliche Abweichungen zeigt, aber andererseits vor und nach Ostern komplett ignoriert, wie abhängig die Meldeinzidenz von der Zahl der Tests ist und sie sogar zu einem Maß erhebt, das verlässlich und aussagekräftig genug ist, um in Gesetzen als Begründung für massive Grundrechtsbeschränkungen zu dienen.
So lange nicht klar ist, wie groß die Dunkelziiffer ist, bleibt die Meldeinzidenz einfach ein höchst unsicherer Wert. Sie ist nicht repräsentativ und sagt in undifferenzierter Form und ohne zusäztliche Informationen (wie Altersverteilung, Clusterrate oder Positivrate) nur sehr wenig über das komplexe Infektionsgeschehen aus - erst recht in aggregierter Form (also über die kommunale Ebene hinaus).

Hallo Eglisius,
Ich stimmt deinem Kommentar voll und ganz zu, würde aber den Einwand noch erweitern wollen. In den Medien und auch hier in der LdN wird immer von mehr durchgeführten Tests gesprochen. Mehr Tests = mehr Positive = höhere Inzidenz. Soweit logisch - bis auf den ersten Teil, es wird nicht mehr getestet (RKI - Coronavirus SARS-CoV-2 - Erfassung der SARS-CoV-2-Testzahlen in Deutschland) Die Anzahl der PCR Tests liegt immer um die 1,2 Millionen pro Woche. Nur die Positivrate steigt, teils dramatisch.
Vorstellen kann ich mir das Schnelltests eine Art „Vorauswahl“ vor der PCR Diagnostik darstellen. Also weniger symtomlose Zufallstreffer und dafür mehr Bestätigungstests. Hat jemand hierzu vielleicht eine Quelle? Also zu der Frage wie viele PCR Tests werden nach einem Schnelltest zur Bestätigung gemacht?
So oder So, bei gleichbleibender Testanzahl wird die Inzidenz nicht verfälscht, sie rückt mM nach eher näher an die Realität. Daher verstehe ich nicht warum Grenzwerte angepasst werden sollten (unabhängig von der Frage ob ich persönlich 100 bzw. 200 für sinnvoll halte). Übersehe ich hier was, verstehe ich irgendwas falsch? Warum sollten Geimpfte aus der Berechnung der Inzidenz herausgenommen werden? Macht das diesen Indikator dann nicht noch weniger vergleichbar als er es nicht ohne hin schon ist?

Gruß
Conker

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Dass die Zahl der Tests konstant ist, stimmt nur bei einer sehr groben Betrachtung.

Außerdem macht es schon einen Unterschied, wer und wie getestet wird, hier nur ein paar Kriterien

  • Kontaktpersonen bzw. Testen in bekannte Cluster
  • Tests von Symptomlosen
  • Tests in Betrieben/Schulen/Einrichtungen bzw. entsprechende PCR-Kontrolltests
  • verschiedene Alters- und Risikogruppen
    In einem anderen Thread wurde schon ausführlich darüber diskutiert, dass die höhere Inzidenz bei Jugendlichen sehr wohl auf eine höhere Testaktivität in dieser Altersgruppe zurückgehen kann - obwohl die Zahl der PCR-Tests insgesamt sich nicht groß verändert hat.
    Antigentests werden ja im Gegensatz zu anderen Ländern auch nicht in der Statistik erfasst - weiß der Geier warum…

Das Wichtige ist nicht unbedingt, dass die Testanzahl konstant bleibt, sondern dass die Testkritierien gleichbleiben. Für gleiche Werte der Testanzahl kann es unterschiedliche Infektionsgeschehen geben, wie @kaigallup schon ausführt. Wenn hingegen die Testkriterien konstant sind, ist bspw. ein Vermehrtes Testen, welches zu einer erhöhten Inzidenz führt (Testen von Kontaktperson/Clustern), Ergebnis eines tatsächlich erhöhten Infektionsgeschehens. Hier ließen sich R-Werte oder wöchentliche Steigerungsraten noch gut bestimmen, auch wenn die Anzahl der Tests schwankt. Das einzig wichtige ist also, dass sich die Testkriterien deutlich langsamer ändern, als wir verlässlich die Dynamik (zB wöchentlicher prozentualer Vergleich der Inzidenz) messen können. Die Einführung der Schnelltests, die ja langsam hochgefahren wurden, wird also vermutlich nur einen geringen Einfluss auf die wöchentliche Dynamik haben. Wenn aber hingegen morgen alle Schüler:innen zurück in die Schule gehen und „schnell-getestet“ werden, ist das durchaus ein „Problem“. Am besten wäre es wohl aber, wenn man zusätzlich bundesweit mit konstanter Testanzahl und absolut zufällig Personen testet. Gengug PCR-Kapazitäten hätten wir locker hierfür.

Dass stimmt, schaut man genauer hin sinkt die absolute Anzahl der Test, denn für das Jetzt und Hier sind bestenfalls die letzten 4 Wochen von Interesse.

Ich kann euren Argumenten insofern folgen als dass der Einfluss wer getestet wird wichtig ist, sehe darin aber kein Problem. Ich möchte hier erstmal auf ein paar eurer Punkte eingehen/kommentieren und danach nochmal meine Gedanken zur Diskussion stellen.

Habe den Thread leider nicht gefunden, hast du den Link oder den Titel für mich? Mehr Blickwinkel führen zu mehr Einsicht :wink:

Außerhalb der Messung der Inzidenz fände ich diesen Wert auch ganz interessant.

Das unterschreibe ich so. Aber ist das Ziel das wir mit der Inzidenz verfolgen eine langfristige Vergleichbarkeit? Oder reicht uns nicht der Trend als Näherung an die Realität?

Auf dem Papier stimmt das, da wären noch locker 1 Million Test in der Woche in den Maschinen frei. Gefühlt liegt der Engpass wahrscheinlich eher beim Personal, ähnlich wie bei der Intensivbetten Problematik.

Danke für das Diagramm, die Schwankungen sind in dieser Darstellung natürlich besser zu sehen. Leider wird in diesen Diagrammen nie die Positivquote mit abgebildet, geschweige denn die Zeitpunkte zu denen sich die Test-Kriterien geändert haben. Es ist vollkommen richtig dass die Kriterien einen erheblichen Einfluss auf die Inzidenz haben, zumindest dann wenn Vergleiche zu vorherigen Zeiträumen betrachtet werden sollen. Aber welchen Nutzen haben diese Vergleiche? Wen interessiert heute ob die Inzidenz vor 12 oder 3 Monaten mit dem heutigen Vergleichbar ist? Ziel dieser Zahl, um die sich alles dreht, muss es sein das Infektionsgeschehen abzubilden. Anders gesagt in einer Idealen Welt finden wir jede Infektion und haben damit die reale Ausbreitung in einer leicht zu fassenden Zahl abgebildet. Dieses Ziel kann man auf zwei Wegen erreichen, entweder wir testen täglich Jeden, oder wir passen die Testkriterien an die aktuell gültigen Erkenntnisse an (mir ist natürlich auch bewusst dass nicht jede Anpassung wissenschaftlich und auch gerne einmal politisch begründet war). Beide Optionen sind natürlich in letzter Konsequenz nicht zu schaffen, eine Kombination beider ist aber vielleicht eine Möglichkeit.

Der Schluss der sich daraus für mich ergibt ist: Die Anpassung der Kriterien ist gut und wichtig und kein Problem, mehr testen, egal ob Schnell und PCR Bestätigt oder nur PCR, ist genauso Wichtig. Je näher wir diesen Wert an die wirkliche Infektionslage anpassen desto besser kann er uns als Richtwert für Maßnahmen dienen.

Das Ganze bedeutet aber im Umkehrschluss, wir testen nicht mehr, auch wenn das beharrlich behauptet wird, die Inzidenz steigt aber trotzdem. Wir testen also entweder gezielter (meine Hoffnung) oder die Infektionslage ist noch viel schlimmer als diese vereinfachte Zahl suggeriert.

Die Frage um die sich alles drehen sollte ist doch nicht wie hoch ist die Inzidenz und wie viel wurde getestet sondern wie realistisch ist der zur Zeit gemessene Inzidenz-Wert und wo setzten wir als Gesellschaft die zu vertretenden Grenzen unter diesen Bedingungen. Je mehr ich über dieses Thema nachdenke umso mehr verstehe ich die Ursprüngliche Aussage nicht „mehr Tests - mehr Treffer“.

Die Frage, wie „realistisch“ der Inzidenzwert ist, kann aber ohne entsprechende Erhebungen (z. B. Kohortenstudien) schlicht empirisch nicht beantwortet werden. Dennoch wird so getan, als sei die Meldeinzidenz nicht nur ein objektiver, sondern auch ein konstanter Wert - etwa in dem sie in Gesetzestexten genannt wird.
Sorry, finde den Thread gerade auch nicht mehr, dies ist gefühlt der 27. in dem es um Indizenzwerte geht.