LdN 387 Interview Bachmann

Weiß nicht, ob ich die Frage richtig verstehe

Im Interview wurde gesagt, dass ein Grund für eine Staatsverschuldung langfristige Investitionen sein können;
einfach: Staat kauft Brücken, die den Bürgern viele Jahre zur Nutzung zur Verfügung stehen.
Der Staat könnte die Brücken auch aus Steuern finanzieren, aber über Staatsverschuldung kann ein höheres öffentliches Leistungsniveau (die fertige Brücke, die unmittelbar und darüberhinaus als Infrastruktur vielleicht zusätzlich das BIP steigert) angeboten werden - bei einem niedrigeren Abgabenniveau (eben nicht so wie bei dem Beispiel der Polen, die in unfertigen Häusern wohnen bis das Objekt durchfinanziert ist; hier: die Brücke kann schneller genutzt werden).
Die langfristige Nutzung rechtfertigt die Finanzierung über Verschuldung ohnehin, die Brücke hält ja viele Jahre, der Staat schafft Anlagevermögen und verkonsumiert nichts (insbesondere bei allgemeiner Unterauslastung/Unterauslastung im Baugewerbe - wenn nicht, heizt er die Inflation vielleicht an).
Weiß nicht, ob das bei deinen Beispielen auch der Fall ist, eher nicht.
Die Schuldenbremse hat eben neben der strukturellen auch eine konjunkturelle Komponente, letztere erlaubt die Aufnahme zusätzlicher Schulden während eines konjunkturellen Abschwungs, die im Falle einer Besserung der konjunkturellen Lage wieder zurückzuführen sind.

Wenn ich das richtig sehe, sind sich die führenden Ökonomen nicht einig, ob man bei der Reform der Schuldenbremse weitere Ausnahmen bei den Nettoinvestitionen /BruttoInvestitionen zulassen sollte. Vielleicht hat Bachmann deswegen 2-3 unstrittige Wege aufgezeigt (statt Abschaffung oder tiefgreifender Reform der Schuldenbremse) die allgemeinen Konsens finden sollten.

Hoffe, das hilft …?

Ich dachte, dass es leider genau amdersherum ist: Höhere Schuldenaufnahme nur bei Aufschwung möglich. Was fatal ist.
Wer weiß es genau?

Was mich immer irritiert, wenn von der Schuldenbremse gesprochen wird, ist die ungenaue Wiedergabe der Regelung.

Es stimmt, dass der Bund jährlich 0,35 % des nominalen BIP als Kredit aufnehmen kann, ohne gegen die Schuldenbremse zu verstoßen. So schreibt es das Grundgesetz in Art. 109 III 4 GG i.V.m. Art 115 II 2 GG vor.

Faktisch nimmt der Bund jährlich deutlich mehr Kredit auf, denn es gibt eine Ergänzung zu dieser Regelung, die man Konjunkturkomponente nennt.

Das basiert auf dem Artikel 115-Gesetz - G 115 (G 115 - Gesetz zur Ausführung von Artikel 115 des Grundgesetzes), das in § 5 Artikel 115 Gesetz die Konjunkturkomponente einführt. Daneben gibt es noch eine Verordnung über das Verfahren zur Bestimmung der Konjunkturkomponente nach § 5 des Artikel 115-Gesetzes (Art115V - Verordnung über das Verfahren zur Bestimmung der Konjunkturkomponente nach § 5 des Artikel 115-Gesetzes).

Die Regelungen zur Konjunkturkomponente werden momentan extensiv genutzt, ohne dass es groß erwähnt wird. Dabei erlaubt diese Zusatzregelung ein Vielfaches mehr Kredit als die erwähnten 0,35%

Die Idee ist simpel: wenn die Wirtschaft unter der möglichen Leistung arbeitet, erhöht sich die Krediterlaubnis des Bundes um diese Lücke. Ich bin kein Volkswirt, deshalb kann ich die technischen Verfahren weder genau erklären noch prüfen, wo die Daten zu finden sind.

Die zulässigen Abweichungen sind aber gravierend und werfen einige Fragen auf.

Ich zeige es mal beispielhaft an dem Bundeshaushalt 2023 und 2024 auf. Die Daten kommen aus dem „Gesamtplan Teil II - Berechnung der zulässigen Kreditaufnahme nach § 5 des Artikel 115-Gesetzes sowie der Verordnung über das Verfahren zur Bestimmung der Konjunkturkomponente nach § 5 des Artikel 115-Gesetzes“, die jährlich im Bundeshaushaltsplan angezeigt werden.

Im Bundeshaushalt 2023 (https://www.bundeshaushalt.de/static/daten/2023/soll/Bundeshaushaltsplan_HH_2023.pdf) sind 0,35 % des nominalen BIP ungefähr 12,606 Milliarden €, tatsächlich durfte der Bund aber 45,616 Milliarden € Kredit aufnehmen. Das sind über 30 Miiliarden mehr als die 0,35 % rein rechnerisch erlauben. Eine deutliche Abweichung also.

Im Bundeshaushalt 2024 (https://www.bundeshaushalt.de/static/daten/2024/soll/Bundeshaushalt-2024.pdf) sind 0,35 % des nominalen BIP 14,424 Milliarden €, tatsächlich plant der Bund aber 39,028 Milliarden € als Kredit aufzunehmen, also ein mehr von knapp 25 Milliarden €. Ebenfalls eine gravierende Abweichung.

Die Abweichungen hängen eben mit der Konjunkturkomponente zusammen.

Es wundert mich, dass dieser Umstand selten erwähnt wird, weil es doch einige Fragen aufwirft, die wichtigste ist, bis zu welcher Grenze kann diese Konjunkturkomponente angepasst werden?

Ich möchte das mit einem Beispiel aus dem Haushalt 2023 verdeutlichen.

Am 05.08.2022 legte die Bundesregierung den Entwurf des Bundeshaushalt 2023 (https://dserver.bundestag.de/btd/20/031/2003100.pdf) dem Bundestag und Bundesrat vor. In dem Entwurf lagen die 0,35 % des BIP bei 12,497 Milliarden €, die zulässige Kreditaufnahme erhöhte sich aufgrund der Konjunkturkomponente aber auf 17,248 Milliarden €. Am 19.12.2022 wurde der Bundeshaushalt 2023 verkündet und die zulässige Krediterlaubnis erhöhte sich durch die Konjunkturkomponente auf die 45,610 Milliarden €. Innerhalb von fünf Monaten konnte die Konjunkturkomponente so angepasst werden, dass über 30 Milliarden € mehr Kredit möglich war.

Es hätte mich sehr gefreut, wenn der Volkswirt diesen Umstand genauer erklärt hätte oder das Lage-Team, denn ich verstehe nicht, wie diese Zahlen so verändert werden können. Es scheint aber eben möglich, jährlich deutlich mehr als 0,35 % Kredit aufzunehmen; die Frage ist, wie viel mehr und wo finde ich die Daten dazu?! Momentan finde ich die Angaben nur im Haushaltsplan, doch die müssen auf objektiven Kriterien basieren. Vielleicht könnt ihr das nochmal recherchieren und in einem Beitrag genauer vorstellen?

Ansonsten war es mal wieder eine super Zusatzfolge.

Besten Gruß
Damian Münzer

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+100!

Würde mich auch freuen, wenn das LdN Team noch einmal in diese Fragen gehen würde.

Auch: „Investitionsbegriff“ - Abgrenzung: hierzu gab es von Bachmann ein Schlagwort (ZDW/„Konzept der Zukunftsausgaben“, die privilegiert werden könnten).
Leider bleib das offen.

Warum wird das Instrument Schuldenbremsen-Ausnahme „finanziellen Transaktionen“ gegenwärtig so wenig genutzt?
Etwa Bahnmodernisierung/EK Erhöhung Bahn - wo doch gefühlt vier von fünf Zügen an Personal und maroden Schienen scheitern…?
Nur weil Lindner dies für Tricksen hält (was gesetzlich vorgesehen ist)?

Im Interview gab es viele Chancen, dies zu klären. Man verlor sich leider in diversen anderen Fragen diese Folge, was wirklich sehr, sehr schade war.

Herzlichen Dank!

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Die Konjunkturkomponente erlaubt eine höhere Schuldenaufnahme im Abschwung.

Aus dem Gesetz zur Konjunkturkomponente (§ 5 Abs. 3 Gesetz zur Ausführung von Artikel 15 des Grundgesetzes):

Die Konjunkturkomponente ergibt sich als Produkt aus der Produktionslücke und der Budgetsensitivität, die angibt, wie sich die Einnahmen und Ausgaben des Bundes bei einer Veränderung der gesamtwirtschaftlichen Aktivität verändern.

Fiktives Beispiel dazu: Angenommen das Bruttoinlandsprodukt ist im Vorjahr 4 Billionen Euro. Die Prognose ist, dass es um 2% steigt, tatsächlich sinkt es aber um 3%

EDIT: „Prognose“ und „tatsächlich“ sind hier nicht gut gewählt, es gibt eigentlich drei relevante Konzepte: Das Produktionspotential (in etwas Soll-Bruttoinlandsprodukt mit bestehenden Möglichkeiten), die Prognose und die tatsächliche Entwicklung. Letzteres ist beim Aufsteillen des Haushalts natürlich noch nicht bekannt. In diesem Beispiel sollte das Potential 2% sein, und die Prognose -3%.

Die Produktionslücke ist damit 200 Milliarden Euro (4,08 - 3,88 Billionen Euro). Bei einer Budgetsensitivität (oder Budgetsemielastizität) von 0,2 ist die Konjunkturkomponente dann 40 Milliarden Euro.

Die Idee der Budgetsensitivität ist, wie sehr die Abweichung vom Soll-Bruttoinlandsprodukt die Einnahmen des Haushalts beeinflusst hätte (ein höheres Bruttoinlandsprodukt führt z.B. zu höheren Steuereinnahmen, aber eben nicht zu 100%). Und weil man diese Einnahmen wegen schlechter Konjunktur nicht hatte, darf man das zusätzlich an Schulden aufnehmen.

Das ist nicht ganz richtig, weil diese Lücke nochmal mit der Budgetsensitivität mulitpliziert wird.

Genauere Informationen zur Schuldenbremse gibt es hier: Bundesfinanzministerium - Kompendium zur Schuldenregel des Bundes (da gibt es auch ein ausführlicheres Beispiel, Seite 10)

Danke für die Erklärung. Habe tatsächlich das Rechenbeispiel des BMF in dem Kompendium heute gelesen.

Mir stellen sich weiterhin zwei Fragen:

  1. Wie hoch ist die tatsächliche Produktionslücke und wie beeinflussbar ist die Berechnung? Mein Beispiel aus dem Entwurf (05.08.22 - Produktionslücke 14,3 Milliarden €) und Beschluss des Bundeshaushalts 2023 (19.12.2022 - Produktionslücke -75,6 Milliarden €) wirft eben diese Frage auf.

  2. Im Aufschwung muss diese über die 0,35 % des BIP hinausgehende Verschuldung zurückgefahren werden. Was ist der Unterschied zu der normalen Rückzahlung der sonstigen Schulden, denn auch die müssen zurückgezahlt werden?

Die Schätzung hat sich in dieser Zeit geändert, wie stark das beeinflussbar ist, kann ich nicht beurteilen. Diese Seite zeigt aber zumindest, dass es theoretisch nachprüfbar ist: BMF-Monatsbericht November 2022 - Gesamtwirtschaftliches Produktionspotenzial und Konjunkturkomponenten des Bundes (siehe zusätzliche Unterlagen).

Insgesamt kann man die Art und Weise der Bestimmung aber denke ich schon kritisch sehen, wie zum Beispiel dieser Artikel zeigt: Die Konjunkturkomponente der Schuldenbremse – Spielräume und Grenzen - Wirtschaftsdienst

Im Aufschwung macht man die gleiche Rechnung wodurch sich die zulässige Nettokreditaufnahme reduziert.
Die Frage nach dem Unterschied verstehe ich nicht wirklich. In einem Aufschwung muss nicht genau die konkrete Schuld, die bei einem Abschung entstanden ist, zurückgezalhlt werden. Alle Schulden müssen zurückgezahlt werden, aber man kann halt neue Schulden dafür aufnehmen. Die Schuldenbremse stellt Regeln für die Nettokretitaufnahme dar, wovon die Konjunkturkomponente ein Teil ist.

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Danke für die gute Folge. In Summe vermutlich Eure beste Folge, mit einem guten Abriss über die wichtigsten wirtschaftspolitischen Themen. Bachmann hat die Basics in verständlicher Sprache gut rübergebracht, wo vermutlich bei 95 Prozent der deutschen Bevölkerung weitgehend Unwissen vorherrscht.

Hier findest du aktuelle Schätzungen zu Produktionspotenzial, Produktionslücke und Konjunkturkomponente (Schätzungen, weil Produktionspotenzial nicht beobachtet, sondern nur geschätzt werden kann.):

Wenn neue Daten hinzukommen, ändert sich die Schätzungen und damit auch die Konjunkturkomponente. (Ich würde aber denken, dass die für den Haushalt relevante mögliche Konjunkturkomponente nicht laufend aktualisiert wird, sondern der Wert zu einem bestimmten Zeitpunkt gilt).

Zu deiner 2. Frage: Der Unterschied ist, dass die Verschuldung im Rahmen der Konjunkturkomponente symmetrisch im Aufschwung zurückgeführt werden muss. Die Kredite im Rahmen der strukturellen Verschuldung müssen einfach getilgt werden, sobald die Laufzeit der Kredite das erfordert. Da sich aber die Schuldenbremse auf die Nettokreditaufnahme bezieht, kann meinem Verständnis nach für die Tilgung weitere Kredite aufgenommen werdne. Kurzum: Die Schulden der strukturellen Komponente können irgendwann zurückgezahlt werden, die Schudeln der konjunkturellen Komponente müssen im Aufschwung zurückgezahlt werden (eine antizyklische Wirtschaftspolitik ist ja extrem sinnvoll und alles andere super schädlich).

@Martin314 hat das schon gut erklärt. Ich würde nur gerne weniger-technisch ergänzen wollen:

Genau, strukturelle Verschuldungsmöglichkeit des Bundes liegt bei 0,35% des BIPs. Hinzu kommt konjunkturelle Verschuldungsmöglichkeit, die umso größer ist, je schlechter die Konjunktur läuft (je weiter die erwartete Konjunktur vom Produktionspotenzial entfernt ist). Die Größenordnung liegt geschätzt sicher irgendwo zwischen 0,1% bis 0,5% des BIPs. Die Schuldenaufnahme im Rahmen der konjunkturelle Komponente muss aber bei guter Konjunktur zurückgeführt werden, sodass hier keine langfristige Verschuldung stattfindet. Und selbst wenn es so wäre, die Schuldenquote sollte langfristig sinken, selbst wenn sich der Bund jährlich um 0,85% des BIPs verschulden würde. (zumal die Schuldenquote nicht nur den Bund, sondern des gesamten Staat betrachtet.)

@Martin314 , falls du meine Fragen zu den finanziellen Transaktionen einordnen könntest - ich würde mich freuen!

Anstrengend war es, aber informativ. Vieles absolut logisch. Interessant ist es, wenn man Konsumschulden und Investitionsschulden trennt. Aus meiner Sicht eh viel zu wenig beachtet in der aktuellen Debatte. Heute wieder:
SPD will mehr Schulden
30 FDPler lassen bei mehr Schulden die Ampel platzen
etc…
Mir ist das viel zu undifferenziert. Jeder weiss, dass es Schulden gibt, die einer Investition gegenüberstehen, die kurz bis langfristig mehr Einnahmen bringt (im Privaten wäre das bspw. ein Haus, oder auch ein privates Studium), andere sind einfach Konsum: Wenn ich also die 20.000€ für ein Studium lieber in einen Luxusurlaub investiere, mag das viel Spass machen, aber das ist kein Invest.

Vielleicht glauben unsere Politiker, dass der Normalbürger das nicht versteht, aber es ist viel zu wenig beachtet. Schulden (als besser gesagt am Ende Tilgung) für Investitionen sind doch nicht schlimm. Wenn der Invest gut ist, topp. Und unser Staat bekommt Geld doch günstig (bzw. günstiger als die meisten anderen Staaten), das kann man doch ausnutzen.

Man könnte den Haushalt auch einfach mal danach auftrennen. Interessant sind dann das Bürgergeld und Rentenzuschüsse etc. Nach meiner Online Recherche kein Invest, sondern Konsum (ich unterstelle mal "Nicht Invest = Konsum). ob das so stimmt?

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Denke schon, dass viele den Unterschied zwischen konsumtiven und investiven Schulden verstehen. Es ist eher die Skepsis, dass die Politik sich an eine solche Zuordnung langfristig auch halten bzw. die Mittel sinnvoll einsetzen würde.

Der „track record“ der Politik ist leider nicht der Beste.

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