Was mich immer irritiert, wenn von der Schuldenbremse gesprochen wird, ist die ungenaue Wiedergabe der Regelung.
Es stimmt, dass der Bund jährlich 0,35 % des nominalen BIP als Kredit aufnehmen kann, ohne gegen die Schuldenbremse zu verstoßen. So schreibt es das Grundgesetz in Art. 109 III 4 GG i.V.m. Art 115 II 2 GG vor.
Faktisch nimmt der Bund jährlich deutlich mehr Kredit auf, denn es gibt eine Ergänzung zu dieser Regelung, die man Konjunkturkomponente nennt.
Das basiert auf dem Artikel 115-Gesetz - G 115 (G 115 - Gesetz zur Ausführung von Artikel 115 des Grundgesetzes), das in § 5 Artikel 115 Gesetz die Konjunkturkomponente einführt. Daneben gibt es noch eine Verordnung über das Verfahren zur Bestimmung der Konjunkturkomponente nach § 5 des Artikel 115-Gesetzes (Art115V - Verordnung über das Verfahren zur Bestimmung der Konjunkturkomponente nach § 5 des Artikel 115-Gesetzes).
Die Regelungen zur Konjunkturkomponente werden momentan extensiv genutzt, ohne dass es groß erwähnt wird. Dabei erlaubt diese Zusatzregelung ein Vielfaches mehr Kredit als die erwähnten 0,35%
Die Idee ist simpel: wenn die Wirtschaft unter der möglichen Leistung arbeitet, erhöht sich die Krediterlaubnis des Bundes um diese Lücke. Ich bin kein Volkswirt, deshalb kann ich die technischen Verfahren weder genau erklären noch prüfen, wo die Daten zu finden sind.
Die zulässigen Abweichungen sind aber gravierend und werfen einige Fragen auf.
Ich zeige es mal beispielhaft an dem Bundeshaushalt 2023 und 2024 auf. Die Daten kommen aus dem „Gesamtplan Teil II - Berechnung der zulässigen Kreditaufnahme nach § 5 des Artikel 115-Gesetzes sowie der Verordnung über das Verfahren zur Bestimmung der Konjunkturkomponente nach § 5 des Artikel 115-Gesetzes“, die jährlich im Bundeshaushaltsplan angezeigt werden.
Im Bundeshaushalt 2023 (https://www.bundeshaushalt.de/static/daten/2023/soll/Bundeshaushaltsplan_HH_2023.pdf) sind 0,35 % des nominalen BIP ungefähr 12,606 Milliarden €, tatsächlich durfte der Bund aber 45,616 Milliarden € Kredit aufnehmen. Das sind über 30 Miiliarden mehr als die 0,35 % rein rechnerisch erlauben. Eine deutliche Abweichung also.
Im Bundeshaushalt 2024 (https://www.bundeshaushalt.de/static/daten/2024/soll/Bundeshaushalt-2024.pdf) sind 0,35 % des nominalen BIP 14,424 Milliarden €, tatsächlich plant der Bund aber 39,028 Milliarden € als Kredit aufzunehmen, also ein mehr von knapp 25 Milliarden €. Ebenfalls eine gravierende Abweichung.
Die Abweichungen hängen eben mit der Konjunkturkomponente zusammen.
Es wundert mich, dass dieser Umstand selten erwähnt wird, weil es doch einige Fragen aufwirft, die wichtigste ist, bis zu welcher Grenze kann diese Konjunkturkomponente angepasst werden?
Ich möchte das mit einem Beispiel aus dem Haushalt 2023 verdeutlichen.
Am 05.08.2022 legte die Bundesregierung den Entwurf des Bundeshaushalt 2023 (https://dserver.bundestag.de/btd/20/031/2003100.pdf) dem Bundestag und Bundesrat vor. In dem Entwurf lagen die 0,35 % des BIP bei 12,497 Milliarden €, die zulässige Kreditaufnahme erhöhte sich aufgrund der Konjunkturkomponente aber auf 17,248 Milliarden €. Am 19.12.2022 wurde der Bundeshaushalt 2023 verkündet und die zulässige Krediterlaubnis erhöhte sich durch die Konjunkturkomponente auf die 45,610 Milliarden €. Innerhalb von fünf Monaten konnte die Konjunkturkomponente so angepasst werden, dass über 30 Milliarden € mehr Kredit möglich war.
Es hätte mich sehr gefreut, wenn der Volkswirt diesen Umstand genauer erklärt hätte oder das Lage-Team, denn ich verstehe nicht, wie diese Zahlen so verändert werden können. Es scheint aber eben möglich, jährlich deutlich mehr als 0,35 % Kredit aufzunehmen; die Frage ist, wie viel mehr und wo finde ich die Daten dazu?! Momentan finde ich die Angaben nur im Haushaltsplan, doch die müssen auf objektiven Kriterien basieren. Vielleicht könnt ihr das nochmal recherchieren und in einem Beitrag genauer vorstellen?
Ansonsten war es mal wieder eine super Zusatzfolge.
Besten Gruß
Damian Münzer