Wenn man nur die öffentlichen Kosten mit öffentlichen Einsparungen vergleicht, dann bildet das nicht im vollen Umfang den wirtschaftlichen Effekt einer Maßnahme ab. Das öffentliche Renten- und Krankenversicherungssystem ist zum Beispiel vor allem ein Kostenfaktor. Wirtschaftlich „lohnen“ tut es sich in erster Linie, weil es auf vielen Ebenen Effizienzen herstellt, die durch eine rein private Absicherung nicht erreichen lässt.
Mit ÖPNV ist es nicht anders. Natürlich kostet das immer Geld und ein erheblicher Teil des positiven Effekts wird sich nicht oder nur teilweise in volkswirtschaftlichen Rechnungen Wiederspiegeln. Wie bewertet man zum Beispiel den Effekt, dass ein 14-jähriger Dank billigem oder freiem ÖPNV den Sport- oder Musikunterricht in einer nahen Kleinstadt besuchen kann?
Ist es wirtschaftlich Effizient, extrem dünn besiedelte Regionen im mittleren Westen der USA durch 30-Jährige Kredite an lokale Kooperativen zu elektrifizieren und der ländlichen Bevölkerung mehrere Jahrzehnte lang Aufklärung und Beratung zur Nutzung elektrischer Energie zur Verfügung zu stellen? Aus der Perspektive eines Finanzministers im Jahr 1930 kann ich mir das kaum vorstellen. Rückblickend macht das Ganze schon mehr Sinn, aber zeitgenössisch war das Argument wohl eher eins der öffentlichen Wohlfahrt.
Abschließend beurteilen lassen sich solche Maßnahmen wohl nur rückblickend. Die Entscheidungen für oder gegen sie muss man (auch) aufgrund eigener politischer und gesellschaftlicher Überzeugungen treffen.
Kostenloser ÖPNV, kostenlose Kita’s bzw. generell jede Bildung kostenlos.
Viel grössere Investitionen in Bahn, Stromnetz, Glasfaser und und und
Pflege und Gesundheit darf auch keinen Gewinn abwerfen und Verteidigungsausgaben sind sowieso ein Millardengrab solange man die Bundewehr nicht braucht (hoffentlich nie). Und so weiter und so fort.
Auch wenn ich das auch alles gerne hätte. Irgendwie muss das alles finanziert werden und mir fehlt die Fantasie wie das alles möglich sein soll.
Das „alte“ Linke narrativ, die „Reichen“ sollen das Zahlen, ist mir, angesichts all dieser Wünsche nicht mehr zu verkaufen. Manches geht, jedoch alles nicht.
Es bestünde ja auch die Möglichkeit, dass die Studien, die ich zitiert habe, nicht völliger Unsinn sind und dass Ökonomen wie Frau Kemfert und Verkehrsexperten wie Herr Knie tatsächlich ein Bisschen Recht haben. Angenommen das wäre so, dann könnte die Zurückhaltung von Kommunen in dieser Hinsicht auch darauf zurückzuführen sein, dass sie mit dem Steuergeld ihrer Bürger verantwortlich umgehen wollen, weil sie dieselben Ziele auch mit weniger Geld erreichen können.
Dass diese Studien und Einschätzungen in diesem Thread weitgehend ignoriert werden, muss ich so zur Kenntnis nehmen, aber vielleicht denken Menschen anders, die für den funktionierenden Verkehr einer Stadt verantwortlich sind.
Ich sehe zwischen unseren Perspektiven ehrlich gesagt keinen Widerspruch. Aus Sicht eines Landrats oder Bürgermeisters ist ein kostenloser ÖPNV natürlich finanziell ein totaler Schuss ins Knie. Auf kommunaler und regionaler Ebene fehlen die Möglichkeiten zur aktiven Refinanzierung völlig. Gleichzeitig mögen viele Menschen in Umfragen einen kostenlosen ÖPNV befürworten, vor die praktische Wahl gestellt (freie Busfahrt oder doch lieber neue Tische in der Schule) fällt die Wahl aber (nachvollziehbarerweise) oft pragmatisch aus.
Entsprechend meine Aussage: wenn ein freier (oder sehr kostengünstiger/stark ausgebauter) ÖPNV tatsächlich eine hohe Priorität und Zustimmung bei 70 bis 80% der Deutschen hätte, dann würden sich solche Konzepte an mehr Orten durchsetzen.
Auch meine Ansicht, dass vielen Deutschen das eigene Auto heiliger ist als ein gesamtgesellschaftlich vielleicht sinnvolles Anliegen sehe ich durch die zitierten Studien nicht widerlegt.
Ich würde vielleicht darauf hinweisen, dass wir gesellschaftlich ständig Dinge tun und entscheiden, die wirtschaftlich völlig ineffizient sind. Auch klimapolitisch gibt es wenige politische Entscheidungen der letzten Jahrzehnte, die objektiv betrachtet wirklich Sinn machen. Darum auch meine vorherige Kritik, dass wir uns politisch zu sehr aufs Klein Klein und die letzten Umfragewerte konzentrieren, anstatt eine positive und vielleicht etwas überambitionierte Vision zu entwickeln und uns systematisch in kleinen Schritten auf diese zuzubewegen.
Ich bin der Überzeugung, dass eine Welt in der die (ganze oder große Teile der) Bevölkerung Zugang zu freiem und hochwertigem ÖPNV hätte eine bessere wäre. Und zwar sowohl aufgrund der direkten Effekte dieses freien ÖPNV, als auch durch die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die die Etablierung dieser Maßnahme erst möglich gemacht hätten.
Um auf die von dir zitierten Quellen direkt einzugehen:
Das ist doch erstmal eine tolle Nachricht! Ich würde allerdings die methodische Kritik anführen, dass es sich hierbei um die Abfrage eines möglichen zukünftigen Verhaltens handelt und solche Aussagen in der empirischen Sozial- und Wirtschaftsforschung als extrem unzuverlässig gelten. Dass nach Aussage der Studie in realen Beispielen die Zahl der gefahrenen Autokilometer nicht abnimmt ist für mich persönlich kein Ausschlusskriterium für einen freien ÖPNV, sondern der Hinweis, dass eine Maßnahme alleine nicht ausreicht. Man muss also entweder klären, ob es parallel zur Reduktion der Ticketpreise auch einen Ausbau der Strecken und Takte braucht, oder ob man die Attraktivität des PKW durch bestimmte Maßnahmen senken muss.
Das Interview deckt sich weitgehend mit den Erkenntnissen der letzten Quelle. Es bestätigt, dass eine abnehmende Nutzung des Autos nur durch eine höhere Verbindungsqualität des ÖPNV zustande kommt. Meine persönliche Perspektive darauf ist aber, dass es ohne einen allgemein (auch für ärmere Menschen) zugänglichen ÖPNV auch nicht geht, wenn wir vom Auto konsequent wegwollen. Eine Abschaffung der Fahrgebühren für alle mag in dieser Hinsicht nicht wirtschaftlich effizient sein, kann als politische Maßnahme aber trotzdem Sinn machen. Etwa, indem man den ÖPNV als „Recht für alle“ narrativ aufstellt, wodurch die Akzeptanz einer Verlagerung öffentlicher Ausgaben vom Individualverkehr auf den ÖPNV steigen könnte.
Interessant finde ich auch diesen Absatz hier:
SPIEGEL ONLINE: Wenn keine Autofahrer umsteigen, wer profitiert dann vom Gratis-ÖPNV?
Cats: Vor allem sehr junge und alte Menschen, insbesondere Schüler, Studenten und Rentner. Sie wechseln meistens vom Fahrrad in den ÖPNV oder nutzen ihn für Wege, die sie sonst zu Fuß gegangen wären oder eventuell gar nicht zurückgelegt hätten, wie zum Beispiel in Tallinn. Ein Wegfall der Fahrpreise kann sich positiv auf die Mobilität dieser Menschen auswirken.
Das Argument von Kempfert ist in sich stimmig, ich persönlich würde das Ziel aber anders formulieren. Sie geht davon aus, dass ein kostenloser ÖPNV „einfach so“ eingeführt wird. Meine persönliche Präferenz wäre, dass die Einführung eines kostenlosen ÖPNV (oder einer Vorstufe davon, also die Befreiung bestimmter Bevölkerungsgruppen) begleitet wird durch eine deutliche Verbesserung der Qualität des ÖPNV und einer Gegenfinanzierung durch Abgaben auf den Individualverkehr (am besten ein Maut auf die tatsächliche Fahrstrecke von PKW).
Die Ergebnisse dieser Studie speisen sich komplett aus hypothetischen Befragungen ohne Angabe eines Zielkonflikts. Das halte ich (wie oben dargelegt) für wenig erhellend.
Die in der Studie als Alternative vorgeschlagenen Öffentlichkeitskampagnen zur Reduzierung der Autonutzung halte ich für völlig nutzlos. Dass diese kosteneffizienter sind als ein kostenloser ÖPNV wird an keiner Stelle belegt. Zwischen dem Wissen um die höheren Kosten der PKW-Nutzung und einer Verhaltensänderung liegen Welten. Praktisch alle Raucher wissen auch, dass ihr Verhalten gesundheitsschädlich ist.
Die Einführung einer City-Maut ist total sinnvoll und sollte in allen Großstädten Deutschlands praktiziert werden (aktuell ist das aber glaube ich rechtlich gar nicht möglich). Der Gerechtigkeitsaspekt eines freien/extrem günstigen ÖPNV wird dadurch aber in keiner Weise Rechnung getragen (höchstens Indirekt über die Verwendung der Mauteinnahmen, was ich grundsätzlich begrüßen würde).
Unterm Strich: betrachtet man das Projekt „freier ÖPNV“ nicht als eng auf ein spezifisches Problemfeld (z.B. Armut, Klimawandel, Verschmutzung, etc) zugeschnittenen Lösungsansatz, sondern als eine multifunktionale gesamtgesellschaftliche Zielsetzung, dann fallen meiner Ansicht nach viele der Kritikpunkte weg. Natürlich muss so ein Projekt durch begleitende Maßnahmen unterstützt werden (die dann jeweils spezifische Handlungsfelder adressieren, z.B. den Umstieg von PKW auf ÖPNV). Und ein Projekt dieser Komplexität kann gar nicht auf einmal umgesetzt werden, sondern braucht vermutlich viele Zwischenschritte. Was es umso nötiger macht, mit diesen Zwischenschritten (z.B. freier ÖPNV für ärmere Bevölkerungssichten, Jugendliche usw.) so bald wie möglich zu beginnen.
Erstmal vielen Dank für das detaillierte Eingehen auf die Quellen. Auch wenn ich mit vielem nicht überein stimme, halte ich diesen Ansatz tatsächlich noch für am besten Nachvollziehbar als Begründung für kostenlosen ÖPNV:
Persönlich denke ich, dass ein Vorgehen, bei dem wir systematisch den ÖPNV massiv ausbauen und durch smarte Tarife die Auslastung optimieren der beste Weg ist. Schlicht weil man nicht Geld für alles gleichzeitig hat. In einem voll ausgebauten System kann man dann - wie @peteM bereits geschrieben hat - die Frage nochmal neu bewerten.
In welchem Zeitraum siehst du das als umsetzbar? Die Realisierung des Deutschlandtaktes hat die Deutsche Bahn aktuell auf 2070 geplant.
Dabei ist der Deutschlandtakt zwar eine Fernverkehrsthematik, aber da man teilweise die gleiche Infrastruktur nutzt gibt es natürlich Quereffekte.
Ich persönlich glaube eine weitere Voraussetzung für kostenfreien ÖPNV wäre das autonome Fahren, da uns sonst Personal fehlen wird. Denn gerade bei Bussen und Straßenbahnen liegt dort der Kostentreiber und das obwohl man wegen der schwierigen Arbeitszeiten schon heute nicht ausreichend Personal findet.
Daher ist mir nicht so richtig klar wie realistisch dein Ziel wirklich ist oder ob man es nicht eher als Vision einer besseren Welt verstehen sollte.
Die Verbindung von Schuldenbremse und Förderung ÖPNV ist eine interessante Frage. Nehme ich die vorher angenommen 50 Mrd. Euro pro Jahr für einen kostenlosen ÖPNV und lasse das mal 20 Jahre bei 5% Zinsen sich entwickeln, dann sind wir in 20 Jahren bei 1,6 Billionen Euro Schulden und 82 Mrd. Euro Zinsen. Einfach nur dafür, damit eine - die aktuelle - Generation kostenlose Mobilität hat. Ich frag mich, welches Thema die nächsten Fridays for Future haben könnten…
Der Schuldenbremsen-Diskurs war ein Beispiel für die Ambitionslosigkeit der politischen und gesellschaftlichen Debatte in Deutschland, kein Vorschlag für die Finanzierung eines freien/günstigen und qualitativ hochwertigen ÖPNV. Dafür halte ich immer noch einen Finanzierung aus Steuern und Abgaben, vor allem aus einer Maut auf PKW-Verkehr, am besten geeignet.
Aber dein Beitrag zeigt schön, wie der aktuelle Diskurs jede Form der progressiven gesamtgesellschaftlicher Investition unmöglich macht: Als erstes wird auf die Kosten verwiesen und die Unmöglichkeit der Finanzierung, weil diese Kosten natürlich Schulden verursachen würden.
Methodisch würde ich an deiner Darstellung kritisieren, dass sie den Effekt der Inflation völlig außer Acht lässt (wie im übrigen praktisch jede Diskussion um Staatsschulden) und die Zinsen viel zu hoch ansetzt. Die Zinsen für die nächste Emission von Bundesanleihen bewegen sich zwischen 1,8% (Laufzeit 30 Jahre) und 2,6% (Laufzeit 10-15 Jahre).
Die Europäische Zentralbank strebt eine Inflationsrate von 2% an. Da steigende Preise und Löhne automatisch auch die Staatseinnahmen steigen lassen (ganz ohne Steuererhöhungen), kann die Bundesregierung derzeit mehr oder weniger ohne Zinsrisiko Schulden machen, insbesondere für längere Zeiträume. Ich sehe unter diesen Umständen nicht, wie sich aus der Investition in einen besseren ÖPNV, gute Schulen und intakte Infrastruktur in der nächsten Generation eine Protestbewegung entwickelt.
Hast du dazu weiterführende Informationen? Aus dem Artikel geht leider nicht so richtig hervor, wo genau der Bottleneck ist. Genau das wäre aber aus meiner Sicht interessant zu wissen hinsichtlich der diskutierten Themen und deren Realisierbarkeit. In jedem Fall eine bizarre Form der Kommunikation dieser Zieldaten 2030 vs 2070.
Warum nicht? Die Kritik an früheren Generation ist: sie haben über ihre Verhältnisse (CO2 Ausstoß, Verbrauch von Resourcen) gelebt. Das ist eine andere Formulierung von „Kosten auf Jahrzehnte hoch(zu)rechnen“.
Mit Schuldenbremse und unserem aktuellen System der öffentlichen Finanzen (= chronische Unterfinanzierung der Kommunen, die ja die Träger des ÖPNV sind)? Gar nicht.
Mit ein wenig mehr fiskalischer Zukunftsorientierung könnte man glaube ich ziemlich schnell spürbare Veränderungen erzeugen. Einzelne Gruppen (Kinder und Jugendliche, arme Menschen) von den Ticketgebühren zu befreien ginge fast über Nacht, wenn der politische Wille da wäre. Eine deutliche qualitative Verbesserung würde wohl aufgrund der Notwendigkeit zur Anschaffung von mehr Hardware und der Ausbildung von Personal einige Jahre dauern. Aber nicht Jahrzehnte.
Wie schon angesprochen würde so ein Projekt natürlich auch viele andere Veränderungen mit sich bringen: City- und allgemeine PKW-Maut, Veränderungen bei Stadtplanung, staatliche Investitionen in die nötige Infrastruktur für Elektro-Busse, Innovationen bei der Taktung von ÖPNV und die Unterstützung durch entsprechende Apps und öffentlich zugängliche Daten, um nur ein paar Aspekte zu nennen. Manches davon könnte schnell, anderes wohl nur langsam gehen. Aber wie heißt es so schön: Der Weg ist das Ziel.
Wie weiter oben schon zum Ausdruck gebracht: es kommen jede Menge Menschen nach Deutschland, die super gerne irgendeine Arbeit hätten, wenn sie ihnen eine klare Bleibeperspektive verschafft. Und wenn man die nicht haben will, dann kann ich dir garantieren, dass man in Nigeria und vielen anderen Ländern ohne Probleme innerhalb von ein paar Monate mehrere tausend Menschen finden würde, die sich für die Möglichkeit in Deutschland zu angemessenen Löhnen als Busfahrer zu arbeiten und dafür ausgebildet zu werden bewerben würden. Perfektes Deutsch gehört nicht zu den kritischen Anforderungen für einen Busfahrer, auch Menschen, die nicht in Deutschland geboren wurden sind in der Lage ein Kraftfahrzeug zu führen und die Ausbildung zum Busfahrer dauert nach Angaben der DB 3 Jahre. Als dualer Ausbildungslehrgang fährt man vermutlich auch schon vor Abschluss regelmäßig mit Passagieren.
Nein, der Punkt ist ein anderer. Es war mal progressiv, ein Auto mit einer Atombatterie zu bauen, was quasi nie tanken muss. Es war mal progressiv, Wissenschaft zu negieren und komplett auf praktisches Wissen zu setzen. Es war mal progressiv, zwischen den Kontinenten zu jetten - weil grenzenlose Mobilität Menschen zusammenbringt. Was heute als progressiv verkauft wird, zieht ganz gern einen Rattenschwanz an „hoppla, das war dann doch nicht so gut“ hinter sich her.
Wobei dieser massive Ausbau des ÖPNV wohl gar nicht in allen Bereichen nötig wäre und manche Maßnahmen auch mit wenig Mehrkosten umzusetzen wären.
Dort wo heute die Kapazitäten im Regionalverkehr am Limit sind muss man ja nicht zwangsläufig noch enger Takten, sondern könnte bei zukünftigen Anschaffungen auch Züge mit mehr Kapazität (Doppelstockwagen) anschaffen.
Am Land wo die Fahrgastzahlen gering sind braucht es keine 15 Minuten Taktung mit festen Fahrzeiten, sondern es könnte ein Teil der Fahrten mit Anruflinien abgedeckt werden.
Zusätzliche Fahrgäste dort wo heute Kapazitäten vorhanden sind, z.B. innerorts außerhalb der Rush Hour können ohne Mehrkosten befördert werden.
Und bei den Kosten ist es unseriös die Gesamtkosten zu rechnen, sondern man müsste die Mehrkosten ggü. heute zuzüglich der entfallenen Ticketeinnahmen abzüglich der Kosten für Kontrollen, Ticketverkauf, Bestrafung von Schwarzfahrern etc. rechnen.
Denn den Rest der Kosten hat man ja bereits heute.
Für meinen Teil wäre ich happy mit einem smarten Tarif der bundesweit verfügbar ist und z.B. Fahrten zu Zeiten wo aktuell die Busse leer sind zu minimalem Preis ermöglicht, zur Rush Hour dagegen mehr verlangt und ggf. sogar Parameter wie Wetter erfasst um bei gutem Wetter Anreiz zur Nutzung von Rad und Fuß zu bieten, bei schlechtem Wetter aber nicht zur Nutzung des Autos zu verleiten.
Aufgrund der vielen Bedenken zu solchen großen Projekten und der Erfahrung mit anderen Projekten bezweifle ich aber stark, dass das umsetzbar wäre.
In meiner Reihenfolge wäre ein smarter Tarif mit individueller Komponente der beste Weg, ein kostenfreier ÖPNV aber immer noch besser als das heutige Ticketsystem, wo eigentlich jeder der ein Auto zur Verfügung hat dazu animiert wird dieses dem ÖPNV vorzuziehen, weil die Preise des ÖPNV oft weit unter den variablen Kosten des Autos liegen.
Die Finanzierung deines Beispiels wäre ja aus volkswirtschaftlicher Sicht zunächst kein Problem. Denn die Kosten wären ja ohnehin da. Es wäre nur eine Form von Umverteilung, bei der man sich dann natürlich die Gerechtigkeitsfrage stellen und irgendwie auch die Steuern erhöhen müsste. Aber für den Durchschnittsbürger dürfte sich nicht viel ändern.
Der eigentliche Punkt - und das habe ich ja im Verlauf des Threads erläutert - liegt ja aber darin, dass es eine Milchmädchenrechnung wäre die aktuellen oder prognostizierten Kosten zu nehmen und zu sagen: das müssten wir jetzt aus Steuergeldern zahlen - oder sogar noch weniger, denn es braucht ja keine Tickets mehr.
Wie die Studien ja gut zeigen könnten, liegt der eigentliche Kostenfaktor im „kostenlosen ÖPNV“ ja in der massiven zusätzlichen Mobilität. Wie gesagt RWI Studie bis zu Faktor 3 in den Fahrgastzahlen. Templin Faktor 10. Jetzt ist es sicher nicht trivial das in Betriebskosten umzurechnen, weil das davon abhängt, wie man das Thema angeht. Aber natürlich werden die auch massiv nach oben gehen, wenn man die Qualität auch nur annähernd beibehalten will. Und an der Stelle muss man dann tatsächlich überlegen, ob es diese Mobilität wirklich braucht und wer sie zahlen soll.
Aber hier nochmal der Verweis, dass das Beispiel Templin besonders ist, weil nicht nur der ÖPNV kostenfrei gemacht wurde sondern er quasi überhaupt erst in einem akzeptablen Maße eingeführt wurde.
Diese Situation gibt es aber ja quasi nur auf dem Land und in ländlich geprägten Kleinstädten. Wenn ich da wo ein Bus heute alle 2 bis 3 stunden wenige Haltestellen anfährt einen Stundentakt einführe und auch noch mehr Linien mit mehr Haltestellen, dann würde sich die Zahl der Fahrgäste auch mit den heutigen Tarifen vervielfachen.
Und auch beim Faktor 3 der angenommen wird ist es eben keineswegs so, dass diese Fahrgäste alle viel neue Infrastruktur benötigen sondern sie dürfte in großem Maße auch auf das Einsteigen in gerade vorbeifahrende Busse, ähnlich wie es in Tallin beobachtet wurde.
Und der Ausbau am Land ist ja auch ohne Kostenfreiheit eigentlich dringend nötig.
Ebenso würden die Fahrgastzahlen steigen wenn man durch Maßnahmen wie CityMaut, Sperren, reduzieren der Parkplätze zur Verkehrswende beiträgt.
Die zusätzliche Mobilität die nicht auch mit anderen Maßnahmen zur Lenkung entstünde dürfte in erster Linie außerhalb der Rush Hour liegen, wo Leute eben doch weiter weg einkaufen wenn man da kostenfrei hinkommt und im Ausflugsverkehr.
Denn niemand fährt ja einfach so ins Büro obwohler Home Office machen darf nur weil der ÖPNV kostenfrei ist. Wer unbedingt in Präsenz arbeiten will tut das ja auch heute.
Das ist dann doch eher eine (ziemlich oberflächliche und mit mäßig guten Beispielen ausgestattete) Kritik des Konzepts des Progressivismus als eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem hier diskutierten Thema.
Der Verweis auf die Schädlichkeit zusätzlicher Schulden ist eigentlich immer ein blödsinniges Argument gegen eine politische/gesellschaftliche Forderung, weil wir auch heute schon extrem viel Geld für ziemlich fragwürdige Dinge ausgeben. Es gibt keine objektiven Kriterien, welche Staatsausgaben „gut“ oder „schlecht“ sind und es es somit verdient haben, durch Schulden finanziert zu werden. Das ist zu 100% eine Frage der politischen Prioritäten und am Ende des Tages ist Geld „flüssig“, d.h. solange der Staat für irgendwas Schulden aufnimmt ist jede Staatsausgabe gleichermaßen schuldenfinanziert (Ausnahme sind vielleicht noch strikt abgabenfinanzierte Aufwendungen, bei denen eine spezifische Abgabe rechtlich verbindlich eine spezifische Ausgabe finanziert).
Das Gerede von der „Generationengerechtigkeit“ der Staatsverschuldung ist in erster Linie der Versuch der politischen Deligitimisierung bestimmter (meist politisch und gesellschaftlich progressiver) Ausgaben, meistens vorgebracht von konservativen und neoliberalen Akteuren.